Historisch gesehen geht die Idee des „Kafala“ auf eine islamische Tradition zurück, die dem Schutz von schwachen und verwundbaren Menschen diente. Ein wesentliches Element dabei war, dass der „Bürge“ keine Gegenleistungen für seine Unterstützung verlangen durfte. Die britische Kolonialmacht machte sich dieses System im frühen 20. Jahrhundert zunutze, um ihre Kontrolle in der Golfregion auszubauen. Wurde das „Kafala“-System bis dahin weitgehend zur Sicherung von finanziellen und rechtlichen Bürgschaften angewandt, wendeten die Engländer dieselbe Logik auf den Arbeitsmarkt an und installierten ein System für „Arbeits-Sponsoring“, das Einreise- und Ausreise-Genehmigungen oder Arbeitsbewilligungen einschloss. Nach der Entdeckung von Erdöl und dem rapiden Anstieg der Migration wurde das instrumentalisierte „Kafala“-System an die lokalen Autoritäten übergeben. Von der ursprünglichen Idee, Menschen dadurch zu beschützen, war nichts mehr übrig.
Besonders für internationale Recruiter und Headhunter hat sich in jüngerer Vergangenheit daraus ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem sie vor allem dank des hohen Bedarfs an Arbeitern in Billiglohn-Jobs Profit machen. Obwohl offiziell verboten, verlang(t)en diese „Recruiter“ von Menschen aus armen Ländern, die unbedingt nach Katar wollen, um selbst mit Niedrigeinkommen die Familien zuhause ernähren zu können, horrende Vermittlungsgebühren. Befragungen ergaben, dass Arbeiter, die in Katar monatlich rund 300 Euro verdienen, teilweise 1000 Euro oder mehr bezahlen mussten, um im Flieger nach Katar zu sitzen.
Im Jahr 2019 waren mit 883.000 Menschen 40 Prozent der gesamten arbeitenden Bevölkerung Katars in der Bauindustrie beschäftigt – jenem Sektor, in dem großteils sehr niedrige Löhne bezahlt werden und der damit Zielpunkt der vehementen Kritik von Menschenrechtsorganisationen war. Eines der Hauptprobleme neben den inakzeptablen Arbeitsbedingungen: Viele der Arbeiter, die in abgeschirmten Lagern hausen müssen, warteten Monate auf ihre Gehälter. Allein 2020 reichten 9000 Arbeiter mithilfe der „International Labour Organization“ (ILO) Beschwerden beim katarischen Arbeitsministerium ein. Rund um die WM verbesserten sich die Bedingungen für Arbeiter – oft aber nur für jene, die an WM-Projekten arbeiteten.
Andreas Neubauer