Die erfolgreichste Fußball-EM der österreichischen Geschichte bei den Herren ist auf dramatische Art und Weise mit dem bitteren Achtelfinal-Aus gegen Italien (1:2 nach Verlängerung) zu Ende gegangen. Nach zwei schwachen Teilnahmen in den Jahren 2008 und 2016, in denen gerade einmal jeweils ein Punkt geholt und ein Tor erzielt wurde, fuhr das ÖFB-Team diesmal zwei souveräne Vorrundensiege gegen Nordmazedonien (3:1) und die Ukraine (1:0) ein. Dazu kam das 0:2 gegen die Niederlande.
Gewinner aus rot-weiß-roter Sicht gab es viele. Da wäre einmal Daniel Bachmann, den Teamchef Franco Foda vor der EM zur neuen Nummer eins machte, obwohl der Niederösterreicher keine Länderspielpraxis mitbrachte. Der Watford-Torhüter zahlte das in ihn gesteckte Vertrauen zurück und glänzte mit Topleistungen. Dafür bekam der 26-Jährige von Foda auch schon für die Zukunft den Status des Stammgoalies zugesprochen. Das Torhüterproblem dürfte endgültig gelöst sein.
Eine beeindruckende Entwicklung legte David Alaba hin. Der Neo-Kapitän führte die Mannschaft wie ein echter Leader – genau so, wie auch sein Ex-Trainer beim FC Bayern München, Hansi Flick, es immer beschrieben hat. Sowohl als Abwehrchef in der Dreierabwehrkette als auch als Linksverteidiger in der Viererkette zeigte der 29-Jährige – endlich auch im Nationalteam – eindrucksvoll, warum ihn Real Madrid holte.
Auf den ersten Blick keine große Rolle spielte der langjährige Kapitän Julian Baumgartlinger. Nach einer Kreuzbandverletzung im Jänner feierte der Leverkusen-Legionär ein Comeback in Rekordzeit – mit einem einminütigen Einsatz für Leverkusen in der letzten Bundesliga-Runde. Nach zwei Kurzeinsätzen im Testspiel gegen England und im EM-Auftaktspiel gegen Nordmazedonien erlitt der 33-Jährige einen Rückschlag. Die Adduktoren machten dem Mittelfeldspieler zu schaffen. Daher gab es keine weiteren EM-Einsätze für Baumgartlinger. Dennoch erfüllte er eine wesentliche Rolle mit all seiner Erfahrung überragend. Trainer und Mitspieler schwärmten unisono, wie wichtig der Salzburger für das Teamgefüge sei.
Nicht nur Baumgartlinger hat seinen Teil zum Erfolg beigetragen, sondern alle beteiligten Spieler, Trainer und Betreuer. Der riesige ÖFB-Tross präsentierte sich als eingeschworene Einheit, in der die Stimmung sehr gut passte. Das hatte auch mit der geglückten Auswahl des Trainingslagers zu tun. In Seefeld fand man perfekte Bedingungen vor. Teambuilding-Maßnahmen und das exklusiv gebuchte Hotel, das mit zahlreichen „Ablenkungsmöglichkeiten“ ausgestattet wurde, verhinderten einen Lagerkoller. Auch das Reisen zwischen Tirol bzw. Bukarest, Amsterdam und London ließ die einmonatige Zusammenkunft wie im Flug vergehen.
All diese Bausteine trugen dazu bei, mit den Erfolgen eine neue Euphorie in Österreich zu entfachen. Die Coronapandemie führte zu Geisterspielen in den vergangenen Monaten. Dies trug einen wesentlichen Teil dazu bei, dass die Fußballfans nicht die gewohnte Begeisterung mitbrachten. Dazu kamen sportliche Ausnahmesituationen. Das traf die Österreicher überproportional hart, da es auf Grund der vielen Ausfälle (Corona-Einreisebestimmungen, Verletzte, Kranke) nie möglich war, die beste Elf aufzubieten. Spieler, die die Chance bekamen, sich zu beweisen (u. a. Gernot Trauner und Alexander Schlager), nutzten diese nicht. Bei der EM konnte Franco Foda auf die stärksten Akteure zurückgreifen und bewies dabei einmal mehr sein Geschick, mit seinen Zugängen und dem bestehenden Material das Maximum herauszuholen. Gerade bei einer Endrunde ist dies unbezahlbar, wie Österreich in der Vergangenheit schmerzlich feststellen musste. Viele sprachen nach der Begegnung gegen Italien von der stärksten Vorstellung einer österreichischen Fußballmannschaft aller Zeiten. Seit 2008 (Österreich gegen Deutschland bei der EM) gab es die höchsten Einschaltquoten für ein Fußballspiel im ORF. Bis zu 2,108 Millionen Menschen sahen zu. In Deutschland verfolgten im ZDF im Schnitt 10,82 Millionen Menschen das Spiel der Österreicher. Erstmals übertraf ein EM-Spiel ohne die Deutschen die Zehn-Millionen-Marke.
Das Play-off für die WM ist sehr wahrscheinlich
Diese Euphorie gilt es für die Zukunft aufrechtzuerhalten. In etwas mehr als zwei Monaten geht es bereits mit der WM-Qualifikation weiter. In Moldawien (1. September), in Israel (4. September) und zu Hause gegen Schottland (7. September) gilt es das Punktekonto von derzeit vier Zählern aus drei Spielen deutlich zu erhöhen. Die Chancen, noch das Ticket für die Weltmeisterschaft 2022 in Katar zu ergattern, sind absolut aufrecht. Selbst, wenn Dänemark der Gruppensieg nicht mehr zu nehmen sein wird, würde der zweite Platz für das Play-off, in dem weitere drei WM-Startplätze ausgespielt werden, reichen. Dazu gibt es einen Joker. Sollten zumindest vier Nationen des Quintetts Italien, Frankreich, Spanien, Belgien und Wales in ihren WM-Qualigruppen in den Top zwei landen, würde Österreich als Nations-League-Gruppensieger auch als dritt- oder schlechterplatziertes Team in der WM-Qualifikation in das Play-off rutschen. Mit den ab Herbst hoffentlich wieder erlaubten Zuschauermassen im Rücken wird das österreichische Nationalteam aber hoffentlich in der Lage sein, wie bei der EM über sich hinauszuwachsen. Stammspieler bei Topklubs sind dafür Grundvoraussetzung. Vielleicht werden dann ja Endrunden und sogar K.o.-Phasen mit Österreich zur Normalität.