Den sogenannten „Kaltstart“ Ende August in Neuseeland sieht Superstar Anna Gasser aus zwei Blickwinkeln. „Es war ziemlich zäh, da wir richtiges Wetterpech hatten, es wird immer windiger und das macht es unberechenbar und auch gefährlich. Noch dazu hatte ich sehr wenige Kicker-Tage in den Beinen. Und ich brauche eigentlich viele Sprünge, um Selbstvertrauen zu tanken und sie gehen mir nach wie vor ab.“ Ihr Ziel mit einem guten Resultat, sprich Rang fünf, sei jedenfalls erfüllt - die ersten Olympiapunkte sind dementsprechend in der Tasche. Die 33-jährige Kärntnerin ist jener Charakter, der am liebsten so früh wie möglich ihr Punktekonto aufstockt, „denn es braucht nur etwas passieren und dir fehlen am Ende die nötigen Punkte“.
Eine Tatsache lässt die mehrfache X-Games-Gewinnerin allerdings in ihre Gedankenwelt versinken. Der schwere Sturz Ende Jänner in Aspen, als die Millstätterin nach einem „Frontside Triple Cork 1260“ mit vollem Karacho auf die Piste krachte und regungslos liegen blieb, stellt sie zwar nicht vor die Sinnfrage, aber es löste etwas in ihr aus. Sie beschreibt es als „Peitschenschlag für den gesamten Körper“, blieb wie durch ein Wunder nahezu unverletzt.
„Mein Körper musste über viele Jahre richtig viel einstecken“
„Ich hatte enormes Glück. Anschließend ist mir durch den Kopf gegangen, dass ich nicht weiß, wie viele Stürze mein Körper noch aushält. Viele können es vielleicht nicht nachvollziehen, aber mein Körper musste über viele Jahre richtig viel einstecken. Und da bin ich bei dem Punkt, den ich nicht überschreiten will“, verdeutlicht „Österreichs Sportlerin 2017, 2018 sowie 2022“, die mittlerweile eine Sache ausschließt: „Ich werde nichts mehr erzwingen.“
Die Millstätterin, der 2013 als erste Frau ein doppelter Rückwärtssalto mit zweieinhalb schraubenförmigen Drehungen gelungen ist, spricht schonungslos aus, dass sie viel öfter an ihre körperlichen Grenzen stößt. „Ich frage mich, wie viel Risiko ich noch gehen will, mit dem, was ich erreicht habe. Man darf nicht vergessen, dass viele Konkurrentinnen zehn Jahre oder mehr jünger sind. Jeder Trick wird schwerer und schwerer, das Level ist so extrem hoch, ich muss permanent ans Limit gehen“, weiß Gasser vor dem anstehenden Weltcup-Big-Air im schweizerischen Chur selbstverständlich um ihre Qualitäten.
Motivationsprobleme? Fehlanzeige!
Dem Big-Air-Spektakel Anfang Jänner im Klagenfurter Wörthersee Stadion fiebert die Lokalmatadorin entgegen. „Ich bin schon so gespannt, kann es kaum erwarten.“ Die WM im März in St. Moritz gibt der Überfliegerin eine gewisse Lockerheit. „Nach zwei Titeln beruhigt mich das. Ich werde alles geben, aber Druck verspüre ich keinen.“ Motivationsprobleme? Fehlanzeige! „Ich liebe und lebe diesen Sport, aber es wird diesen einen Moment geben, an dem ich das Zepter an jemanden anderen übergeben werde.“ Die Hochzeit mit ihrem Freund und Freestyler Clemens Millauer, der Hausbau in Millstatt sowie der Hund müssen allerdings noch eine Weile warten.