Wer war der bisher konstanteste Fahrer in der Formel-1-Saison 2021, stand immer im Q3 und klassierte sich in jedem Rennen in den Punkterängen? Die meisten würden jetzt wohl auf einen der beiden WM-Titelkandidaten, Max Verstappen oder Lewis Hamilton tippen. Doch sie lägen falsch. Denn dieses Attribut kann sich Lando Norris auf seine Fahnen schreiben. Der 21-Jährige in Diensten von McLaren schickt sich an, aus dem Schatten seines großen Kindheitsidols Hamilton zu treten, zu dem er immer aufgeschaut hat.
Das war auch noch der Fall, als er sich selbst auf dem Weg durch die Nachwuchsklassen der Königsklasse immer mehr annäherte: „ Ich schätze, je näher ich der Formel 1 gekommen bin, desto größer wurde meine Wertschätzung ihm gegenüber.“ Wenn er jetzt gegen Hamilton antritt, ab und zu sogar schon einmal vor ihm liegt, dann findet er es zwar „einfach cool, gegen einen der besten Formel-1-Piloten der Geschichte zu fahren.“ Trotzdem sei der siebenmalige Weltmeister „aber im Prinzip einfach auch nur ein anderer Fahrer. Ihn zu überholen, bedeutet nicht mehr als bei anderen im Feld.“
Norris ließ schon in seinen beiden ersten McLaren-Jahren immer wieder mit starken Leistungen aufhorchen, „aber jetzt, 2021, hat er noch einmal einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht, sich in praktisch allen Bereichen weiter verbessert“, sagt Andreas Seidl, der deutsche Teamchef des Rennstalls. So hat sich der Youngster inzwischen wohl eindeutig zum Teamleader entwickelt – auch weil Daniel Ricciardo, sein erfahrener, für viel Geld von Renault abgeworbene Teamkollege, ja ziemliche Probleme hat, mit dem McLaren zurechtzukommen.
Dass die Aussicht auf den neuen Teamkollegen ihn besonders motiviert habe, über den Winter noch einmal zuzulegen, glaubt Norris übrigens nicht. Es habe vielleicht eine kleine Rolle gespielt, „aber keine entscheidende“, sagt der WM-Vierte, der nur drei Punkte hinter dem zweiten Red-Bull-Piloten Sergio Perez liegt, aber sogar vor Valtteri Bottas im zweiten Mercedes.
Konstanz ist der Trumpf
Rein fahrerisch sieht er sowieso keinen extremen Unterschied: „Ich denke nicht, dass ich derzeit viel besser fahre als Ende 2020. Da hatte ich schon einen Schritt gemacht. Eine große Verbesserung kommt durch die Konstanz. 2020 hatte ich einige Momente, wo ich an einem Rennwochenende so gut gefahren bin wie jetzt. Ich hatte mal ein gutes Qualifying, dann ein gutes Rennen. Aber beim nächsten Mal lief es wieder bescheidener, weil ich die Quali verpatzt habe oder einen dummen Fehler im Rennen beging. Die Konstanz bringt die größte Steigerung.“
Was sich ebenfalls verändert habe, sei seine Arbeitsauffassung. Auch wenn er schon immer hart gearbeitet habe, verbringe er jetzt noch mehr Zeit mit den Ingenieuren, säße häufiger im Simulator, gehe nach einem Rennwochenende verstärkt in Klausur. „Ich gehe mehr ins Detail“, sagt Norris. Die Kleinigkeiten könnten in Summe enorm viel bewirken. „Heuer konzentriere ich mich mehr auf mich selbst, verbringe mehr Zeit damit nachzudenken, wo ich mich weiter verbessern kann.“
Die Einstellung zum Job ist auch etwas, was das zweite britische Top-Nachwuchstalent auszeichnet. George Russell, seit Jahren im Mercedes-Nachwuchsprogramm, im Moment allerdings noch bei Williams „geparkt“, verblüfft vor allem im Qualifying immer wieder mit Glanzvorstellungen in dem unterlegenen Auto. Zuletzt in Spielberg schaffte es der 23-Jährige ja sogar bis ins dritte Qualifying. Nur mit einem WM-Punkt hat es noch nicht geklappt – entweder verhinderten dies technische Probleme oder – wie vor knapp zwei Wochen – ein extrem kämpferisch aufgelegter Fernando Alonso, der Russell eine Runde vor Schluss den zehnten Platz noch abjagte.
Russell bald bei Mercedes?
Was er in einem Top-Auto leisten kann, bewies Russell ja schon Ende der letzten Saison, als er in Bahrain für den coronainfizierten Hamilton bei Mercedes einsprang, sofort mindestens auf dem Niveau von Valtteri Bottas fuhr und nur durch viel Pech und einen verpatzten Boxenstopp seinen ersten GP-Sieg verpasste. Ob er dieses Top-Cockpit, den Mercedes, nun für 2022 endlich bekommt, als Nachfolger von Bottas, ist noch nicht sicher. Viele im Fahrerlager glauben allerdings daran und hatten ursprünglich sogar eine Bekanntgabe im Laufe des britischen GP-Wochenendes erwartet. Die wird es allerdings laut Russell definitiv nicht geben: „Noch ist nichts entschieden.“
Karin Sturm