Das Jahr 2020 brachte einige Herausforderungen mit sich – sowohl für Sie persönlich als auch als U21-Teamchef. Wie fällt Ihr Resümee aus?
WERNER GREGORITSCH: Sportlich gesehen war das Jahr ein Desaster. Wir waren nach der Euro 2019 in Italien in einem richtigen Flow und haben uns auf die kommenden Spiele gefreut. Und dann sind die Lehrgänge ausgefallen. Die Weltsituation war aufgrund der Pandemie nur schwer einzuordnen. Das hat natürlich auch meine Burschen betroffen. Einige waren sechs Wochen zu Hause, denen wurde vier Wochen lang das Essen von Klub-Betreuern zugestellt, die durften nicht einmal die Wohnung verlassen. Das war für alle eine ungemeine Herausforderung. Einige sind während des ersten Lockdowns wirklich verzweifelt.
Wie haben Sie Kontakt zu Ihren Spielern und Betreuern gehalten?
Mit Videotelefonie, so wie wohl fast alle auf der Welt. Das war alles komisch und nicht greifbar, irgendwie surreal. Aber es musste ja irgendwie weitergehen mit dem Leben.
Glücklicherweise ist es auch mit Ihrem Leben weitergegangen.
Ja, das trifft es auf den Punkt. Es war alles angerichtet, dass wir zum zweiten Mal in Folge mit dem U21-Team zu einer Europameisterschaft fahren. Wir hatten ein super Torverhältnis und waren gut drauf. Und dann kam mein Herzinfarkt.
Wie ist das genau abgelaufen?
Ich war bei einem Tennisturnier und mir ist es plötzlich nicht so gut gegangen. Das war für mich merkwürdig, weil ich während des ersten Lockdowns einige Kilo abgenommen habe. Ich war richtig fit. Gott sei Dank waren dort einige Ärzte und haben alles richtig erkannt und richtig gemacht. Ich bin ins Krankenhaus gekommen und wurde gleich operiert. Jetzt geht es mir wieder gut.
Aber zwei Spiele fanden ohne Sie statt.
Ja. Das 1:5 gegen Albanien habe ich vor dem Fernseher miterleben müssen. Ich habe mir gedacht: Was ist denn da los? In der 60. Minute habe ich den Fernseher abgedreht, um mein Herz zu schonen. Zehn Minuten später habe ich dann aber wieder eingeschaltet. Die Niederlage war ein Wahnsinn.
Was haben Sie unternommen?
Ich habe allen eine Nachricht geschickt, ob sie noch Gas geben wollen. Jeder der will, sollte mir einen „Daumen hoch“ schicken. In kürzester Zeit haben mir alle einen Daumen geschickt. Gegen England wollten die Burschen dann zu viel. Sie waren zu euphorisch und haben leider knapp 1:2 verloren.
Und gegen den Kosovo gaben Sie Ihr Comeback, lösten Peter Schöttel, der als Coach eingesprungen war, nach zwei Niederlagen wieder ab.
Das war auch notwendig (lacht). Die Rückkehr war für mich persönlich sehr emotional. Im Nachhinein kann ich sagen: Das war das wichtigste Spiel in meinem Leben. Ich war innerlich angespannt, wie ich die Situation schaffe. Und mit dem 1:0-Sieg war das Ergebnis gut, aber für mich war das Gefühl des Wieder-da-Seins einfach wunderschön. Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben. Das verstehen wohl nur diejenigen, die in einer ähnlichen Situation gewesen sind.
Das heißt, Ihr Herzinfarkt hat Sie mehr zum Nachdenken gebracht?
Ich war auf dem Scheideweg. Wenn nicht alles so gut gelaufen wäre, wie es gelaufen ist, wäre ich jetzt wohl nicht mehr hier. Dann würde ich wahrscheinlich irgendwo umherflattern. Ich hatte viel Glück. Und dieses Spiel mit dem Sieg war Lebensfreude pur. Du lebst, bist wieder gesund und hast gewonnen. Mehr geht nicht.
Wie wurde gefeiert?
Das ganze Betreuerteam ist zu mir gekommen und hat „Stand by Me“ gesungen, in Anlehnung an den Stent, den ich bei der Operation gesetzt bekommen hatte. Die Burschen kommen immer auf Ideen – einfach ein Wahnsinn. Lachen ohne Ende mit ganz viel Emotion inklusive. Das war etwas ganz Besonderes für mich.
Klingt nach bester Stimmung im U21-Nationalteam.
Ich kann wirklich sagen: Wir sind eine große Familie und treffen uns jedes Mal gerne wieder. Das klingt fast kitschig, ist aber genau so. Bei uns ist immer etwas los. Bei all der harten und konsequenten Arbeit rennt immer der Schmäh.
Aber nach der Niederlage gegen die Türkei ist Ihnen das Lachen vergangen?
So ist der Fußball. Himmelhoch jauchzend und dann wieder zu Tode betrübt. Wir waren gegen die Türken in allen Belangen die weitaus bessere Mannschaft. Wir hätten mit zwei oder drei Toren Unterschied gewinnen müssen. Uns hat einfach die innere Ruhe gefehlt, wir waren zu verkrampft. Ich kann den Burschen aber keinen Vorwurf machen. Sie waren besser. Und das, obwohl wir 15 Absagen erhalten hatten. Es waren viele Spieler dabei, die habe ich davor noch nicht persönlich gekannt. Aber sie haben es mir nicht übel genommen.
Schließlich kam der versöhnliche, aber letztlich bedeutungslose Abschluss mit dem 4:0-Sieg gegen Andorra.
Es ist um die berühmten Heidelbeeren gegangen, dadurch ist es zum Charakterspiel geworden. Und alle Burschen haben dafür eine römische Eins verdient. Ich habe so eine Freude mit den Burschen.
Und dennoch steht ein erneuter Umbruch bevor. Wie gehen Sie diese Herausforderung an?
Wir hatten jetzt schon einige Spieler dabei, die für die kommenden Aufgaben infrage kommen. Die Arbeit mit den jungen Burschen ist genau Meines. Wir haben es vier Mal auf den zweiten Platz geschafft. Diese Kontinuität mit dieser Qualität gilt es fortzusetzen.
Sie haben einen unbefristeten Vertrag. Wie lange haben Sie noch vor, auf der Trainerbank zu sitzen?
Wenn ich nicht mehr will, weil ich das Gefühl habe, ich erreiche die Burschen nicht mehr, dann höre ich auf. Aber derzeit ist das nicht der Fall – im Gegenteil. Ich brenne weiter. Und eines möchte ich auch sagen: Nach meinem Herzinfarkt habe ich erst gesehen, wie menschlich ganz viele Personen im ÖFB sind. Alle waren besorgt um mich. Franco Foda etwa hat mich täglich angerufen.
Hat sich Ihre Lebenseinstellung nach dem Herzinfarkt geändert?
Echte Lebensfreude geht nur mit einem Lebensmenschen einher. Denn wir alle sind immer nur eine Hälfte. Und ich habe Gott sei Dank mit meiner Frau meinen Lebensmenschen gefunden.
Sie haben den Krebs besiegt und einen Herzinfarkt überstanden. Sie kann anscheinend nichts umhauen.
Ich bin eine Maschine (lacht). Nein. Es war viel Glück dabei und ich habe einen absoluten Lebenswillen. Vielleicht meint es einer auch gut mit mir.
Warum ist die Zeit rund um Weihnachten für Sie so speziell?
Weil meine Schwester vor Jahren am 23. Dezember gestorben ist. Sie war auch ein Lebensmensch. An Weihnachten haben wir es als Familie immer so gehalten, dass alle Freunde, die sich alleine fühlen, zu uns kommen können. Aber das geht heuer aufgrund der Pandemie leider nicht. Bleiben wir dennoch positiv und hoffen auf 2021! Das Leben ist einfach lebenswert.