Nun ist er also da, der erste Kader von Neo-Teamchef Ralf Rangnick. Die erste Erkenntnis ist klar: Wie schon Vorgänger Franco Foda angemerkt hat, hält sich der große Pool an geeigneten Akteuren in Grenzen. Im Vergleich zum letzten Aufgebot, das Foda vor dem WM-Play-off gegen Wales einberufen hat, gibt es in Wahrheit nur vier Veränderungen. Martin Hinteregger und Florian Grillitsch fallen verletzt aus. Ansonsten fielen Daniel Bachmann, Aleksandar Dragović, Andreas Ulmer und Marco Grüll aus dem Kader. Von den neu hinzugekommenen Akteuren Martin Fraisl, Marco Friedl, Karim Onisiwo, Gernot Trauner, Hannes Wolf, Kevin Danso und Andreas Weimann wurde das letztgenannte Duo schon beim letzten Lehrgang nachnominiert.
Hört man sich bei den Spielern um, ist die Stimmung nicht überschwänglich. Viel mehr werden die Köpfe geschüttelt. So soll Rangnick (und das nicht einmal bei allen persönlich, sondern teils in Vertretung von Co-Trainer Lars Kornetka) die Akteure informiert haben, ob sie für die Nations-League-Partien in Kroatien (3. Juni), gegen und in Dänemark (6. und 13. Juni) und gegen Frankreich (10. Juni) im Aufgebot stehen. Dass er beispielsweise auf die Dienste von Aleksandar Dragović, Julian Baumgartlinger und Andreas Ulmer verzichtet, ist durchaus legitim. Was aber für Unverständnis unter Teamspielern sorgt: Die fehlende Möglichkeit der Routiniers, sich unter Rangnick zumindest im Training beweisen zu dürfen. Dazu kommt das hohe Standing, das etwa Dragović und Baumgartlinger, die beide schon als Kapitän agiert haben, in der Mannschaft genießen. Gerade in einer Truppe, die, was die Führungsspielerriege betrifft, ein riesiges Vakuum aufweist. Das Alter kann keine übergeordnete Rolle spielen, dürfen sich doch mit Torhüter Heinz Lindner (31), Gernot Trauner (30), Christopher Trimmel (35), Andreas Weimann (30), Karim Onisiwo (30) und Marko Arnautović (33) auch einige ältere Semester beweisen.
Was aber noch mehr Fragen offenlässt, ist die Aufnahme von Dragović, Baumgartlinger und Ulmer auf die Abrufliste. Ein klarer Schnitt sieht anders aus. ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel sagte zur Personalie, dass es "für jemanden, der nicht auf 100 Prozent ist, schwierig" wäre, gegen so namhafte Gegner wie Kroatien, Dänemark und Frankreich zu spielen. Warum er aber dennoch auf der Abrufliste steht, ist dann die große Frage.
Es wäre natürlich interessant, was der Neo-Teamchef denkt. Leider zieht es der Deutsche vor, bis Sonntag keine Stellungnahme abzugeben. Erst dann wird es zum Start des Trainingslagers in Bad Tatzmannsdorf einen Medientermin geben, bei dem er den Journalisten Rede und Antwort stehen soll. Die bislang fehlende Kommunikation sorgt für unnötigen Wirbel gleich zum Start. Wie der 63-Jährige die sportlichen Herausforderungen mit dem Nationalteam meistern wird, lässt sich noch nicht erahnen. Seinem Ruf wurde Rangnick aber auch beim Nationalteam früh gerecht. Sein Mangel an sozialer Kompetenz und menschlicher Qualität, der von sehr vielen ehemaligen Rangnick-Wegbegleitern immer wieder zur Sprache kommt, ist mit seiner ersten offiziellen Amtshandlung wohl kein Relikt aus der Vergangenheit.