Kroatien hat Brasiliens Traum von der "Hexa" beendet und steht wie vor vier Jahren im WM-Halbfinale. Der Vizeweltmeister von Russland setzte sich am Samstag im Viertelfinale gegen den fünffachen Weltmeister nach Elfmeterschießen mit 4:2 durch. Nach 120 Minuten war es 1:1 gestanden. Neymar legte für Brasilien in der Verlängerung vor (105.+1), dem eingewechselten Bruno Petkovic (117.) gelang aber noch der Ausgleich.
In der Elfer-Entscheidung scheiterte Rodrygo an Dominik Livakovic, Marquinhos schoss an die Stange. Für Kroatien trafen alle vier angetretenen Akteure. Neymar schien die Partie vor knapp 44.000 Zuschauern davor scheinbar entschieden zu haben. Brasiliens Superstar überwand nach zweifachem Doppelpass den zuvor glänzend haltenden Livakovic. Mit seinem 77. Treffer im Nationalteam-Trikot zog Neymar mit Brasiliens derzeit im Krankenhaus liegender Fußball-Legende Pelé (82) gleich. Es war zu wenig, da Kroatien noch den Ausgleich schaffte. Im Halbfinale trifft das Team von Zlatko Dalic am Dienstag auf den Sieger des Spiels zwischen Argentinien und den Niederlanden.
Brasilien hatte am Ende ausgetanzt, nachdem der Mitfavorit selbstbewusst ins achte WM-Viertelfinale in Folge gegangen war. Trainer Tite sah nach dem 4:1 gegen Südkorea keinen Grund, seine Formation zu wechseln. "Jogo bonito", das schöne Spiel, blieb diesmal aber aus. Die Kroaten machten schon in den ersten Minuten klar, dass man einen anderen Gegner abgeben würde. Nach dem Elferkrimi gegen Japan standen mit dem wieder fitten Linksverteidiger Borna Sosa und Rechtsaußen Mario Pasalic zwei Neue in der Startelf.
Kroatien trat selbstbewusst auf
Luka Modric und Co. nutzten ihre Vorteile im Mittelfeld zunächst und versuchten den Spielaufbau der Südamerikaner früh zu stören. Bei einer Pasalic-Hereingabe verpasste Ivan Perisic den Abschluss (13.). Brasiliens Defensive ließ aber sonst nichts zu. Das galt auch für die kroatische Abwehr, die ihre physische Stärken einsetzte. Richarlison, Neymar oder Vinicius Jr. fanden kaum Raum für Kombinationen. Neymar ließ sich oft zurückfallen, um den Einfädler zu geben, die zündende Idee blieb vorerst aus.
Brasiliens Poster-Boy bot sich kurz vor der Pause noch eine Chance per Freistoß. Der leicht abgefälschte Versuch war leichte Beute für Livakovic. Vor den Augen von ehemaligen brasilianischen Größen wie Ronaldo, Roberto Carlos oder Rivaldo zeigte die Selecao mit Pausenpfiff noch viel Luft nach oben.
Die Pause zeigte Wirkung, Brasilien nahm danach Fahrt auf. Bei einer Hereingabe von Vinicius Jr. prüfte Josko Gvardiol bei einer Rettungsaktion den eigenen Schlussmann (47.), eine Minute später sprang Josip Juranovic der Ball im Strafraum unglücklich an die Hand. Der VAR-Check ergab zurecht keinen Elfmeter. Neymar tauchte nach idealer Vorarbeit von Richarlison vor Livakovic auf, konnte diesen aus spitzem Winkel aber nicht überwinden (55.).
Kroatien wankte, und versuchte, Tempo aus dem Spiel zu nehmen. Tite brachte mit Antony und Rodrygo für Raphinha und Vinicius Jr. indes frische Offensivkräfte. Der aufgerückte Lucas Paqueta stand mit etwas Ballglück erneut vor Livakovic, der Dinamo-Zagreb-Keeper blieb ebenso Sieger (66.) wie gegen Neymar (76.). Auch Dalic versuchte, den Angriff mit frischen Akteuren zu beleben. Brasilien drückte im Finish der regulären Spielzeit noch einmal, konnte das Tor aber nicht erzwingen.
Comeback in der Verlängerung
Kroatien musste erneut in die Verlängerung. Einmal bot sich die Chance, das Spielgeschehen auf den Kopf zu stellen. Petkovic düpierte zwei Brasilianer, Marcelo Brozovic schoss jedoch deutlich übers Tor (103.). Noch vor dem Abpfiff der ersten Hälfte der Verlängerung brandete dann Jubel auf. Neymar kombinierte mit Rodrygo, dann mit Paqueta, stand wieder alleine vor Livakovic und ließ den Kroaten dieses Mal aussteigen. Der 30-Jährige ist nun einer von nur drei brasilianischen Spielern, die bei drei verschiedenen Weltmeisterschaften getroffen haben. Vor ihm war dies nur Pelé und Ronaldo gelungen.
Während sich Brasilien sicher fühlte, musste Kroatien reagieren. Ein Zagreb-Gespann rettete das Team in die Entscheidung. Der ebenfalls eingewechselte Mislav Orsic war links durch und fand Petkovic, dessen abgefälschte Direktübernahme Alisson nicht bändigen konnte. Es war der einzige Schuss auf das brasilianische Gehäuse im gesamten Spiel.
Wieder musste Kroatien in die Elfer-Entscheidung, wieder wurde Livakovic zum Helden. Er parierte gegen Rodrygo zunächst den vierten Elfer bei dieser WM in Folge. Während alle Kroaten trafen, schoss Marquinhos als fünfter Brasilianer dann an die Stange.
Kroatien verlängerte damit auch eine unglaubliche Serie. Bei den jüngsten beiden Weltmeisterschaften gelang in den K.o.-Phasen fünfmal der Aufstieg nach 120 Minuten und mehr. Gegen Dänemark (i.E.), Russland (i.E.) und England (n.V.) zogen die Südosteuropäer vor vier Jahren ins Finale vor. In Katar kam sie nun gegen Japan und Brasilien zweimal im Elferschießen weiter. Auch bei Brasilien geht eine Serie weiter: Auch im fünften Anlauf wurde ein K.o.-Duell gegen ein europäisches Team verloren. Davor war gegen Frankreich (2006), die Niederlande (2010), gegen Deutschland (2014) und Belgien (2018) Endstation.
Tore: 0:1 (105.+1) Neymar; 1:1 (117.) Petkovic
Elfmeterschießen: 1:0 - Vlasic trifft 1:0 - Rodrygo scheitert an Livakovic 2:0 - Majer trifft 2:1 - Casemiro trifft 3:1 - Modric trifft 3:2 - Pedro trifft 4:2 - Orsic trifft 4:2 - Marquinhos Stange
Kroatien: Livakovic - Juranovic, Lovren, Gvardiol, Sosa (110. Budimir) - Modric, Brozovic (114. Orsic), Kovacic (106. Majer) - Pasalic (72. Vlasic), Perisic - Kramaric (72. Petkovic)
Brasilien: Alisson - Eder Militao (106. Alex Sandro), Marquinhos, Thiago Silva, Danilo - Paqueta (106. Fred), Casemiro - Raphinha (56. Antony), Neymar, Vinicius Jr. (64. Rodrygo) - Richarlison (84. Pedro)
Gelbe Karten: Brozovic, Petkovic bzw. Danilo, Casemiro, Marquinhos
Schüsse: 9 bzw. 19
Schüsse aufs Tor: 1 bzw. 11
Corner: 3 bzw. 7
Abseits: 3 bzw. 3
Fouls: 22 bzw. 24
Ballbesitz: 44:41 Prozent (15 Prozent umkämpft)
Spieler des Spiels: Dominik Livakovic (Kroatien)