Am 20. November erfolgt der Ankick zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, und die Wege, die zum wohl umstrittensten Turnier der Sportgeschichte führten, können mittlerweile zumindest in weiten Teilen nachgezeichnet werden. Nachvollziehbar sind sie nicht. Sie sind gesäumt von haarsträubenden, skandalösen Vorgängen, der Ausbeutung der Arbeiter bis hin zu den schrecklichen Ereignissen rund um die großteils nicht aufgeklärten Todesfälle auf den WM-Baustellen.
Trotz zahlreicher der seit 15 Jahren permanent laufenden PR-Maschinerie unterworfenen Versuche, die Spuren zu verwischen, wurde einiges aufgedeckt. Den von den Gremien, allen voran dem Fußball-Weltverband FIFA beschlossenen Ablauf stoppen bzw. gar umkehren konnten die Enthüllungen nicht. Das liegt vor allem an den herrschenden und in diesem Fall doppelt abgesicherten autoritären Strukturen, also in der FIFA und im Staat Katar. Allerdings könnte die Angelegenheit zu rechtlichen Spätfolgen führen.
Der zeitliche Rückpass landet zunächst bei bzw. unmittelbar vor der Vergabe im Jahr 2010, die damals gemeinsam mit der schon längst über die Bühne gegangenen WM 2018 in Russland erfolgt war. Seit 2016 ermittelt die französische Justiz in der Causa des Vorspiels zur am 2. Dezember erfolgten Entscheidung zugunsten des Emirats. Katar setzte sich im entscheidenden Votum gegen die USA mit 14:8 durch.
Die Behörden aber interessiert gemäß Recherchen von Radio France besonders ein Treffen, das am 23. November, also neun Tage vor der Vergabe, im Pariser Elysee-Palast über die Bühne ging, im Amtssitz des französischen Präsidenten, der damals Nicolas Sarkozy hieß. Aus von der Polizei bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Dokumenten geht hervor, dass an dem Meeting, es handelte sich um ein Mittagsmahl, neben Sarkozy unter anderem der damalige UEFA-Präsident und FIFA-Vizepräsident Michel Platini sowie der Thronfolger von Katar und jetzige Emir Tamim bin Hamad al Thani, teilnahmen.
Sichergestellte Notizen lassen den Schluss zu, dass es darum ging, Platini von den Vorzügen eines Votums für Katar zu überzeugen. Frankreich zog nach der Vergabe tatsächlich Milliardenaufträge aus dem Scheichtum an Land, darunter etwa den 2015 erfolgten Verkauf von 24 Dassault-Rafale-Kampfflugzeugen im Wert von rund 4 Milliarden Euro.
Platini stimmte dann auch, wie er später freimütig öffentlich einräumte, tatsächlich für Katar, und die Vermutungen gehen dahin, dass er seinen nicht unerheblichen Einfluss insofern geltend gemacht haben soll, auch einige seiner europäischen Kollegen im für die Wahl zuständig gewesenen FIFA-Exekutiv-Komitee für Katar zu begeistern. Auch der Kauf des zur französischen Nummer eins im Vereinsfußball aufgestiegenen Klubs Paris St. Germain durch die Kataris soll bei diesem Treffen angeregt worden und Teil der Abmachungen gewesen sein.
Platini hat die Vorwürfe stets bestritten und gegenüber den Ermittlern erklärt, schon vorher auf der Seite Katars gestanden zu sein. Dies habe er dem Präsidenten (Sarkozy) sagen wollen. Selbst wenn dies stimmen würde: Die Kataris betonen ja stets, dass der Sport im Vordergrund stehen solle. Doch mehr Politik geht nicht.
Ein paar Jahre später sollte die FIFA die nächste Pointe in der Katar-Saga liefern. Anlass waren die klimatischen Bedingungen. Inzwischen waren die Verantwortlichen nämlich zur Erkenntnis gelangt, dass ein Sommer-Termin angesichts von Temperaturen weit jenseits der 40 Grad eher doch nicht zum Fußballspielen geeignet sei.
Der Österreicher Georg Pangl, einst Bundesliga-Vorstand und später Generalsekretär der Vereinigung der europäischen Fußball-Ligen, beschreibt in seinem Buch "Mein Theater der Träume" sehr anschaulich die teilweise äußerst skurrilen Abläufe bis hin zur am 19. März 2015 erfolgten Entscheidung, das Turnier im November und Dezember 2022 auszutragen. Der Burgenländer war bei der entscheidenden Sitzung als Beobachter mit von der Partie.
Gegenpositionen blieben ohne Gehör, entschieden (einstimmig, wie es hieß) wurde autoritär unter dem Vorwand demokratischer Abläufe (die es freilich nicht gab). Ungeklärt bleibt die Frage, warum die klimatischen Bedingungen bei der Vergabe-Entscheidung offenbar keine Rolle spielten. Katar hätte mit Kühlsystemen für Stadien 2010 eine WM im (europäischen) Winter wohl niemals die Zustimmung erhalten.
Pangl weist in diesem Zusammenhang auch auf die Geschichte des chilenischen Fußball-Spitzenfunktionärs Harold Mayne-Nicholls hin. Dieser war Vorsitzender der Evaluierungskommission der FIFA bei den Bewerbungen für die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 und hatte Russland bzw. Katar jeweils an die letzte Stelle gereiht. Später kritisierte er wiederholt die Entscheidungen und damit auch den Weltverband. 2015 wurde Mayne-Nicholls von der FIFA für sieben Jahre suspendiert, also aus dem Verkehr gezogen. Der Internationale Sportgerichtshof in Lausanne (CAS) hob die Sperre jedoch zwei Jahre später auf. Die Vorwürfe erwiesen sich in den entscheidenden Punkten als haltlos.
Anlässlich einer vor wenigen Wochen vom Wiener Forum Journalismus und Medien (fjum) organisierten Katar-Reise einer Gruppe von österreichischen, deutschen und schweizerischen Journalisten hätte sich der OK-Chef der WM, Nasser al Khater, auch zu Fragen über das gewiss sehr heikle Thema der Vergabe äußern können, doch wenige Stunden vor dem geplanten Gesprächstermin kam die Absage. Offizieller Grund: ein grippaler Infekt. Vermutlich hätte er sich in dieser Causa aber ohnehin für nicht zuständig erklärt.
Mittlerweile liegt jedoch ein aktuelles Statement von Nasser zur Situation der Arbeiter in Katar vor: "Die Menschen, die darüber sprechen, sind keine Fachleute auf diesem Gebiet. Also überlassen wir das den Experten." Man solle sich angesichts der nahenden WM doch auf den Fußball konzentrieren. Laut Angaben der offiziellen Stellen, unter anderem vom Chef der Abteilung für Arbeiter-Rechte in Katar, Mahmoud Qutub, gab es in den vergangenen Jahren auf den WM-Baustellen drei unmittelbar mit dem Turnier in Zusammenhang zu bringenden Todesfälle. In Zahlen: 3.