Im österreichischen Fußballgeschehen kursiert seit einigen Wochen ein beliebtes Ratespiel. Wer wird neuer Trainer des Nationalteams? Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, frei nach dem Lotto-Motto darf „alles möglich“ sein, keine auch noch so realitätsferne Variante gilt als verboten. Als Folge dessen und wegen der handelnden Personen mutet das Schauspiel der halböffentlichen Suche einigermaßen skurril an.
Der erklärten Vorgangsweise nach darf ja zunächst nur einer über diese entscheidende Personalie befinden. Der Sportdirektor hat die Oberhoheit beim Findungsprozess. Peter Schöttel spricht mit möglichen und unmöglichen Kandidaten, und am Ende wird der Wiener, der vor viereinhalb Jahren schon vorbelastet, weil ohne Konzept, in sein Amt eingetreten war, dem Präsidium aus einer von ihm ausgesuchten Dreier-Partie einen konkreten Vorschlag unterbreiten.
Am Donnerstag wurde dem ÖFB-Gremium eine Zwischenbilanz vorgelegt. Das las sich in der offiziellen Verbands-Aussendung so: „Der Sportdirektor hat auf Basis seiner fachlich-inhaltlichen Evaluierung ... im In- und Ausland Gespräche mit Trainern, die diese Kriterien erfüllen, geführt. Jetzt erfolgt eine Eingrenzung der Kandidaten, mit denen intensivierte Gespräche ... geführt werden.“
Es herrscht allgemeine Unklarheit
Schöttel nannte rund 20 Namen und schien damit die (nicht vollzählig) versammelte Runde der Landespräsidenten einerseits zu verwirren, andererseits auch zu langweilen. Epochales war offenbar nicht darunter, das große Aha-Erlebnis fand nicht statt. Und so richtig kannte sich keiner aus. Aber das war im Grunde auch nicht erwartet worden.
Unter den namentlich Erwähnten befand sich abseits der Verdächtigen wie Peter Stöger, Markus Schopp und Andi Herzog auch der ehemalige Red-Bull-Sportchef Ralf Rangnick, der jedoch, wie Schöttel ausführte, ebenso nicht infrage komme wie Eintracht Frankfurts ruhiger Gipfelstürmer Oliver Glasner oder der bei Southampton in der Premier League aktive Ralph Hasenhüttl.
Es stellt sich die Frage, ob sich der in den vergangenen Jahren nicht durch Hyperaktivität aufgefallene Schöttel die Mühe macht bzw. über das Know-how verfügt, einen Trainer zu finden, der dem Profil der Nationalmannschaft annähernd zu 100 Prozent gerecht wird. Bei dem als Favoriten gehandelten Stöger wurden diesbezüglich in so mancher Expertenrunde schon Zweifel angemeldet. Tatsächlich liegen die großen Erfolge des Einser-Kandidaten schon länger zurück.
Schöttel selbst erspart sich zumindest vorerst die eigentlich vom Präsidium eingeforderte ausführliche Analyse über die Gründe für das Scheitern in der vergangenen WM-Qualifikation unter Franco Foda.
Die Teamchefsuche genießt Vorrang, eigentlich sollte aber gerade diese mit der Ursachenforschung einhergehen, um die personelle Treffsicherheit zu maximieren. Davon dürfte keine Rede sein. Doch der gegenwärtige Prozess mit der mutmaßlichen Entscheidung am 29. April ist nicht aufzuhalten.
Externe Untersuchung nötig
Schöttel muss einen Teamchef finden, wer aber befindet über den Sportdirektor, der vom Präsidium eingesetzt wurde? Die Zeit ist überreif für eine Evaluierung der Arbeit jenes Mannes, der nicht nur für das Männer-Nationalteam, sondern auch für den Frauenfußball, die Nachwuchsteams, die Talenteförderung und den Breitensport verantwortlich zeichnet.
Diese Beurteilung kann, vor allem wegen Befangenheit und den nationalen Erfordernissen im Wege stehenden Eigeninteressen, freilich nur durch eigens hinzugezogene, externe Fachleute erfolgen. Und außerdem: Wie soll das Präsidium, das sich in sportlichen Belangen selbst für unzuständig erklärt, eine Schöttel-Analyse, sollte sie je zustande kommen, beurteilen?
Gespaltenes Präsidium
Ein weiteres der unzähligen Problemfelder (Schiedsrichter, fehlende Strukturen und mangelnde Infrastruktur) ist das ÖFB-Präsidium selbst, mit seinem im vergangenen Herbst in einer Kampfabstimmung gewählten Vorsitzenden Gerhard Milletich. Nach einem 5:5 im ersten Durchgang lautete das Wahlergebnis 7:3. Jene drei Landespräsidenten, die gegen den Burgenländer votierten – der Tiroler Josef Geisler, der Salzburger Herbert Hübel und der Oberösterreicher Gerhard Götschhofer – melden auch jetzt ihre Zweifel an. Das Gremium ist gespalten. Die Gegenbewegung könnte auch damit zusammenhängen, dass Milletich auf Zwischenrufe nicht reagiert. Vorgänger Leo Windtner, der seinen Präsidenten-Job als Berufung verstanden hatte, ließ sich in der letzten Phase seines Wirkens zu sehr von manchen Stimmen treiben. Das schadete der Amtsführung und führte 2017 zur Absetzung des fachlich unumstrittenen Schöttel-Vorgängers Willi Ruttensteiner.
Doch auch das Auftreten des neuen Präsidenten stößt so manchem sauer auf. Er hinterlässt bisweilen einen überforderten Eindruck, das beschwört Zweifel an seiner Führungskompetenz herauf. Jedenfalls hat es Milletich bisher nicht geschafft, wenigstens die eigenen Leute hinter sich zu versammeln. Das liegt auch an der Kommunikation, die des größten Sportverbandes Österreichs unwürdig ist. Fehlende Rückendeckung für selbst ausgesuchte Mitarbeiter und öffentliche Wortspenden, die das Trennende herausstreichen, sprechen Bände. Der ÖFB versteht es einfach nicht, wie andere Fußballverbände (siehe Wales) alle Kräfte zu bündeln, um das ganze Land hinter sich zu vereinen und so die perfekten Rahmenbedingungen zu schaffen.
Am 29. April wird der neue Teamchef enthüllt. Das Ergebnis wird zeigen, wie stark der Einsatz des (der) Beteiligten wirklich war. Die Großbaustelle ÖFB wird aber noch lange nicht geschlossen sein.