Beim entthronten Fußball-Weltmeister Deutschland läuft auch die Aufarbeitung des WM-Debakels alles andere als rund. Eine Dauerdebatte um die Zukunft von Spielmacher Mesut Özil im deutschen Nationalteam überlagert jede sachliche Analyse. Dazu ist von einer Lagerbildung in der deutschen WM-Auswahl die Rede.

Der im Amt bestätigte Teamchef Joachim Löw meidet dieser Tage die Öffentlichkeit, das Krisenmanagement von Teammanager Oliver Bierhoff steht nach einer umstrittenen Interview-Offensive, in der auch Özil nicht gut wegkam, in der Kritik. Verbandspräsident Reinhard Grindel machte am Sonntag im "Kicker"-Interview ebenfalls die Personalie zum Thema.

Der Arsenal-Legionär mit türkischen Wurzeln hat sich, im Gegensatz zu seinem ebenfalls damit aufgefallenen Nationalteamkollegen Ilkay Gündogan, noch immer nicht öffentlich zu den Mitte Mai veröffentlichten Fotos mit dem damals wahlkämpfenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geäußert. Im Gegenteil: Einzig auf Instagram meldete er sich zu Wort. Oder besser. Er zeigte sich entspannt im Urlaub und erklärte dazu kurz: "Habt Glauben und dankt Gott für all den Segen!" Dabei hatte die Affäre  auch das WM-Turnier in Russland, bei dem sich Deutschland erstmals schon in der Gruppenphase verabschiedete, überlagert.

Grindel fordert "kluges Krisenmanagement"

Grindel erwartet von Özil eine öffentliche Erklärung. "Es stimmt, dass sich Mesut bisher nicht geäußert hat", sagte der DFB-Präsident. "Das hat viele Fans enttäuscht, weil sie Fragen haben und eine Antwort erwarten. Diese Antwort erwarten sie zu Recht. Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte."

Özils Zukunft im DFB-Team hängt für Grindel auch von einer Bewertung durch den Teamchef ab. "Daneben müssen wir die sportliche Analyse abwarten und schauen, ob Joachim Löw weiter mit ihm plant", sagte der DFB-Chef. Nach den umstrittenen Aussagen von Bierhoff zu Özil forderte Grindel "kluges Krisenmanagement". Man müsse "kühlen Kopf bewahren und nicht jedem Druck nachgeben".

Grund zur Kritik an seinem Direktor sah Grindel offenbar nicht - selbst wenn Özil, bei Deutschlands WM-Titel 2014 eine zentrale Figur, in dessen Interviews diesmal als Buhmann dastand. "Oliver Bierhoff hat sehr deutlich gemacht, dass er sich hier missverstanden fühlt. Und dass es in keiner Weise seine Absicht war, einen Spieler öffentlich für das Scheitern bei der WM verantwortlich zu machen", betonte Grindel.

"Verdienter Nationalspieler"

Der Verbandschef bezeichnete das Vorgehen als fairen Umgang "mit einem verdienten Nationalspieler, der einen Fehler gemacht hat". 92-mal hat Özil bisher das deutsche Teamtrikot getragen. Am Wochenende veröffentlichte der 29-Jährige zum wiederholten Mal ein Urlaubsfoto auf Twitter. Von Medienterminen war er rund um die WM ferngehalten worden.

Der Umgang mit der Erdogan-Affäre soll laut deutschen Medien aber bei Weitem nicht das einzige Problem im deutschen WM-Team gewesen sein. Einige Spieler sollen mit der Sonderstellung von Kapitän Manuel Neuer nach dessen langer Verletzungspause nicht einverstanden gewesen sein. Über eine Lagerbildung zwischen den Weltmeistern von 2014, denen Löw zum Teil trotz mangelnder Form sein Vertrauen schenkte, und jungen, nachrückenden Kräften wurde ebenfalls spekuliert.

Der Einsatz der Jungen im Training soll nicht ausreichend honoriert worden sein, berichtete etwa die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu Wochenbeginn unter Berufung auf Spielerkreise. Die arrivierten Akteure sollen zudem "teils arrogant und unnahbar" gewesen sein. Die Fotos von Özil und Gündogan mit Erdogan hätten dagegen innerhalb des Teams keine große Rolle gespielt. Man habe den beiden Kickern aber angemerkt, dass sie das Thema belaste.