Die Bodenhaftung darf ein Sieger immer verlieren. Ausgelassen warfen Nordmazedonies Nationalkicker ihren von Glücktränen überströmten Erfolgscoach Igor Angelovski im entvölkerten Boris-Paitschadse-Stadion in den Abendhimmel von Tiflis.Und auch in ihrer Heimat brachen nach dem 0:1-Triumph im Play-Off-Finale gegen Georgien durch das Tor von Altstar Goran Pandev (37) alle Dämme. Corona und Wintersmog hin, Versammlungsverbot her: Die erstmalige Qualikation der „Roten Löwen“ für ein großes Turnier feierten ihre erfolgsentwöhnten Fans bis tief in die Nacht.
In Nationalflaggen gehüllt tanzten die freudentrunkenen Fans auf Autodächern und Straßen. Unablässig hupend kurvten in Skopje die Siegeskorsos. Rote Rauchfackeln qualmten in die feinstaubgeschwängerte Luft. „Gut gemacht Jungs, wird sind stolz auf Euch!“ gratulierte Nordmazedoniens Präsident Stevo Penderovski den Nationalhelden zur Sicherung der EM-Tickets. Spontan kündigte die Regierung des bitterarmen Balkanstaats eine Prämie von 10.000 Euro pro Spieler an. „Freu Dich Mazedonien!“, titelte das Webportal der Zeitung „Vecer“. „Diese Spielergeneration wird in der Geschichte unseres Landes in goldenen Buchstaben geschrieben“, jubilierte der „Standard“.
Tatsächlich haben die Roten Löwen eine lange Durststrecke beendet. Während die ex-jugoslawischen Bruderrepubliken Kroatien, Serbien, Slowenien oder Bosnien regelmäßig bei Welt- oder Europameisterschaften auftraben, ist den Kickern des seit 1991 unabhängigen Balkanstaats bisher nie die Qualifkation für ein Großturnier geglückt. Trotz einiger Achtungserfolge gegen Giganten wie England oder Spanien kam das ex-jugoslawische Fußballaschenputtel über vierte oder fünfte Plätze in der Qualifkationsgruppe lange nie hinaus.
Erst als Ende 2015 der heutige Coach Angelovski auf die Trainerbank rutschte und Superstar Pandev nach zweijähriger Pause wieder das Nationaltrikot überstreifte, begannen die Roten Löwen endlich Zähne zu zeigen. In der Qualifikation für die EM 2020 landete Nordmazedonien hinter Österreich erstmals auf einen dritten Platz. Und über den Umweg der Nation League kann sich der jahrelange Serienverlierer nun endlich auch einmal als Sieger fühlen. Nach dem Gruppensieg gegen Fußballzwerge wie Armenien, Lichtenstein und Gibraltar setzen sich die willensstarken Roten Löwen im Halbfinale gegen Kosovo und beim Endkampf ums EM-Ticket auch gegen Georgien durch.
In der Gruppe C gilt der EM-Neuling zwar als krasser Außenseiter. Doch zumindest bei den ersten beiden, in Bukarest steigenden Spielen gegen Österreich und Ukraine rechnet sich das kampf- und spielstarke Kollektiv um die Italien-Legionäre Pandev, Ilija Nestorovski (30/Udine) und Elif Elmas (21/Neapel) durchaus Chancen auf Punktgewinne aus. Beim Spiel gegen Gruppenfavorit Niederlande kann die Abwehr um Torwart Stole Dimitrievski (26/Rayo Vallecano) zumindest von früheren Achtungserfolgen zehren: Vor der WM 2006 waren den Roten Löwen zwei Unentschieden gegen Oranje geglückt.
Doch schon allein das EM-Ticket ist Balsam für die geschundene Seele des nicht nur im Innern von Spannungen geplagten Vielvölkerstaats. Griechenland hatte mit EU-Blockadedrohungen die Nachbarn 2019 zur Umbenennung des Landesnamens in Nordmazedonien genötigt. Mit Veto-Drohungen macht auch Bulgarien dem EU-Anwärter die eigene Sprache und Identität streitig. Die Serbisch-orthodoxe Kirche wiederum versagt den mazedonischen Glaubensbrüdern den Anspruch auf eine eigene Kirche. Zur Genugtuung vieler Löwen-Fans hat sich allerdings keiner der missgünstigen Nachbarn ein EM-Ticket ergattern können. „Ein Tor für alle, ein Sieg für alle!“, begrüßte Premier Zoran Zaev überschwänglich die Heimkehrer von Tiflis.
Thomas Roser aus Belgrad