"Das ist doch der Trainer von United“, sagten einige der rund neun Millionen Teamchefs Österreichs voller Vorfreude, als Ralf Rangnick am 29. April als neuer oberster Fußballtrainer in der Alpenrepublik vorgestellt wurde. Keiner wagte zu glauben, dass der damalige Interimscoach von Manchester United zum ÖFB kommen würde. Am wenigsten wohl Sportdirektor Peter Schöttel, der nun am meisten um seinen Job bangen muss. Warum? Ein Blick in Rangnicks Historie gibt Aufschlüsse. Der ausgebildete Lehrer für Sport und Englisch arbeitete sich im Trainerbereich von seinem Heimatverein Backnang aus nach oben. Seit 1995, als der Deutsche anfing, bei Regionalligist Reutlingen zu arbeiten, stand der Stil, den er seiner Mannschaft einzutrichtern versuchte, für aktiven Fußball, der das Pressing in den Mittelpunkt stellt. Ein legendärer Auftritt im ZDF-Sportstudio 1998, in dem er seine Taktik erklärte, verlieh ihm den Beinamen „Fußballprofessor“.
Weitere Stationen bei Ulm, Stuttgart, Hannover, Schalke und Hoffenheim ließen immer wieder ein Muster erkennen. Rangnick verfolgt seinen Weg ohne Rücksicht auf Verluste. Junge, hungrige Spieler werden gegenüber satten Altstars präferiert. Mit Letzteren kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen – wie auch mit Klubverantwortlichen. Kaum ein Abgang verlief ohne Überwerfungen. Seine in dieser Zeit größte Errungenschaft gelang in Hoffenheim. Nach seiner Übernahme 2006 führte Rangnick die Sinsheimer in zwei Jahren in die Bundesliga – auch weil der 63-Jährige maßgeblich Einfluss auf die Personalpolitik hatte. Dem sensationellen Bundesliga-Herbstmeistertitel als Aufsteiger 2008/09 folgte der Absturz. Dieser Trend zeichnete sich immer wieder ab – nach starkem Start ging die Erfolgskurve von Rangnick stetig abwärts.
Den größten Erfolg als Trainer feierte der sozial engagierte Süddeutsche, der sich mit seiner „Ralf Rangnick Stiftung“ für die Förderung von Kindern einsetzt, mit Schalke. 2011 gelang ihm der Cupsieg, wobei er als Nachfolger von Felix Magath nur das Finale gegen Zweitligist Duisburg (5:0) coachte. Nach einer Burn-out-Pause übernahm Rangnick 2012 das Amt des Sportdirektors in Salzburg. Er gilt als Architekt, der aus der einstigen Geldverbrennungsanlage einen Vorzeigeklub machte, der wirtschaftlich auch ohne millionenschweren Zuschüssen floriert. Dennoch klatschten viele Weggefährten in Salzburg, als sich Rangnick 2015 verabschiedete und Leipzig als Trainer übernahm.
Sein größter Trumpf, Leute aus der Komfortzone zu holen, um das gesamte Team zu Höchstleistungen zu treiben, stieß auf all seinen Stationen auf mächtig Gegenwind. Immer wieder ortete ein Großteil akute Mängel auf menschlicher Ebene. Dies offenbarte sich auch bei seiner letzten Trainerstation bei Manchester United, wo der Erfolg ausblieb. Auch deshalb, weil er dort im Gegensatz zu seinen vorherigen Stationen nicht auf Akteure traf, die ihm blindlings folgten, sondern auf Weltstars wie Cristiano Ronaldo, die gerne Spezialbehandlung beanspruchen.
Heute beginnt die Ära von Rangnick als ÖFB-Teamchef. Wie groß seine Macht ist, beweist die Verpflichtung von drei neuen Assistenten. Interne Reibung ist mit Rangnick vorprogrammiert, explosive Stimmung wahrscheinlich. Das kann dem größten Sportverband des Landes nur guttun.