Du hast gezeigt, dass du auf diesem Niveau spielen kannst. Du hast eine große Zukunft vor dir, wenn du weiter so Gas gibst.“ Das bekam Christoph Baumgartner am Abend des 18. Mai 2019 zu hören. Sein damaliger Trainer Julian Nagelsmann verhalf dem damals 19-Jährigen eine Woche nach seinem ersten Bundesliga-Einsatz zum Startelfdebüt bei Hoffenheim. Es sollte ein prägendes Erlebnis sein. Trotz 2:0-Führung ging die Partie in Mainz mit 2:4 verloren. Auch deshalb, weil Baumgartner nach 41 Minuten (beim Stand von 2:0) die gelb-rote Karte sah. „Das war nicht ideal, weil wir damit die Qualifikation für die Europa League verpasst haben. Aber die Rückmeldung von einem Experten zu bekommen, dass ich da mithalten kann, hat mich geprägt“, sagt der Edeltechniker.
Mit dem Goldtor gegen die Ukraine schrieb Baumgartner nicht nur mit Österreich Geschichte, sondern ist auch jüngster EM-Torschütze im ÖFB-Team. Ein weiteres Ausrufezeichen in der Karriere des Offensivspielers, der schon in der Jugend immer das Ausnahmetalent schlechthin war und auch 52 Nachwuchsländerspiele bestritt. „Als Junger war ich oft der beste Spieler auf dem Platz und war sehr viel am Ball. Aber ich habe gelernt, dass es mehrere Phasen im Fußball gibt. Ich war nie einer, der jedem Ball nachgesprintet ist. Mittlerweile habe ich mich zu einem Spieler entwickelt, der im Pressing und Gegenpressing extrem aktiv und aggressiv ist. Trotzdem bleibt ein Fußballer das, was er sich in der Jugend aufgebaut hat. Mir wird es immer lieber sein, den Ball selbst zu haben“, beschreibt der Rechtsfuß seinen Reifeprozess, der ihn bei Hoffenheim zum unverzichtbaren Stammspieler gemacht hat.
Eine im Mai erlittene Sprunggelenkverletzung hätte fast dazu geführt, dass Baumgartner die EM verpasst hätte. „In den letzten Tagen habe ich das alles Revue passieren lassen. Die Diagnose war nicht gut, dann ist die Reha besser verlaufen als gedacht. Dennoch waren die ersten beiden EM-Spiele von mir nicht optimal. Mit dem Tor haben wir den Aufstieg geschafft und Geschichte geschrieben. Und wir werden alles daran setzen, um noch etwas draufzulegen. Es ist schon schnell gegangen in den letzten Jahren, aber ich kann das sehr gut verarbeiten und versuche so zu bleiben, wie ich bin“, sagt der Mann, der Kevin de Bruyne als Idol nennt. Die Auslosung würde im Falle eins Aufstiegs gegen Italien ein direktes Duell gegen Belgien, das gegen Portugal spielt, möglich machen. „Das wäre ein Zuckerl, das ich nicht ablehnen würde, auch wenn wir keine zusätzliche Motivationsspritze brauchen. Das Adrenalin wird uns auch so aus den Ohren rausspritzen. Und die beiden älteren Herren in der Innenverteidigung der Italiener sind auch nicht mehr so beweglich. Wir sind junge spritzige Buam aus Österreich und können ihnen hoffentlich wehtun.“
Auf den Spuren von Thomas Müller
Der Jüngste im ÖFB-EM-Kader, von dem auch Franco Foda („Bei ihm hat man schon beim Debüt gedacht, er spielt schon ewig. Er hat ein extrem gutes Gefühl für Räume, ist schnell, torgefährlich und kopfballstark“) schwärmt, gilt als absolute Stimmungskanone. Von seinem frechen, selbstbewussten und humorvollen Auftreten erinnert Baumgartner an Bayern-Superstar Thomas Müller. Im Gegensatz zu vielen anderen Fußballern ist er kein Fan von der Playstation. „Mir taugt das Kartenspielen extrem. Das praktizieren wir auch im Nationalteam gern. Da lernt man sich besser kennen und es macht Spaß. Vor allem bin ich auch ein sehr guter Kartenspieler“, sagt Baumgartner mit seinem typischen Spitzbuben-Lächeln.
Aufgewachsen ist der 13-fache Teamspieler in St. Leonhard am Hornerwald im Waldviertel. „Das ist ein Ort, an dem ich mich enorm wohlfühle. Auch in Deutschland wohne ich nicht in der Großstadt. Wenn ich die Haustür aufmache, bin ich direkt im Wald. Ich liebe es, in der Natur zu sein, dort mit meinem Hund zu spazieren. Das gibt Kraft und Energie.“ Die werden gegen Italien nötig sein.
Von Michael Lorber