"Als Tormann war ich gut, aber das Traineramt liegt mir noch mehr", sagt Michael Gspurning mit leuchtenden Augen. Trotz Stationen als Aktiver bei u. a. Xanthi, PAOK Saloniki (beide GRE), Seattle (USA), Schalke und Union Berlin (beide GER) kauft man dem Weststeirer, der diese Woche erstmals als Tormanntrainer im ÖFB-Nationalteam engagiert ist, diesen Satz vollkommen ab. Immerhin ist es auch seiner Arbeit in den vergangenen fünfeinhalb Jahren zu verdanken, dass Union Berlin mit starken Torhüterleistungen von u. a. Rafał Gikiewicz oder Frederik Rönnow es sogar bis in die Champions League geschafft hat. Ab sofort gibt es die Doppelfunktion. "Ich bin wissbegierig und will meinen Horizont erweitern. Ich habe noch drei Jahre Vertrag in Berlin. Das lässt sich sehr gut vereinbaren", sagt Gspurning, der selbst drei Länderspiele für Österreich bestritten hat. Nach fast 13 Jahren folgte nun die Rückkehr. "Es ist schön, wieder zurück zu sein."

Die neue Aufgabe hat es aber in sich. So gilt es, eine Nummer eins für die bevorstehenden EM-Qualifikationspartien in Belgien am Samstag und gegen Schweden am Dienstag zu finden. Weil Heinz Lindner (Sion), der nach einer Hodenkrebserkrankung auf dem Weg der Besserung ist, ausfällt, rittern Alexander Schlager, Daniel Bachmann, Patrick Pentz und Niklas Hedl um das begehrte Ticket. "Heinz hätte natürlich einen Vorteil gehabt, weil er in den letzten drei Spielen im Tor gestanden ist", verrät Gspurning, der sich aktuell ein Bild vom Quartett macht, dabei auch mit jedem Einzelgespräche führt, um schnell die Eigenheiten jedes Goalies herauszufinden. "Ich bin der, der die Werkzeugkiste hinstellt. Sie suchen sich die Werkzeuge aus. Es bringt ja nichts, wenn ich komplett konträr zum jeweiligen Tormanntrainer im Klub arbeite."

Lösungen gesucht

Das große Problem, das in Österreich herrscht, ist das Fehlen einer klaren Nummer eins. Zwar hat Österreich in den vergangenen Jahren fast kein Spiel wegen des Torhüters verloren, dennoch arbeitet man im ÖFB daran, mittelfristig zumindest einen rot-weiß-roten Stammtorhüter in einer Topliga zu etablieren. Dafür wurde 2021 auch Günter Kreissl als "Head of Goalkeeping" installiert, also quasi als technischer Direktor im Tormannwesen. Der ehemalige Geschäftsführer des SK Sturm leitet die Toptalenteförderung und kümmert sich um sämtliche Nationalteams sowie die Strategie und Weiterentwicklung. Die vierte Säule, die Tormanntrainerausbildung, leitet Roland Goriupp.

Verstärkt wird nach Torhütern gesucht, die ein Profil mitbringen, das sämtliche Schlüsselbereiche abdeckt. Der ideale Torhüter sollte Physis, mentale Stärke, eine gewisse Größe, Persönlichkeit und fußballerische Fähigkeiten mitbringen, wie auch Gspurning bestätigt. "Dazu muss er auch ein Risikomanager sein, weil Tormänner auch mitspielen und im Offensivspiel eingebunden sein müssen." Ausgerechnet die Belgier dürfen auf Thibaut Courtois von Real Madrid bauen. "Er ist für mich aktuell der beste und kompletteste Torhüter", sagt Gspurning.

Kein kompletter Torhüter

Österreich ist von einem Topgoalie bei einem Spitzenklub weit entfernt, alle aktuellen Anwärter sind nicht komplett. Bachmann spielt beim englischen Zweitligisten, Hedl bei Rapid. Patrick Pentz sitzt auf der Ersatzbank von Leverkusen. Genau auf so einer, allerdings in Salzburg, wird Schlager in der kommenden Saison Platz nehmen. "Wenn die fehlende Spielpraxis so lange anhält wie bei Pentz, ist es nicht leicht. Aber es kann nicht der einzige Punkt sein.

Spielpraxis ist wichtig, aber viele Nationen haben keinen Stammtorhüter in einer Liga. Auch Schwedens Robin Olsen ist bei Aston Villa nur Ersatz hinter Weltmeister Emiliano Martinez", sagt der 42-Jährige, der auf die Frage, ob Österreich ein Torhüterproblem hat, Interpretationsspielraum offenlässt. "Die Torhüter haben Leistungen im Nationalteam abgerufen, die sie imstande waren, zu leisten. Aber klar wollen wir eine Nation werden, wo es über lange Zeit eine klare Nummer eins gibt oder auch mehrere starke wie in der Schweiz. Das ist schon hilfreich."

Das letzte Länderspiel, bei dem Gspurning im Kader stand, fand übrigens wie am Samstag in Belgien statt. Am 12. Oktober 2010 gab es in der EM-Quali ein 4:4. "Diesmal wäre mir ein 0:0 lieber", sagt er lachend.