Das schnellste Auto gewinnt noch lange keine Weltmeisterschaft – das könnte McLaren auf bittere Art und Weise erfahren. Der britische Traditionsrennstall erlebt derzeit ein absolutes Hoch und hat das mit Abstand beste Gesamtpaket. Egal auf welcher Strecke, der MCL38 funktioniert auf Anhieb. In Monza dominierten Lando Norris und Oscar Piastri das Qualifying, sicherten sich mit einer starken Vorstellung die erste Startreihe. Alles war angerichtet, um die Jagd auf Red Bull und Weltmeister Max Verstappen endgültig zu eröffnen.

Als die schwarz-weiß-karierte Zielflagge geschwenkt wurde, herrschte trotz Platz zwei und drei aber eher Katerstimmung als Feierlaune bei den „Papayas“. Ein sicher geglaubter Doppelsieg wurde leichtfertig aus der Hand gegeben, die strauchelnden Red Bulls kamen sozusagen mit einem blauen Auge davon. „Es freut uns, dass Ferrari gewonnen hat“, sagte Motorsportberater Helmut Marko. „Und auch die sportliche Haltung von McLaren in der ersten Runde, und dass sie am Ende nicht die Plätze getauscht haben.“ Genau dafür muss sich das Team von Andrea Stella jetzt zu Recht Kritik gefallen lassen.

McLaren ohne Plan

Denn mit der gewählten Strategie lassen sich keine Weltmeisterschaften gewinnen, wie Runde eins unter Beweis stellte. Pole-Mann Norris hat mit der aktuellen Performance des Autos beste Chancen auf den WM-Titel und dennoch lässt es sein Team zu, dass er vom Teamkollegen Piastri attackiert und schlussendlich überholt wird. Noch schlimmer: Der Brite fiel auf Platz drei zurück und öffnete so die Tür für den Ferrari-Geniestreich von Rennsieger Charles Leclerc. Auch die ausbleibende Stallorder gegen Ende des Grands Prix sorgt für Rätselraten bei vielen Beobachtern. Aus neutraler Sicht ist die sportlich faire Einstellung natürlich ein Genuss, teamintern dürfte das fehlende Bekenntnis zu einem Nummer-eins-Fahrer jedoch für Übelkeit sorgen.

Während Ferrari, Mercedes und Red Bull in der Vergangenheit keine Probleme mit knallharten Entscheidungen zugunsten des besser platzierten Fahrers hatten, wollte sich McLaren nie auf eine Nummer eins festlegen. Angesichts der aktuellen Situation könnte sich das nun ändern. „Wir müssen uns jetzt im Klaren sein, dass wir nicht nur die Konstrukteurs-WM gewinnen können“, sagte Teamchef Stella nach dem Großen Preis von Monza. Der Rückstand von Norris auf Verstappen beträgt acht Rennen vor Saisonende 62 Punkte. Eine Aufholjagd ist nicht unmöglich – wenn der Brite Rückendeckung seines Rennstalls bekommt, weiß auch Stella. „Wir müssen Lando jetzt in die bestmögliche Situation bringen, um beide Weltmeisterschaften zu gewinnen.“