Die Formel-1-WM ist völlig offen. Nicht Mercedes-Star Lewis Hamilton, sondern sein Teamkollege Valtteri Bottas hat am Sonntag in Sotschi den Angriff von Ferrari abgewehrt. Der Finne fuhr den ersten Grand-Prix-Sieg seiner Karriere ein - und erntete dafür großes Lob der Teamführung. In zwei Wochen beim Europa-Auftakt in Barcelona müssen sich die "Silberpfeile" erneut beweisen.
Ferrari hat sich nach drei Jahren Mercedes-Dominanz 2017 zu einem echten Herausforderer gemausert. In Russland waren die Italiener in allen Trainings voran. Einzig Bottas' Raketenstart und dessen Abgebrühtheit gegen den im Finish heranfliegenden Sebastian Vettel verhinderten den dritten Ferrari-Sieg im vierten Saisonrennen. "Er ist die coolste Socke auf dem Grid", lobte Niki Lauda den Mercedes-Neuzugang.
Rosberg-Ersatz erweist sich als wertvoll
Bottas, vor Saisonbeginn kurzfristig anstelle des zurückgetretenen Weltmeisters Nico Rosberg zum deutschen Werksteam gestoßen, kann im neuen Zweikampf mit Ferrari noch sehr wertvoll werden. "Es wird extrem eng, mehr als nur sehr", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Ferrari ist mit einem guten Auto aus dem Winter gekommen, das Sebastian sehr liegen dürfte. Wir müssen uns strecken, um so gut wie möglich zu performen."
Hamilton dagegen scheint mit dem neuen Mercedes nur bedingt zurechtzukommen. In Russland musste sich der Brite mit Rang vier begnügen. Erstmals seit Juni 2016 landete er in einem Rennen, das er beendete, nicht auf dem Podest. "Das ist nicht das Ende der Welt", betonte Hamilton, der 2014 und 2015 in Sotschi gewonnen hatte. Sein WM-Rückstand auf Vettel wuchs auf 13 Punkte an. "Daran denke ich im Moment aber nicht."
Gazzetta dello Sport spottet über Hamilton
Vielmehr beschäftigt Hamilton, warum er an der Schwarzmeer-Küste diesmal hinterherfuhr. Schon im Qualifying fehlte dem dreifachen Weltmeister eine halbe Sekunde auf Pole-Mann Vettel. "Zu jammernd, zu unbeständig, zu angespannt", spottete die italienische "Gazzetta dello Sport" über den Superstar. Mit Bottas statt Rosberg hat Hamilton vorerst zumindest im eigenen Bett keinen Feind.
Der Russland-Sieger gab sich bisher als braver Teamplayer, seine Qualitäten zeigte er aber nicht erst in Sotschi. Schon vor zwei Wochen in Bahrain hatte Bottas die erste Pole Position seiner Karriere herausgefahren, musste dann aber im Rennen zweimal den schnelleren Hamilton passieren lassen. Mit seinem Premierentriumph ließ der 27-Jährige auch die letzten Zweifler verstummen.
Bottas hat bewiesen, dass er gewinnen kann
"Der erste Grand-Prix-Sieg ist immer der schwierigste, das weiß ich aus eigener Erfahrung", erklärte Mercedes-Teamvorstand Lauda. "Er hat bewiesen, dass er gewinnen kann. Was auch immer als nächstes kommt, sein Leben ist jetzt einfacher. Wenn man den ersten Grand Prix gewonnen hat, fällt eine große Last ab." Bei Österreichs dreifachem Weltmeister selbst war sie 1974 in Spanien abgefallen.
Auch Bottas war erleichtert. 81 Formel-1-Rennen hatte es gedauert, bis er erstmals ganz oben stand. Bei seinem Landsmann Mika Häkkinen etwa, Weltmeister von 1998 und 1999, waren es 96 gewesen. "Es hat eine Weile gedauert. Aber es war es wert, darauf zu warten", sagte Bottas. Vor 21 Jahren hatte der Mann aus Nastola im Süden Finnlands im Go-Kart seine ersten Runden gedreht.
Finnische Eigenwerbung
Sein erster Anruf nach dem Triumph galt seiner Ehefrau Emilia, einer ehemaligen finnischen Olympia-Schwimmerin. "Es ist noch ein bisschen surreal", sagte der frühere Williams-Pilot, der die überraschende Chance bei Mercedes beim Schopf gepackt hat. Vorerst ist er bei den "Silberpfeilen" nur für ein Jahr gebunden. Mit seiner Vorstellung in Sotschi betrieb er aber Eigenwerbung.
Vettel konnte am Ende auch mit dem zweiten Platz gut leben, vergrößerte er doch seinen WM-Vorsprung auf Hamilton. "Ich denke, es wird ein enges Rennen zwischen Mercedes und uns", meinte der Deutsche, der auch sein Ex-Team Red Bull noch lange nicht abgeschrieben hat. "Ich hoffe, dass sie ihren Speed finden."
Spannung vor Europa-Auftakt
Bisher hat der österreichisch-englische Rennstall, mit dem Vettel von 2010 bis 2013 viermal Weltmeister war, noch nicht ins WM-Duell eingreifen können. Für Barcelona werden aber zahlreiche Updates erwartet. "Es gibt viele Gerüchte. Sie sind ein starkes Team. Sie wissen, wie man ein schnelles Auto baut, also erwarte ich, dass es eher die Frage ist, wann, als ob sie auf Touren kommen", erklärte Vettel.
Ob das schon in Katalonien der Fall sein kann, wird sich weisen. Red-Bull-Jungstar Max Verstappen, in Sotschi abgeschlagen Fünfter, hatte dort im Vorjahr sensationell sein erstes Rennen gewonnen. "Jeder wird mit Verbesserungen nach Barcelona kommen", betonte Lauda. "Die Saison startet praktisch neu." Für Spannung ist beim Europa-Auftakt also gesorgt.