Wie sind Sie durch die Pandemie gekommen? Sehen Sie Ihre Spieler?
FRANCO FODA: Wir haben telefonischen Kontakt, die meisten spielen ja in Deutschland, ich dürfte gar nicht in die Stadien. Die Anreiseregeln, die Quarantäne, die Hygienemaßnahmen, das alles lässt das Reisen zu den Spielen nicht zu, selbst persönliche Treffen mit den Teamspielern vor oder nach den Spielen wären gemäß Präventionskonzept nicht erlaubt, wie in Österreich. Ich sehe die Notwendigkeiten, die Gesundheit hat Vorrang. Aber ich bin dankbar, dass ich meinem Job nachgehen kann.

Was ist das für ein Fußball, den Sie sehen?
Es ist nicht mehr der gleiche Fußball wie vor der Pandemie. Das hat mit den Fans zu tun und der Energie, die sich überträgt. Mit der Begeisterung, der Emotionalität, den Höhen und Tiefen, die man durchlebt. Mit der Eskalation der Gefühle nach einem Tor. Das alles fehlt mir.

Spielt man ohne Publikum schlechter?
Gute Frage. Ich habe gelesen, dass Auswärtsteams öfter gewinnen als vor der Pandemie und der Heimvorteil keiner mehr ist. Mit der Präsenz der Fans ist halt alles intensiver. Man nimmt diese Energie als Spieler und Trainer natürlich mit. Gerade, wenn Spiele eng sind, wenn du zurückliegst.

Wäre Österreich mit 48.000 Fans im Prater gegen Dänemark auch 0:4 untergegangen?
Das leere Stadion war nicht der Grund, warum wir verloren haben. Wir haben in bestimmten Situationen nicht gut verteidigt. Vielleicht hätten die Fans die Spieler in der Phase, als das Spiel gekippt ist, Energie und Widerstandskraft gegeben. Eine hypothetische Frage. Wir haben auch ohne Fans viele Rückstände gedreht. Wir suchen nicht nach Ausreden.
Die Niederlage gegen Dänemark war ernüchternd und ein Euphoriebruch.

Wie gingen Sie damit um?
Mit dem Wechselspiel aus Überhöhung und Fundamentalkritik lernt man leben. Ich klage darüber nicht. Ich selbst bin jemand, der nach einer Niederlage in eine intensive Nachdenklichkeit fällt. Meine Frau kennt diese Phase schon und zieht sich vorsichtshalber zurück.

Wie lange dauert das selbstkritische In-sich-gehen?
Zwei bis drei Tage. Trainer zu sein ist ein wunderbarer Job, wenn du gewinnst oder zumindest nicht verlierst. Verlierst du, gerade im Nationalteam, wo du nur wenige Spiele hast, um Niederlagen zu korrigieren, dann zerlege ich in Gedanken noch einmal alle Entscheidungen vor und während des Spiels. Eine Niederlage im Nationalteam bewirkt nun einmal mehr als im Verein, die bleibt hängen und ist nicht so schnell zu korrigieren. Deshalb gibt es diese extreme Stimmungsschwankungen. Und ich bin mittendrin.

Was hätten Sie mit dem Wissen von heute anders gemacht?
Wir waren überzeugt, dass wir das Spiel gegen Dänemark in dieser Konstellation und mit dieser Mannschaft gewinnen können. Wir haben im Trainerteam die Kippmomente des Spiels analysiert, die Situationen, wo sich das Spiel verändert hat. Ich bin aber auch jemand, der dann relativ schnell den Blick und die Energie nach vorne richtet. Jetzt gilt es, sich auf die Europameisterschaft vorzubereiten und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das haben wir auch nach dem verlorenen Qualifikationsspiel gegen Israel gemacht. Wir sind nie in Populismus verfallen, auch nicht nach Niederlagen.

Nach enttäuschenden Darbietungen fällten Kritiker ihr Urteil: Der falsche Trainer für die richtige Mannschaft. Sie habe Größe, werde vom Teamchef und seinem deffensiven Effizienzfußball kleingehalten. Kränkt Sie so etwas?
Ich bin in sozialen Netzwerken nicht unterwegs. Das macht keinen Sinn. Das sind Aussagen ohne jede Grundlage. In der EM-Qualifikation haben wir die zweitmeisten Tore erzielt. Da kann ich wenig damit anfangen, dass wir defensiv spielen würden. Was ist die Definition? Die Aufstellung? Du kannst mit einem wie mit zwei oder drei Stürmern offensiv oder defensiv agieren. Meine Spieler haben in der Offensive, im letzten Drittel, alle Freiheiten. Klar, es gibt Ordnung und Regeln, jeder hat seine Aufgaben im Raum. Aber im Angriff soll jeder seine Qualitäten ausleben. Da haben wir noch nie einen Spieler eingebremst.

Woher kommt das Gegenbild eines zu festgezurrten Korsetts?
Ich kann nur sagen: Wir haben alle Spiele, die wir gewonnen haben, verdient gewonnen. Wir hatten in vielen Spielen extrem viel Ballbesitz, oft über 60 Prozent, egal gegen wen. Das hat sich verändert, auch gegenüber meinem Vorgänger. Mittlerweile spielen viele Gegner gegen uns defensiv, weil sie Respekt haben. Da gibt es wenig Raum, wenig Platz, auch für Tempo. Das heißt nicht, dass alles gut ist, im Gegenteil. Aber ich muss mich auch nicht immer rechtfertigen, ich denke, dass wir in den vergangenen Jahren einiges nach vorne gebracht und in Summe auch sehr erfolgreich waren.

Viele erwarten, dass Österreich wie Salzburg spielt.
Wir haben viele Spieler, die vor Jahren bei Salzburg gespielt haben, sie waren mit dieser Philosophie konfrontiert. Aber mittlerweile hat sich die Strategie in den Klubs geändert, bei denen sie jetzt spielen. 

Inwiefern?
Leipzig ist unter Nagelsmann zu einem Team geworden, das sehr dominant auftritt, mit viel Ballbesitz. Ebenso Mönchengladbach unter Marco Rose. Es ist nicht nur noch das Spiel gegen den Ball gefragt, es geht auch um das Spiel mit dem Ball. Ja, wir haben einige Spieler, die die Abläufe kennen. Aber wir haben auch andere Spieler, und vor allem nicht viel Zeit in den Lehrgängen. Es wäre ein Fehler zu glauben, dass man einfach so spielen kann wie Salzburg. Das ist eine Philosophie, die dort über Jahre entstanden ist, sich entwickelt hat. Und zu uns kommen viele Spieler, die in ihren Vereinen ganz anders agieren, andere Aufgaben haben.

Stehen die Fans hinter Ihnen?
Die Stimmung ist in einer Krise generell schwierig. Alle sind empfindlicher und gereizter, das ist normal, keiner fühlt sich frei. Keiner fühlt sich wohl mit der Situation. Viele sind in existenzielle Nöte geraten, ohne jede Schuld. Vieles ist derzeit wichtiger als Fußball, und dennoch bin ich überzeugt: Alle wollen, dass wir erfolgreich sind. Das Land steht hinter dem Nationalteam.

Es heißt, Österreich habe so viele Weltklassespieler wie noch nie. Welches Potenzial hat die Mannschaft?
Man kann im Vorfeld über alles reden, aber die Wahrheit liegt dann am Platz. Ob die Leistungen dann Weltklasse sind oder nicht, müssen letztlich andere beurteilen. Ich habe immer betont, dass wir uns mit den Besten messen wollen. Das ist der Anspruch. Das haben wir mit dem Aufstieg in die A-Liga der Nations League geschafft. Da spielst du auch gegen absolute Weltklasseteams.

Was ist Ihr Anspruch für die EM?
Wir wollen jedenfalls ein Spiel gewinnen und uns mit dieser Energie neue Ziele definieren, zunächst einmal das Achtelfinale. Wenn alle Spieler topfit sind und ans Limit gehen, haben wir eine gute, wettbewerbsfähige Mannschaft. Wir haben einen Umbruch vollzogen und es sind einige junge, aufstrebende Spieler wie Christoph Baumgartner und Sasa Kalajdzic dabei, die noch nicht viele Länderspiele absolviert haben. Das ist ein Prozess, der dauert. Ich bin überzeugt, dass wir ein gutes Turnier spielen werden.

Es fällt auf, mit welcher Inbrunst Sie die Nationalhymne mitsingen. Warum ist Ihnen dieser Moment wichtig?
Ich mache das nicht, weil es einige fordern, wie auch von den Spielern. Ich habe mich entschlossen, Nationaltrainer von Österreich zu werden. Wenn man das wird und weiß, man spielt für unser Land, das Land Österreich, dann muss man sich zur Gänze damit identifizieren. Ich habe als deutscher Nationalspieler auch die deutsche Hymne gesungen. Mir gibt das vor dem Spiel Energie und Kraft. Es ist der letzte Adrenalinstoß, den ich vor dem Spiel brauche. Manche interpretieren es anders, sind ganz bei sich und in äußerster Konzentration. Andere singen mit und saugen die Emotion auf. Ich schreibe es nicht vor, jeder ist anders. Ich für mich brauche es. Deshalb singe ich mit.

Möchten Sie österreichischer Staatsbürger werden?
Diese Möglichkeit hätte es schon gegeben.

Und?
Ich habe nicht abgelehnt. Mit so einem Thema muss man sich intensiver beschäftigen. Aber ich denke, man muss nicht unbedingt die Staatsbürgerschaft annehmen, um sich wie ein Österreicher zu fühlen. Aber Gedanken mach ich mir schon.

Mitunter vermisst man im Spiel der Österreicher einen Dirigenten, einen Führungsspieler, der das Geschehen ordnet und vorantreibt und die anderen beflügelt. Vermissen Sie den auch?
Julian Baumgartlinger war verletzt, Marko Arnautovic war wegen der Quarantäne nicht dabei. Das sind schon zwei Spieler, die wichtig sind, auch für die Führungsstruktur der Mannschaft. Julian ist Kapitän, hat ein hohes Standing. Marko interpretiert das auf eine andere Art. Er vermittelt eine gewisse Leichtigkeit.

Zu Marko Arnautovic sagt Foda: „Er ist voller Selbstvertrauen. Er ist ein Anker.“
Zu Marko Arnautovic sagt Foda: „Er ist voller Selbstvertrauen. Er ist ein Anker.“ © APA/ROBERT JAEGER

Durch das Komödiantische?
Nein, das nicht. Aber er hebt die Stimmung, er ist ein Anker im Spiel, weil er auch voller Selbstvertrauen ist. Nur: Eine Persönlichkeit wird man nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit, damit sich neue Hierarchien bilden können. Und viele Persönlichkeiten sind uns verloren gegangen: Janko, Fuchs, Prödl, Harnik, Junuzovic. Mit Aleksander Dragovic und Sabitzer haben wir Führungsspieler. Und wir haben David Alaba.

Nicht immer kann er im Nationalteam zeigen, dass er Weltklasse ist. Warum ist das so?
Mir fehlt manchmal die Wertschätzung für David. Er hat mit Bayern alles erreicht und ist ein Aushängeschild für den österreichischen Fußball. Man darf aber nicht erwarten, dass er Wunder vollbringt.

Wo werden Sie ihn bei der EM spielen lassen?
Er ist universell einsetzbar. Ich versuche ihn immer dort zu positionieren, wo er im jeweiligen Spiel für die Mannschaft am wichtigsten ist. Er will die Mannschaft unterstützen, das ist sein Antrieb. Das kann man von außen halt nicht erkennen, die Öffentlichkeit weiß nicht, was wir besprechen, was seine Aufgaben sind, wie David tickt und funktioniert. Insofern sollte man ihm mehr Anerkennung entgegenbringen und nicht glauben, er könne alle Spiele allein entscheiden. Kein Spieler auf der Welt kann das.

Über David Alaba sagt Franco Foda: "Manchmal fehlt mir die Wertschätzung für ihn. Er hat mit Bayern alles gewonnen"
Über David Alaba sagt Franco Foda: "Manchmal fehlt mir die Wertschätzung für ihn. Er hat mit Bayern alles gewonnen" © GEPA

Glaubt er mitunter selbst, es können zu müssen?
Er will immer alles geben, zerreißt sich, hat eine Führungsrolle im Team übernommen, ist Vater geworden. Er ist ein super Junge, der sportlich und menschlich top ist.

In Italien wird der Nationaltrainer von den Spielern mit „Mister“ angesprochen. Dürfen die Spieler Sie duzen?
Einige sagen „Sie“, andere verwenden das „Du“. Viele sagen „Trainer“. Die Anredeform ist für mich kein Maßstab für Respekt und Wertschätzung.

In der Kulturgeschichte des Menschen war es seit jeher elementar, das eigene Gehäuse zu schützen und Gefahren von ihm fernzuhalten. Sie haben noch immer keine Klarheit, wer bei der EM das Tor hüten wird.
Wir haben viele Torleute auf gutem Niveau. Wir beobachten alle Vereinsspiele und bewerten sie. Ich habe immer detaillierte Analysen. Drei werden wir noch im Mai mit der Expertise von Tormann-Trainer Robert Almer nominieren.

Werden die strengen Beschränkungen ein buntes Fest der europäischen Völker überhaupt möglich machen?
Ich hoffe, die Euro in so vielen Ländern wird etwas Unvergessliches. Es werden ja Zuschauer zugelassen. Ich hoffe, dass über die Grenzen hinweg Stimmung aufkommt. Dass man spürt, dass es etwas Besonderes und Großes ist. Es geht ja nicht nur um den Sport, es geht um das gemeinsame Erleben nach der langen Isolation. Die Frage ist: In welchem Ausmaß kann man sich frei bewegen und wieder miteinander feiern? Keiner kann heute beurteilen, was am 11. Juni gelten wird.

Das Team wird wochenlang in seiner Tiroler Enklave bleiben. Bereiten Sie die Spieler darauf vor?
Aus heutigem Stand sollen wir in der Blase bleiben. Es heißt: niemanden treffen, keine Kontakte zur Außenwelt. Vor einem Jahr noch hatten wir sogar Abende mit Fangruppen geplant. Der Plan war fix und fertig. Wir müssen im Katalog vorhandener Möglichkeiten Wege und Lösungen finden, damit die Spieler mental abschalten können, auch geistig aus der Blase kommen. Ein Monat im Hotel ist lang. Wir wissen: Familie gibt Energie. Wir werden die Freiheiten kurzfristig ausloten müssen. Da wird viel Improvisationskunst erforderlich sein, viel Feingefühl, damit die Energie und das innere Gleichgewicht nicht verloren gehen.

Werden sich die Spieler an das Spiel vor Publikum erst gewöhnen müssen?
Ich glaube, die Spieler freuen sich auf die Fans und die Begeisterung. Die Vorfreude bei jedem wird riesengroß sein. Dieses Höchstmaß an Lust und Freude muss bei jedem Spiel da sein. Ob mit oder ohne Fans: Wir sind privilegiert, dass muss jedem bewusst sein.

Was bedeutet das „Abenteuer Euro“ für Sie selbst?
Es erfüllt mich mit großem Stolz. Es war nicht einfach für mich, von Sturm wegzugehen. Sturm ist in meinem Herzen. Ich habe in Graz als Spieler und Trainer alles erlebt, die Familie hat eine neue Heimat gefunden. Aber österreichischer Nationaltrainer zu sein und zum dritten Mal in 50 Jahren das Nationalteam zu einer Europameisterschaft führen zu dürfen, das ist auch für mich eine neue Dimension, etwas Außergewöhnliches. Darauf sollte man sich freuen und glücklich sein. Ich bin es.