Argentinien ist neuer Fußballweltmeister. 26 Tage nach der 1:2-Auftaktschmach gegen Saudi-Arabien ließ sich die "Albiceleste" in einem völlig verrückten Endspiel in Lusail auch von einem Triple Kylian Mbappes (80./Elfer, 81., 118./Elfer) nicht beeindrucken und besiegte Titelverteidiger Frankreich im Elferschießen mit 4:2 (3:3,2:2,2:0). Mann des Spiels war Altmeister Lionel Messi, der zwei Tore schoss und sich damit spät den Traum vom WM-Titel erfüllte.
Argentiniens drittes Tor erzielte Angel di Maria (36.). In der Torschützenliste hatte der 35-jährige Messi mit 7 Treffern zwar das Nachsehen gegenüber Mbappe (8), bei seiner fünften und erklärtermaßen letzten WM verleibte er sich vor 88.966 Zuschauern nun bei der Endrunde in Katar aber erstmals das Sehnsuchtsobjekt WM-Pokal ein. Es ist der dritte Titel für Argentinien nach 1978 und 1986. Frankreich hingegen scheiterte am Versuch, erstmals seit Brasilien 1962 einen Titel erfolgreich zu verteidigen. Der 44 jährige Lionel Scaloni machte sich zum jüngsten Weltmeister-Trainer seit 1978, als sein Landsmann César Luis Menotti 39-jährig Argentinien zum Titel führte.
Erwartungsgemäße Formationen beider Teams
Frankreich tauchte trotz einiger Fragezeichen in den vergangenen Tagen mit seiner Stammformation auf. Verteidiger Dayot Upamecano und Mittelfeldspieler Adrien Rabiot, die im Halbfinale gegen Marokko noch erkrankt gefehlt hatten, waren ebenso dabei wie der zuletzt kränkelnde Abwehrchef Raphael Varane, der angeschlagene Theo Hernández und Aurélien Tchouaméni. Kingsley Coman und Ibrahima Konaté saßen nach ihren Erkältungen auf der Bank. Die Argentinier veränderten ihre Startelf im Vergleich zum Halbfinale gegen Kroatien nur auf einer Position: Routinier Di María rückte für Leandro Paredes ins Team - zum ersten Mal in der K.o.-Runde.
Schon der Beginn zeigte eines: Di Marias Hereinnahme zahlte sich aus. Der 34-Jährige war immer wieder in die Angriffsaktionen der äußerst offensiv auftretenden "Gauchos" involviert, und auch wenn sich daraus keine Topchancen ergaben, so gehörten die ersten 20 Minuten klar Argentinien. Frankreich wirkte hingegen nervös, im Spielaufbau fehlerhaft und brauchte 14 Minuten, um sich vorne überhaupt einmal bemerkbar zu machen. Mbappe war ebenso unsichtbar wie der bisher so starke Antreiber Antoine Griezmann.
Das 1:0 für war die fast logische Konsequenz, ebenso logisch wie der Vorbereiter. Di Maria zog einmal mehr von außen in den Strafraum, dort brachte ihn Ousmane Dembele zu Fall. Messi, der in seinem 26. WM-Spiel am Deutschen Lothar Matthäus vorbeizog und nun alleiniger Rekordhalter ist, ließ sich die Chance vom "Punkt" nicht entgehen. Trocken verlud der 37-Jährige mit einem Flachschuss ins rechte Eck Lloris. Laut dem Datenanbieter "Opta" ist Messi damit der einzige Spieler, der bei einer WM in der Gruppenphase, dem Achtel-, Viertel- und Halbfinale sowie im Endspiel getroffen hat.
Am Geschehen änderte sich nichts. Frankreich wirkte geschockt, fand nicht zu seinem Spiel, wurde von den ebenso bissigen wie disziplinierten sowie unermüdlich laufenden Argentiniern auch alles andere als dazu ermuntert. Symptomatisch der Ballgewinn vor dem 2:0. Über Messi und Julian Alvarez fand das Rund den Weg zu Alexis Mac Allister, der den mitlaufenden Di Maria perfekt bediente. Der Juventus-Legionär machte den vielleicht etwas zu zögerlichen Lloris nach diesem perfekten Konter mit einem gefühlvollen Heber zum zweiten Mal an diesem Abend zum Geschlagenen. Freudentränen bei Di Maria waren die Folge.
Mbappe und Co. wirkten ratlos, Didier Deschamps reagierte noch vor der Pause mit einem Doppeltausch: Olivier Giroud, vierfacher Katar-Torschütze, ging ebenso wie Dembele, es kamen Marcus Thuram und Randal Kolo Muani (41.). Frankreichs Bilanz zur Pause jedenfalls war erschreckend: Kein einziger Torschuss stand zu Buche.
Der Weckruf blieb bei Blau-Weiß-Rot lange ungehört. Auch nach dem Seitenwechsel war die Ideenlosigkeit im Angesicht eines leidenschaftlich verteidigenden Gegners deutlich zu sehen, gefährliche Aktionen kreierte lange nur Argentinien. Rodrigo de Paul prüfte Lloris bei einem zu zentralen Volley (50.), dann griff der Goalie gegen Julian Alvarez aus spitzem Winkel ein (59.), Rabiot blockte in höchster Not Messis Versuch (61.) und Lloris war schließlich um Zentimeter vor Mac Allister am Ball (63.).
"Les Bleus" drehten in der Schlussphase auf
Frankreich hatte in der letzten halben Stunde gegen die geschlauchten Argentinier zwar mehr vom Ball, brachte aber kaum Gefahrenmomente oder gar Chancen auf den Weg. Ein Mbappe-Weitschuss (71.) blieb sehr lange das einzig Nennenswerte, doch dann kam die 79. Minute, und alles wurde anders: Erst traf Mbappe vom Elferpunkt sicher, nachdem Nicolas Otamendi den enteilenden Kolo Muani unnötigerweise zu Fall gebracht hatte. Nur kurz darauf schloss er nach Comans Balleroberung einen Doppelpass mit Thuram im Fallen mit einem herrlichen Volley ins lange Eck ab.
Die Partie stand nun auch spielerisch Kopf. Frankreich bestimmte das Geschehen, die argentinischen Akkus schienen aufgebraucht. Auch wenn Messi mit einem zu zentralen 20-Meter-Versuch Lloris zum Eingreifen zwang (94.+6). Immerhin schleppte sich Argentinien in die Verlängerung und fand dort durch "Joker" Lautaro Martinez (105., 105.+2) sogar zwei gute Chancen auf die neuerliche Führung vor, Ex-Salzburger Upamecano hatte beide Male aber entscheidend den Fuß im Spiel.
Die Rückkehr Argentiniens zeichnete sich spätestens ab, als Lloris gegen Messi eingreifen musste (108.), wenig später war es aber soweit: Argentiniens Talisman traf, nachdem Lloris einen Martinez-Schuss nur abprallen lassen hatte. Doch das Schicksal hatte noch etwas vor mit dieser Partie. Mbappe durfte neuerlich zum Elferpunkt, weil sich Gonzalo Montiel im Strafraum ein Handspiel geleistet hatte, und verwertete einmal mehr souverän.
Das Elferschießen war Gewissheit, wenige Sekunden nachdem Argentinien-Goalie Emiliano Martinez einen Schuss Kolo Muanis glänzend pariert hatte (120.+3). Martinez spielte schließlich auch im letzten Akt die Hauptrolle. Nach den geglückten Auftaktelfern Messis und Mbappes parierte er Comans Schuss und brachte auch Aurelien Tchouameni zu einem Fehlversuch. Weil nach Messi Paulo Dybala, Leandro Paredes und Montiel für Argentinien trafen, war die Entscheidung gefallen.
"Ich kann nicht glauben, dass wir in einem perfekten Spiel so leiden mussten", sagte Argentiniens Trainer Lionel Scaloni. "Unglaublich, aber dieses Team findet auf alles eine Antwort. Ich bin stolz auf die Arbeit, die sie geleistet haben. Es ist eine aufregende Truppe. Mit den Schlägen, die wir heute einstecken mussten, mit dem zweimaligen Ausgleich, das macht dich emotional. Das ist ein historischer Moment für unser Land. Die Leute sollen das genießen."
Sein Pendant Didier Deschamps, der seine Zukunft bei der "Équipe Tricolore" offen ließ, meinte: "Es sollte nicht sein. Für die ganze Mannschaft ist es seit einiger Zeit schwierig. Wir hatten nur vier Tage seit dem letzten Spiel. Also war da vielleicht auch etwas Müdigkeit. Aber das ist natürlich keine Entschuldigung. Wir haben einfach nicht die gleiche Energie wie in den letzten Spielen gezeigt."