Mit nahezu prophetischen Kenntnissen sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko voraus, was im Regen-Chaos von Kanada geschehen sollte. Der Grazer kennt die aktuellen Probleme der Bullen und weiß, dass der RB20 der Konkurrenz nicht mehr kilometerweit voraus ist, teilweise sogar hinter McLaren und Ferrari zurückgefallen ist. In der Weltmeisterschaft führt Max Verstappen dennoch mit 56 Zählern Vorsprung und das hat neben dem enormen Talent, das sich vor allem im Vergleich zum strauchelnden Teamkollegen Sergio Perez zeigt, auch einen anderen Grund. „Wir hoffen, dass sich die Konkurrenz hinter uns gegenseitig Punkte wegnimmt und die zweitstärkste Kraft immer wieder wechselt. Das würde es für uns in Sachen Weltmeisterschaft etwas komfortabler machen“, sagte Marko vor dem Rennen in Montreal.
Und „etwas komfortabler“ reist der niederländische Titelverteidiger nach seinem sechsten Saisonsieg auch zum nächsten Rennen nach Barcelona (23. Juni). Denn Ferrari, von vielen nach dem monegassischen Heimsieg von Charles Leclerc als Team der Stunde betitelt, machte genau das, was Red Bull von ihnen „verlangte“: nichts. Das Doppel-Aus der Scuderia auf einer Strecke, die als Ferrari-Land galt, lässt die Bullen etwas ruhiger schlafen. Durch den „Nuller“ musste Leclerc den Weltmeister in der Fahrer-WM ziehen lassen, Verfolger Lando Norris im McLaren fehlen nur noch sieben Zähler auf Platz zwei. Schon zu Beginn hatte der Monegasse Motorenprobleme, verlor teilweise mehr als eine Sekunde pro Runde.
Ausfall schmerzt
Das riskante Manöver, mit Slicks im Regen rauszufahren, zahlte sich nicht aus, ehe der 26-Jährige seinen Boliden gegen Rennende ganz abstellen musste. „Ich habe pro Runde zehn verschiedene Motoreinstellungen versucht, dennoch sind alle links und rechts an mir vorbeigerauscht“, erklärte ein enttäuschter Leclerc. „Wir hatten erwartet, dass wir bei der Musik dabei sein würden. Es war für mich schon im Qualifying überraschend, dass wir nicht konkurrenzfähig waren. Wir haben eine Nullrunde eingefahren, unsere Gegner haben üppig gepunktet. Das tut weh.“ Vor allem mit Blick in Richtung Weltmeisterschaft schmerzt der Ausfall besonders, scheint das Momentum der Italiener völlig verflogen zu sein – auch wenn Leclerc versucht, Ruhe zu bewahren. „Wir sind nach dem Monaco-Sieg nicht in Euphorie verfallen, und wir werden auch jetzt nicht überreagieren, wo es so schlecht gelaufen ist.“
Das Momentum liegt derzeit voll und ganz bei McLaren. Der britische Traditionsrennstall fuhr in den vergangenen drei Rennen mehr Punkte ein als Red Bull, hätte ohne Safety-Car in Kanada durch Norris beste Chancen auf den nächsten Rennsieg gehabt. Das Auto scheint auf nahezu allen Strecken zu funktionieren, einzig ein durchwachsener Saisonstart könnte den Titelambitionen einen Strich durch die Rechnung machen. In dieser Form wird Verstappen auf lange Sicht kaum zu schlagen sein, vor allem mit den Problemen der Konkurrenz und den nahenden Updates in Barcelona. Abgesehen vom Titelkampf in der Fahrerwertung könnte der Formel 1 aber eine der spannendsten Saisonen bevorstehen, fand doch auch Mercedes in Person von George Russell in Kanada heuer erstmals den Weg zurück auf das Podium.