"No llores por mi Argentina", "Weine nicht um mich, Argentinien", lassen Andrew Lloyd Webber und Tim Rice Evita alias Eva Peron die Nationalheilige des Landes im gleichnamigen Musical singen, und der Titel war im Grunde aufgelegt, um ihn einem Lionel Messi in den Mund zu legen. Sie waren wohl schon vielfach in der Schublade, die vorzeitigen Abgesänge auf das argentinische Fußballteam, doch der Ausnahmekicker tat ihnen, den Totengräbern, diesen Gefallen vorerst zumindest noch nicht. Das Team der "Albiceleste" stand als einer der Topfavoriten nach der 1:2-Blamage gegen Saudi-Arabien auf der Abschussliste, doch es blieb dem 35-Jährigen vorbehalten, den vorbereiteten Nachrufen bis auf Weiteres die Rote Karte zu zeigen.
In der 64. Minute der Partie gegen wackere, aber offensiv zu harmlose Mexikaner ließen die Gegner Messi knapp hinter der Strafraumgrenze ein paar Zentimeter zu viel Platz und schon hatte es im von Guillermo Ochoa seit 17 Jahren und oftmals prächtig gehüteten Tor eingeschlagen. Der orkanartige Jubel der Weiß-Blauen verlängerte den "Strich" ins Unbeschreibliche. Alle, die Argentinien die Daumen drückten, nahmen den Treffer offenbar als Akt der Befreiung wahr.
Dabei waren die Argentinier alles anderes als unverkrampft in diese Partie gegangen. Für flüssige Aktionen am laufenden Band fehlte vor allem die mentale Elastizität, die den fußballerischen Fähigkeiten zuwiderlief. Das galt für beide Seiten, wobei die Mexikaner zwar um Tempo bemüht waren, aber in ihrem Speedy-Gonzalez-Übereifer oftmals den Ball nicht miteinkalkulierten. Sehr lange mühten sich beide Mannschaften ab, wenngleich Messi & Co. ständig versuchten, dem Spiel eine erkennbare Linie mit auf die Reise zu geben, die aus ihrer Sicht nicht schon nach der Gruppenphase zu Ende sein durfte.
Das gelang mäßig bis mittel, und erst mit dem Treffer wurde der Fußball argentinischer Prägung wiederentdeckt. Die Mexikaner konnten sich aus der durch den ersten Gegentreffer erlittenen Schockstarre nicht mehr befreien, während die Argentinier die wiedergewonnenen spielerischen Freiheiten auszuleben begannen. Dies mündete fast zwangsläufig im zweiten Treffer, dem weitere hätten folgen können.
Die argentinische Fußballwelt ist mit diesem Sieg zwar noch nicht heil, aber Messi darf ihn noch weiterleben, seinen Traum vom WM-Titel. Vorerst ist dafür ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Polen nötig. Und dann dürfen sie wieder hoffen, die Mannschaft und das mitleidende Volk.