Der Live-Ticker vom Qualifying zum Nachlesen!
Nico Rosberg hat seinen Aufwärtstrend bestätigt und die Pole Position für den Grand Prix von Japan erkämpft. Der deutsche Mercedes-Fahrer startet Sonntag (7 Uhr MESZ) vor seinem Teamkollegen Lewis Hamilton aus der ersten Reihe. Dahinter stehen der Williams von Valtteri Bottas (FIN) und der Ferrari von Sebastian Vettel. Es ist die 17. Pole für Rosberg, die zweite im Jahr 2015.
Schwerer Unfall
Das Qualifying wurde nach einem heftigen Unfall des Red-Bull-Fahrers Daniil Kwjat 36 Sekunden vor Schluss abgebrochen und nicht mehr fortgesetzt. Der für das austro-englische Team fahrende Russe kam kurz auf den Grünstreifen neben der Piste, verlor mit Tempo 270 die Herrschaft über den RB11 und schlug dann in der zweiten Degner-Kurve heftig mit dem Heck in die Streckenabsicherung ein. Das Auto überschlug sich seitlich und verlor zwei Räder sowie andere Teile.
Kwjat blieb aber weitgehend unversehrt und stieg selbstständig aus. "Ich bin okay, sorry", entschuldigte sich der Russe nach seinem Fahrfehler beim Team, das danach viel Arbeit mit dem zerstörten Boliden hatte. "Wir kriegen das Auto sicher rennfertig. Die Frage ist, ob es eine Rückversetzung gibt, weil wir auch das Chassis tauschen müssen", sorgte sich Motorsportberater Helmut Marko. "Das Wichtigste ist aber, dass es Daniil gut geht."
Mercedes ist zurück
Angeführt von Nico Rosberg hat Mercedes also vorerst wieder die alten Verhältnisse in der Formel 1 hergestellt. "Hier haben wir zurück zur Form gefunden", betonte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, dessen britischer Fahrer Hamilton mit 41 Punkten Vorsprung auf Rosberg im Klassement und 49 Zählern mehr als Vettel in den 14. und sechstletzten Saisonlauf am Sonntag startet. Allerdings wegen 0,076 Sekunden Rückstand nur von Rang zwei. Es ist die zehnte Doppel-Pole der "Silbernen" in diesem Jahr.
Rosberg fährt nach Spanien im Mai zum erst zweiten Mal in diesem Jahr von der besten Startposition weg und die ist in Suzuka durchaus wichtig. "Es ist schon eine Erleichterung zu sehen, dass es nach wie vor gut aussieht bei uns und das Auto sich gut anfühlt. Suzuka ist doch eine Wahnsinnstrecke", sagte der 30-jährige Vizeweltmeister. Der Deutsche ist dementsprechend zuversichtlich. "Die Pole ist ein super Platz für Sonntag. Wir haben Samstagvormittag schon für das Rennen geübt, auch da hat sich das Auto gut angefühlt. Ich bin daher guter Dinge."
Erinnerungen ans Vorjahr
Der Unfall von Kwjat hatte freilich im ganzen Formel-1-Tross für eine Schrecksekunde gesorgt, vor allem nach den Ereignissen im Vorjahr in Suzuka. Und es sind nicht nur die Fans, die die Erinnerung an Jules Bianchi wachhalten. Vor allem auch intern liegt der Schatten von 2014 über diesem Wochenende. Für die Jüngeren in der Formel 1, diejenigen, die das Horrorwochenende von Imola 1994 mit den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna nicht selbst miterlebt haben, ist es das erste Mal, dass sie mit der Situation konfrontiert werden, an die Stelle eines tödlichen Unfalls zurück zu kommen, mit den immer noch existierenden Risiken der Formel 1 konfrontiert zu werden, die in den vielen Jahren davor immer mehr verdrängt und zum Teil auch ignoriert wurden. Die Stimmung im Fahrerlager ist deutlich gedrückt, das Regenwetter in den ersten Tagen trägt noch zusätzlich dazu bei, die Gedanken an den fatalen Rennsonntag 2014 immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Marussia-Team ersucht um Zurückhaltung
Das Manor-Marussia-Team, für das Bianchi fuhr, hatte schon im Vorfeld darum gebeten, an diesem Wochenende nicht allzu viele Fragen beantworten zu müssen, „um diese schwierige Situation in Ruhe hinter uns zu bringen. Wir müssen stark sein. Wir wissen, dass Jules ein Racer war und wollen würde, dass sich das Team auf seinen Job konzentriert“, sagt Sportdirektor Graeme Lowdon. Was er nicht sagt, was aber durchaus wahrscheinlich ist: Dass es für die Marussia-Teamführung auch deshalb besonders schwierig ist, weil man insgeheim weiß, an dem Drama vielleicht doch zumindest eine gewisse Mitschuld zu tragen. Auch wenn es lange Zeit keiner hören wollte und will: Die von der FIA ausgewerteten Daten und Fakten beweisen: Das Team hatte in Bianchi in dieser Phase per Funk aufgefordert, zu pushen, Druck zu machen – weil von hinten ein Konkurrent näher kam, Regen, schlechte Sicht und gelbe Flaggen an der Unfallstelle hin oder her. Zum Zeitpunkt des Abflugs, in der Zone mit doppelt geschwenkten gelben Flaggen, die bedeuten, „langsam Fahren, zum Anhalten bereit machen“, war der Franzose mit Tempo 213 unterwegs.
Auch für Adrian Sutil, der jetzt als Williams-Ersatzfahrer nach Suzuka zurückkam, ist die Situation noch extremer als für die meisten anderen: Sein Abflug im Sauber war es, der den Einsatz des Bergungskrans nötig machte, der Bianchi zum Verhängnis wurde. Hinter der Leitplanke musste er den Unfall und die Folgen aus nächster Nähe miterleben. „Das sind Momente und Ereignisse im Leben, die bestimmt prägen, die das Leben ein bisschen verändern, wenn man drüber nachdenkt.“ Und wenn man so etwas live mitbekomme, dann sei es natürlich noch wesentlich intensiver: „Das war ein extremer Unfall und es hat gedauert, bis einem solche Momente wieder aus dem Kopf gehen. Es öffnet einem die Augen, was wir da eigentlich tun.“
Was sich seit dem Unfall änderte
Die Formel 1 hat seitdem einige Konsequenzen gezogen. Auch direkt in Suzuka. Das Drainagesystem wurde verbessert, damit das Wasser im Falle eines Regenrennens besser abfließen kann, in der Unfallkurve sieben steht jetzt ein größerer Kran außerhalb der Leitplanken, der von dort aus ein gestrandetes Auto aus der Auslaufzone bergen kann. Das zu Beginn der Saison eingeführte virtuelle Safety-Car eine direkte Folge des Bianchi-Unfalls: Es gibt den Piloten elektronisch genaue Geschwindigkeitsbereiche vor, die in den betroffenen Streckensektoren gefahren werden dürfen – das über Jahre immer mehr zur Gewohnheit gewordene und von den Team zum Teil auch noch geförderte und sogar geforderte Ignorieren gelber Flaggen ist damit ausgeschaltet.
Auch das Thema der geschlossenen Cockpits, eventuell mit Cockpithauben wie in Kampfjets, ist wieder und immer noch ein Thema, speziell seit dem tödlichen Indy-Car-Unfall vor ein paar Wochen von Justin Wilson, der von einem herumfliegenden Teil am Kopf getroffen wurde. Wobei so eine Lösung im Fall Bianchi auch nicht geholfen hätte: Die FIA-Unfall-Analyse ergab, dass im entscheidenden Moment des Unfalls, nachdem der Marussia unter den Kran rutschte, diesen anhob und dann von dem wieder „herunterfallenden“ tonnenschweren Monstrum abrupt abgebremst wurde, Kräfte von 254 g auf den Kopf des Fahrers wirkten. Peter Wright, der Chef der FIA-Sicherheitskommision, macht klar: Eine Cockpithaube hätte nichts gebracht: „Das Auto wäre dann vom Dach aufgehalten worden. Der Kopf hätte nicht den Kran, sondern das Dach getroffen. Mit dem gleichen Ergebnis."
Rosberg: "Alles tun, was die Sicherheit erhöht"
Trotzdem sind natürlich Situationen denkbar, speziell solche mit fliegenden Teilen, wo ein derartiges System helfen würde. Nico Rosberg ist deshalb dafür, „weil man alles tun sollte, was die Sicherheit weiter erhöht.“ Nico Hülkenberg ist einer der Wenigen, der sich offen dagegen stellt – für ihn wären geschlossene Cockpits einfach keine echte Formel 1 mehr. Er ist mit dem zufrieden, was die Sicherheit zur Zeit bietet. „Man kann den Sport nicht zu 100 Prozent sicher machen, komplett sterilisieren und alle Eventualitäten ausschließen. Das würde dem Sport auch nicht gut tun.“ Sebastian Vettel ist hin- und hergerissen: „Ich glaube, wenn so etwas passiert, wird man im ersten Moment wachgerüttelt. Die Umstände des Unfalls waren natürlich sehr speziell, und daraus musste gelernt werden und hat man auch gelernt. Andererseits gibt es immer ein gewisses Risiko, das man in Kauf nimmt - und das ist auch gut so. Das gehört zum Sport.“
Jules Bianchis Vater Philippe, der sich zwar seit dem Unfall seines Sohnes keinen Grand Prix mehr angeschaut hat, „weil ich es einfach nicht kann, es ist zu hart“, möchte die Erinnerung an Jules derweil auf eine besondere Art wach halten, eine, die direkt mit dem Rennsport verbunden ist: „Ich möchte eine Stiftung gründen, die jungen Fahrern zum Beispiel im Kartbereich helfen soll, wenn sie nicht genug Geld haben. Ich spreche mit vielen Formel-1-Piloten und ich bin mir sicher, dass sie mir helfen wollen. Ich denke, dass dieser dramatische Vorfall alle Fahrer sehr berührt hat, und ich weiß, dass es eine Menge Leute gibt, die helfen wollen.“
Von Karin Sturm