Mutig und entschlossen ging Österreichs Fußball-Nationalteam gegen die Niederlande in die Partie. Der verwandelte Elfmeter von Memphis Depay in der elften Minute glich einem Nackenschlag. Und das in vielfacher Hinsicht. Diese EM zeigt eindrucksvoll, dass Mannschaften, die in Führung gehen, fast nicht mehr zu schlagen sind. Nur der Nummer eins der FIFA-Weltrangliste, Belgien, gelang es gegen Dänemark, eine Partie zu drehen (2:1 nach 0:1). Zudem erhöhen sich die Chancen für einen Außenseiter, der Österreich gegen die Oranje war, je länger ein 0:0 gehalten werden kann.
Doppelt bitter, dass wie schon beim 3:1-Auftaktsieg gegen Nordmazedonien vermeidbare Eigenfehler zu den Gegentoren führten – obwohl die Defensive grundsätzlich eine weitestgehend solide Vorstellung ablieferte. Diesmal machte David Alaba ein unnötiges Elferfoul und Martin Hinteregger, der schon in der ersten Partie das Gegentor mit einer zu lässigen Fußabwehr verschuldet hatte, verschlief eine Abseitsfalle. Die Führung spielte den Niederländern in die Karten, nicht mehr die Initiative übernehmen zu müssen.
Bei den Österreichern wurde dadurch ein großes Manko augenscheinlich. In der Offensive fehlt es vor allem ohne den gesperrten Marko Arnautovic an Qualität. Sasa Kalajdzic, Christoph Baumgartner und Valentino Lazaro befinden sich nicht in Topform. Michael Gregoritsch und Karim Onisiwo haben auf Toplevel noch keinen Leistungsnachweis erbracht – wie so viele andere Akteure des ÖFB-Teams. Gegen ein Topteam wie die Oranje muss beinahe ein Wunder her, um reüssieren zu können. Jeder Einzelspieler der Niederländer ist im Vergleich zu den Österreichern auf dem Papier besser oder auf gleichem Niveau (Alaba/de Ligt) – seien es die Erfolge, die Erfahrung oder der arbeitgebende Klub. „Nur wenn bei uns alle Teile ineinandergreifen, können wir auch der Niederlande gefährlich werden“, sagt ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel.
Vor allem der Mangel an herausgespielten Chancen verhinderte eine gesteigerte Torgefahr der Österreicher. Das große Problem: Gregoritsch ließ sich viel zu weit fallen, anstatt öfters den Weg in die Tiefe zu suchen. „Es ist leicht zu verteidigen, wenn wir immer nur dem Ball kurz entgegenkommen. Auch gegen Dänemark, England und die Slowakei hat uns schon die Tiefe gefehlt. Wir sprechen es immer wieder an und trainieren es, aber es klappt leider nicht immer im Spiel“, sagt Innenverteidiger Aleksandar Dragovic. Auch Schöttel bläst ins selbe Horn: „Auch wenn einige immer glauben, dass wir uns nicht vorbereiten: Wir haben immer einen Plan. Wir besprechen und studieren ihn ein. Aber manchmal ist es auch der Stärke des Gegners geschuldet, die in einigen Bereichen einfach Weltklasse ist.“
Die Kleine Zeitung beobachtet seit der EM-Vorbereitung sämtliche Trainingseinheiten, die für Journalisten zugänglich sind. Wie schon zuvor legte ÖFB-Teamchef Franco Foda auch gestern großen Wert auf Tiefgang und schnelle Torabschlüsse. Nicht zu übersehen ist im Vergleich zu anderen Topnationen jedoch die fehlende Geschwindigkeit der Spieler in der Offensive. Damit sind Tempoläufe und damit verbundene Erfolge in 1:1-Situationen eher unwahrscheinlich. Auch deshalb baute Foda bisher nur auf je einen Flügelspieler pro Seite – auch dem geschuldet, dass Österreich ein Überangebot an Innenverteidiger und zentralen Mittelfeldspielern hat.
Gegen die Ukraine wird die Rückkehr von Arnautovic, der gegen die Niederlande für die Startelf geplant war, durchaus für Schwung sorgen. Zwar hat der China-Legionär auf die Physis bezogen seine besten Zeiten hinter sich, doch darf er als einziger Unterschiedsspieler im ÖFB-Team bezeichnet werden. Dieser Unterschied wird am Montag nötig sein.