Sie interessiere der Prozess. „Wie du einen Sportler knetest“, hat Eteri Tutberidse einmal einem Interview erzählt. „Du erschaffst ihn, entwickelst im Kopf eine Gestalt …“ Tutberidses favorisierter Schützling Kamila Walijewa, nach einem positiven Dopingtest im Dezember in aller Munde, ist bei den Olympischen Winterspielen nach mehreren Stürzen in der Kür noch aus den Medaillenrängen gefallen.

Walijewa wurde nach ihrem siegreichen Auftritt im Teamwettbewerb als Jahrhunderttalent gefeiert, galt als Favoritin, ihre Trainerin Tutberidse aber kann sich trotzdem als Siegerin fühlen: Mit Anna Schtscherbakowa und Anna Trussowa holten zwei andere Vierfachspringerinnen aus ihrer Trainingsgruppe Gold und Silber.

Seit Jahren produziert Tutberidse Goldmedaillengewinnerinnen serienweise: Julija Lipnizkaja, Olympiasiegerin 2014, Jewgenija Medwedewa, Weltmeisterin 2016 und 2017, und Alina Sagitowa, Olympiasiegerin 2018, Weltmeisterin 2019.

Aber dass vergangenen Dezember ausgerechnet in einer Dopingprobe ihres Wunderkindes Walijewa ein chemischer Cocktail einschließlich des verbotenen Herzmittels Trimetazidin entdeckt wurde, stellt auch die mit zwei hohen russischen Orden ausgezeichnete Wundertrainerin infrage. Im russischen Internet kursiert seit Tagen der Hashtag „#SchandeTutberidse“.

Die gnadenlose Trainerin mit Charme

Eteri Tutberidse besitzt Charisma, ihre Stirn ist frei von Zweifelsfalten, ihr braunäugiger Blick hat etwas Eisernes. Auch mit 47 Jahren hat die georgisch stämmige Moskauerin noch die Figur eines Fotomodells. Tutberidse ist keine Schleiferin, die ihre Schützlinge mit Mutterflüchen durch die Eishalle jagt. Aber sie gilt als kompromiss- bis gnadenlos. Die Mutter der damals 14-jährigen Alina Sagitowa musste auf ihre Forderung Moskau verlassen, bis Alina olympisches Gold holen würde, weil sie das Kind verzärtele.

Eiskunstläufer sollten laut Tutberidse schon im Alter von fünf Jahren mit dem Training anfangen,  klein gewachsen, mager und sehr gelenkig sein. Und sie sollten das Springen in einem Alter lernen, in dem sie noch keine Angst davor haben. „Sie müssen Vierfachsprünge als Selbstverständlichkeit betrachten.“

Disziplin und enorme Trainingsumfänge

Tutberidse musste wegen ihrer Größe und mehrerer Sprungverletzungen von Eiskunstlauf zum Eistanzen wechseln. „Ich war erniedrigt und beleidigt“, sagt sie, „ich habe die Eiskunstläuferinnen immer beneidet.“ Nach eigenen Angaben misst sie etwa 1,76 Meter. „Ich wollte immer klein oder mittelgroß sein. Das ist viel komfortabler.“ Fast scheint es, als erschaffe die Trainerin sich in ihren Schützlingen selbst neu.

Die Medien feiern ihre Eisprinzessinnen als außerirdische Talente. Tatsächlich sind sie Produkte des knochenharten russischen Erfolgssystems, das Tutberidse perfektioniert hat: Aus kleinen Kindern mit strengster Disziplin, enormen Trainingsumfängen und immer früheren Vierfachsprüngen Weltklassesportlerinnen machen, bevor sie Busen und Gewicht ansetzen. Julija Lipnizkaja zwang sie mit 15 wegen Gewichtsproblemen zu einer Diät aus Kefir und dem Proteinpulver Squeezy. Lipnizkaja verschwand wie die meisten der Goldmedallistinnen Tutberidses bald nach ihrem Olympiasieg aus Tutberidses Trainingsteam und dem Leistungssport, erkrankte später an Magersucht.

Die Startrainerin redet von 12-stündigen Trainingstagen und von dem Herzmittel Meldonium als Mittel gegen die Müdigkeit. „Meldonium hat keine Dopineigenschaften“, sagte sie vor drei Jahren im Staatsfernsehen: Es hilft nicht, schneller, höher oder weiter zu springen, es hilft nur, sich zu regenerieren.“  Meldonium, schon damals als Doping verboten, soll Blutversorgung und Ausdauer erhöhen. Die gleichen Eigenschaften besitzt das ebenfalls als Doping gelistete Trimetazidin, das in Walijewas A-Probe gefunden wurde. Eigenschaften, die noch mehr Training erlauben.

Die Anwälte der 15-Jährigen behaupteten, die Substanz sei über ein Wasserglas ihres herzkranken Großvaters in ihren Organismus gelangt. Dabei habe sie vor dem positiven Test selbst Herzmedikamente angegeben. Es scheint also logischer, dass Trimetazidin das Mittel ist, von dem Tutberidze 2019 sagte, nach dem Verbot von Meldonium habe man etwas Neues suchen müssen.

Bei den nächsten Olympischen Spielen wäre Walijewa 19 Jahre alt.  Fraglich, ob sie dann noch klein und mager genug sein wird für Tutberidse. Oder ob es ihr ergeht wie Julija Lipnizkaja. „Die ganze Welt war von ihr begeistert“, kommentierte Tutberidse einst deren frühen Abgang, „sie hat ihren Teil Liebe bekommen“.