Nach dem 0:4-Debakel Österreich in der WM-Qualifikation gegen Dänemark, dem letzten Pflichtspiel vor der EM im Sommer, ist die Stimmung im Land im Keller. Grund genug, um eine sachliche Analyse zu verfassen und der derzeitigen Situation auf den Grund zu gehen.
Ausfälle: Gegen Dänemark fielen neben Florian Grillitsch, Philipp Lienhart und Konrad Laimer mit Martin Hinteregger, Julian Baumgartlinger und Marko Arnautovic die jeweils wichtigsten Säulen jeder Formation aus. Diese Drei zählen auch als Persönlichkeiten mit Leaderqualitäten, die schmerzlich vermisst wurden. Die verbleibenden Offensivkräfte schafften es nicht, einen einzigen Torschuss abzugeben, was unweigerlich mit der fehlenden Qualität zu tun haben muss - unabhängig von den Vorgaben des Teamchefs.
Stammelf: Ausfälle auf Grund von Verletzungen oder Pandemiefolgen bzw. mangelnde Spielpraxis lassen Österreich einfach nicht eine Stammelf finden. Permanent notwendige Umstellungen verhindern, die gerade in Nationalteams so wichtige Eingespieltheit hinzubekommen und damit automatisierte Abläufe zu verinnerlichen - mit diesem Problem haben fast sämtliche Nationen in der WM-Qualifikation zu kämpfen, was die vielen Sensationen erklärt (z.B. Nordmazedonien siegt in Deutschland). Dänemark ging mit dem kompletten Wechsel aller zehn Feldspieler gegen Moldawien volles Risiko und belohnte sich mit zehn ausgeruhten Spielern, die dem ÖFB-Team die Grenzen aufzeigten.
Vergleiche: Gerade diese spielerische Harmonie verhalf Österreich zur EM-Teilnahme 2016. In der Qualifikation vertraute damals Teamchef Marcel Koller rund 13 Spielern. Nur zwei Partien pro Lehrgang führten zu längeren Pausen und nicht nötiger Belastungsminimierungen wie aktuell in der Pandemie. Noch dazu war in der damaligen Qualifikation die Klasse in der Breite klarerweise nicht vorhanden, jene der Startelf war ungleich höher, vor allem da sie eine eingespielte Einheit war. Mit Robert Almer gab es einen unumstrittenen und sicheren Rückhalt im Tor. Christian Fuchs war über Andreas Ulmer zu stellen. Zlatko Junuzovic lieferte im Nationalteam permanent ab - was Marcel Sabitzer nicht regelmäßig gelingt. Die offensiven Flügel brachten mit Martin Harnik den Highspeed und mit Marko Arnautovic die schmerzlich vermisste Kreativität mit. Marc Janko traf im Sturm nach Belieben. Am ehesten kann Sasa Kalajdzic in diese Rolle hineinwachsen. Dennoch ist es nach fünf Länderspielen und drei Toren noch zu früh für Euphorie. Auffällig: Als die Stammelf in Folge von Rücktritten, Verletzungen bzw. mangelnder Spielpraxis nach der EM 2016 nicht mehr gegeben war, blieben die zuvor erfolgreichen Ergebnisse in der WM-Qualifikation aus.
Masse statt Klasse: Gerade starke Persönlichkeiten wie Fuchs, Junuzovic oder auch Janko werden im aktuellen Kader schmerzlich vermisst.Dass es so viele Legionäre wie noch nie zuvor gibt, stimmt. Doch die Frage lautet: Welche Rolle spielen diese in ihren Vereinen? Gerade in der Offensive sieht es diesbezüglich düster aus. Die Stürmer Michael Gregoritsch (Augsburg) und Adrian Grbic (Lorient) haben ihren Stammplatz seit Längerem verloren. Karim Onisiwo (Mainz), Louis Schaub (Luzern) bekommen zwar mehr Spielpraxis, ihre Chancen im ÖFB-Team konnten sie aber keineswegs nutzen. Rapid-Angreifer Ercan Kara hat den internationalen Leistungsnachweis (bis auf einen Doppelpack in der Europa League gegen Dundalk) noch nicht erbracht.
Die Qualität von Gernot Trauner und Ulmer reicht für Österreich leicht aus, die Dänen brachten die starken Defizite des Duos zum Vorschein. Während Ulmer im ÖFB-Team in der Startelf steht, hat etwa sein Salzburger Teamkollege Rasmus Kristensen nicht einmal im Großkader der Dänen Platz - so viel zur Qualitätsfrage. Zudem ist auffällig, dass die ÖFB-Legionäre bei ihren Klubs in defensiveren Rollen eher Schlüsselrollen bekleiden. Neben Torjäger Kalajdzic, der seine erste Saison bei Stuttgart stark bestreitet, gibt es gerade noch Leipzig-Kapitän Sabitzer und Hoffenheim-Regisseur Christoph Baumgartner, die mit ihrem Spielwitz ihre Klubs bereichern. Die mangelnde Kreativität und das fehlende Tempo offenbart sich auf dem Topniveau, auf dem Dänemark agiert, vollends. Sie verkörpern echte Weltklasse - mit Schlüsselfiguren bei Topklubs in England, Italien, Spanien und nicht nur bei Mittelständlern in Deutschland. Dass Spieler nach der höchsten Heimniederlage in einem Pflichtspiel noch immer von der so hohen Qualität im eigenen Kader sprechen, sorgt nur für Kopfschütteln.
David Alaba: Die Diskussionen, auf welcher Position der Bayern-Star spielt, gibt es seit mehr als einem Jahrzehnt. Bei Bayern früher als linker Außenverteidiger Weltklasse, mittlerweile als Innenverteidiger beim Rekordmeister gesetzt, stellten Koller permanent und der jetzige Teamchef Franco Foda sehr oft den Wiener im Mittelfeld auf. Gerade mit dem Fehlen von Hinteregger wäre die Nominierung in der Innenverteidigung bzw. statt Ulmer links hinten eine möglicherweise sinnvollere Alternative gewesen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Alternativen am Flügel (Schaub, Onisiwo und ein von einer Verletzung zurückkehrender Lazaro) nicht die besten waren und sind.
Spielweise: Zur gerne geforderten, spektakulären Spielweise ist einiges anzumerken. Welche Nationen praktizieren diese? Deutschland, Frankreich, Italien, Portugal oder England etwa bauen zumeist auf eine hohe Stabilität mit sechs bis sieben defensiven Feldspielern und verlassen sich vorwiegend auf die überbordend hohe individuelle Klasse in der Offensive, die in Österreich nicht vorhanden ist. Im aktuellen Kader des ÖFB-Teams gab es mit Sabitzer, Schlager, Lazaro, Baumgartner, Posch, Lainer, Ilsanker und Ulmer einige Akteure, die das aggressive Pressingverhalten in jungen Jahren eingetrichtert bekamen. Aber: Pressing ist nicht gleich Pressing. Und Pressing bringt auch nicht automatisch den Erfolg. Salzburg-Trainer Jesse Marsch ist wohl der letzte, der den alten "Rangnick-Fußball" umsetzt und damit international zwar mitunter mit Spektakel punktete, aber auch die zweitmeisten Gegentore aller Champions-League-Teams kassierte - abgesehen vom sang- und klanglosen Aus in der Europa League gegen Villarreal.
Adi Hütter, Julian Nagelsmann oder auch Ralph Hasenhüttl haben sich zu weiten Teilen neu erfunden/erfinden müssen und setzen verstärkt auf Positionsspiel. Weiters ist die Spielweise von Trainer Oliver Glasner früher beim LASK und jetzt bei Wolfsburg keineswegs mit dem "Red-Bull-Ho-Ruck" zu vergleichen. Was alle Trainer aber eint: Es hat in ihren Klubs trotz tagtäglicher Arbeit teilweise Monate gedauert, bis die auf den klubinternen Kader zugeschnittenen Automatismen verinnerlicht waren. Wie schafft es ein Nationalteam wie aktuell mit insgesamt drei Mannschaftstrainings in einem Lehrgang und ständig wechselndem Personal, solche Pressingmuster einzustudieren? Es scheint wenig realistisch, das in die Tat umsetzen zu können, wenn man sich andere Nationen ansieht.
Franco Foda:Die Entscheidung, Alexander Schlager im Tor das Vertrauen für alle drei Partien zu schenken, erwies sich als die falsche. Auch Trauner und Ulmer konnten das in sie gesteckte Vertrauen nicht rechtfertigen. Dass der Deutsche kein Trainer ist, der auf Teufel komm raus für Offensive steht, überrascht niemanden. Ihm zu unterstellen, den Bus vor dem eigenen Tor zu parken, Ballbesitz und Pressing abzulehnen, taktisch nicht flexibel zu sein sowie Kreativität unterdrücken zu wollen, entbehrt jedoch beim Anblick der Spiele und nach einer Auswertung des Datenmaterials jeglicher Grundlage. Die von ihm gerngesehene Restverteidigung hat aber mitunter dazu geführt, die EM-Endrunde zu erreichen und in die Topliga der Nations League aufzusteigen. Angesichts des vorhandenen Spielerkaders darf nicht ausgeschlossen werden, ob dies nicht für mehr Output sorgt. Die Gegentore gegen Dänemark, das sich mit einem massiven Defensivverbund auch bei der EM gute Chancen auf eine starke Platzierung ausrechnen darf, sollten die Alarmglocken schrillen lassen. Die Diskussionen um Foda sind auf jeden Fall im Gange. ÖFB-Präsident Leo Windtner stellte sich aber bereits hinter seinen Teamchef und schenkt dem erfolgreichsten Teamchef in der ÖFB-Historie weiter das Vertrauen. Fakt ist: Foda wird viele Baustellen zu schließen haben, um bei der EM reüssieren zu können. Gewisse Personalentscheidungen muss er auf jeden Fall hinterfragen, seine Spielidee überdenken, aber eines kann er bestimmt nicht: Die Qualität der Spieler auf ein Niveau bringen, dass Österreich regelmäßig gegen Topnationen den Ton angibt.
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