Nach mehreren Wochen in Ihrer steirischen Heimat sind Sie vor einigen Tagen von Udinese nach Italien zurückbeordert worden und befinden sich in Quarantäne. Wie fühlt es sich in einem Land mit diesem immensen Leid an?
SEBASTIAN PRÖDL: Jeder Haushalt hat von der Regierung ein Schreiben und zehn Masken bekommen. Die Menschen dürfen das Haus nur maximal eine Stunde verlassen. Meine Gefühle sind schon sehr gemischt. Auf der einen Seite ist die Freude da, endlich wieder den Beruf ausüben zu können, den ich so liebe. Auf der anderen Seite ist mir schon beim ersten Tunnel auf der Fahrt nach Udine ein bedrückender Vergleich gekommen.

Welcher?
Ich kann zwar schon Licht am Ende des Tunnels sehen, aber es wird noch ewig dauern, bis ich durch bin. Und ich kann nur mit 10 km/h fahren, es kommen mir einige Geisterfahrer entgegen und es gibt Baustellen, an denen man zwei Stunden warten muss. Es lauern Tausende Gefahren, bis der Alltag einkehrt und wir wieder wie früher Fußball spielen können.

Wie sieht der Italien-Plan aus?
Ab 18. Mai wird das Kleingruppentraining erlaubt sein. Es ist für mich aber schwer vorstellbar, dass in absehbarer Zeit wieder Fußballevents veranstaltet werden, die Spaß machen. Mit allem, was wir am Fußball lieben, mit Leidenschaft und vor allem mit Fans. Was hinter den Kulissen passiert, sind Notmaßnahmen, um die Saison zu retten. Dabei bleiben viele Fragen offen.

Welche genau?
Reicht die Zeit aus, lassen die Regierungen das überhaupt zu, was geschieht bei Infektionen von Spielern? Ich habe noch nie ein Geisterspiel bestritten, aber das widerspricht allem, was die Popularität des Fußballs ausmacht. Wie eine Unterhaltung mit Maske – da werden alle Emotionen minimiert.

Ergibt die Wiederaufnahme der Meisterschaft für Sie Sinn?
Man spürt bei den Menschen die sehnsüchtige Hoffnung auf positive Emotionen und gemeinsame Verbundenheit durch den Sport. Nach Wochenenden, die für viele Fans ohne Fußball traurig und leer waren. Ich habe trotzdem große Bedenken. Viele Spieler haben Angst, sich anzustecken, fürchten um ihre Liebsten. Auch das Verletzungsrisiko ist nach der langen Pause extrem hoch.

Wie würden Sie mit dem Fußball weiter fortfahren?
Ich würde den Rest der Saison und die europäischen Klubbewerbe bis Ende 2020 fertig spielen, damit jedes Land gleiche Bedingungen hat. Wenn alles gut geht, könnte man im Herbst auch wieder Spiele mit Fans andenken. Die Champions League könnte aktuell nicht mehr fair veranstaltet werden. Da kann es sein, dass die eine Mannschaft zehn Ligaspiele in den Beinen hat und die andere seit März im Homeoffice ist.

Wie soll es dann weitergehen?
Im Frühjahr sollte man mit einer Ganzjahresmeisterschaft starten. Die EM könnte im Winter 2021 ausgetragen werden, ein Jahr vor der WM, die ja auch im Winter stattfindet.

Wie würden Sie die Problematik mit den Spielerverträgen lösen?
Die Verträge automatisch bis Jahresende verlängern. Die Klubs bezahlen den Spielern das gleiche Gehalt, das sie bis zum Sommer erhalten hätten. Ich bin überzeugt, dem würden die Profis zustimmen. Und die Vereine hätten ein langes Zeitfenster, um sich zu konsolidieren – eine Win-win-Situation.

Inwiefern ist ein Wiederanpfiff im Fußball ein Muss, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Systems zu verhindern?
Ich verstehe, dass die Ligen-Fortsetzung für viele Klubs ein Rettungsanker ist. Durch fehlende budgetierte Einnahmen ist eine wirtschaftliche Schieflage entstanden. Die Lufthansa bekommt offenbar von Deutschland und Österreich Subventionen in Milliardenhöhe – beim Fußball hört man sehr wenig von staatlicher Hilfe.

Für Sie zu Unrecht?
Der Profifußball ist genauso ein Wirtschaftsfaktor. Die Premier League zahlt pro Jahr fünf Milliarden Pfund an Steuern, sichert Hunderttausende Arbeitsplätze in Stadien, Medien, der Gastronomie und im Tourismus. Und Steuern aus dem Fußball stärken das Gesundheitssystem. Derzeit ist es nicht opportun, das zu fordern. Fußball sollte nur fair behandelt werden.

Sebastian Prodl bestritt bislang 73 Länderspiele für Österreich
Sebastian Prodl bestritt bislang 73 Länderspiele für Österreich © AP

Was sagen Sie dazu, dass selbst der Krösus Liverpool Kurzarbeit beantragen wollte?
Ich bin schwer irritiert, dass so viele Klubs keine Rücklagen gebildet haben. Warum haben sich die Vereine nicht abgesichert und weshalb sind die Planungen nicht längerfristig ausgerichtet? Während kleinere Firmen oft wie die Löwen um ihr Überleben kämpfen, sind börsennotierte Unternehmen mit Milliardenumsätzen nach drei Wochen Stopp plötzlich in ihrer Existenz bedroht oder geben es zumindest vor. Warum investieren nicht Wirtschaftsbosse, die Boni in Millionenhöhe kassieren, in der Krise in ihre Unternehmen? Corona macht es leicht, alles kann auf das Virus geschoben werden.

Was stehen Sie zum Thema Gehaltsverzicht von Fußballprofis?
Fußballer sind ein dankbares Opfer, weil es in diesen Zeiten sehr einfach ist, dafür Zustimmung zu erhalten. In Österreich mag ein Gehaltsverzicht für die Vereine hilfreich sein, aber international ist das nur ein Etikettenschwindel. Der FC Bayern hat ein Gehaltsbudget von rund 280 Millionen Euro pro Jahr. Wenn die Profis für drei Monate auf 20 Prozent verzichten, reden wir da von 14 Millionen Einsparung. Damit kann man nicht einmal Robert Lewandowski bezahlen. Und stärkt es die Klubliquidität wirklich, wenn durch Gehaltsverzicht der Kronprinz von Abu Dhabi als Besitzer von Manchester City profitiert? Die Neiddebatte hat es vor Corona gegeben und sie wird auch nachher nicht aufhören.

In welchen Bereichen wird sich der Profifußball verändern?
Im internationalen Fußball ist es wie in der Wirtschaft auch vor Corona nur um eines gegangen: ständiges Wachstum. Der Kuchen wird nicht kleiner werden, aber vielleicht anders verteilt. Es wird mehr Leistungsprinzip geben, die Spieler werden geringere Fixbeträge bekommen, die Gehälter werden erfolgsabhängiger. Im Laufe meiner Karriere war ich mehrmals im Abstiegskampf und bin auch fürs Verlieren gut bezahlt worden. Das wird sich ändern.

Welche Entwicklung prognostizieren Sie für den Transfermarkt?
Der Terminplan wird in den nächsten beiden Jahren extrem dicht sein, die Ligen müssen die Saison im Sprint durchziehen. Alle drei Tage ein Spiel, die nächste Saison muss umgehend starten und die EM steht vor der Tür. Pause wird es keine mehr geben. Daher werden die Topklubs ihre Kader noch breiter aufstellen. Diesen Vereinen spielt es in die Karten, dass die Transfersummen deutlich nach unten gehen werden. Die kleinen Klubs wollen überleben und können nicht pokern, weil sie auf das Geld angewiesen sind. Sie werden für ihre Stars nur noch wesentlich geringere Ablösen bekommen. Die Schere zwischen Reich und Arm geht also noch weiter auseinander.

Sie gelten als Verfechter eines gesunden Lebensstils. Wie bewerten Sie es, dass vor allem Menschen mit Vorerkrankungen am Virus gestorben sind?
Wir leben in einer Gesellschaft, die ihre Entscheidungen frei und bewusst treffen kann. Fettleibigkeit, übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen verkürzen unser Leben. Ich bedaure es sehr, dass gewisse Lebensumstände bei vielen zu Vorerkrankungen geführt haben. Aber wer sich mutwillig in diese Lage gebracht hat, sollte schleunigst seinen Lebensstil ändern. Was würde passieren, wenn die Regierung ein Alkohol- und Rauchverbot verhängt? Oder beschließen würde, dass Schnitzel, Schweinsbraten und Fast Food nicht mehr verkauft werden dürfen? Wäre da die Akzeptanz in der Bevölkerung genauso hoch wie bei der Maskenpflicht und dem Abstandhalten? Oder wäre die Reaktion nicht so: „Alles, was wir uns selbst zufügen, geht okay. Nur dieses fremde Virus aus China schadet uns.“ Ich glaube zwar, dass sich jetzt einige gesünder ernähren, aber wie lange wird das anhalten? Der Mensch sucht immer Schuldige. Nur sich selbst sieht fast keiner als Kern des Problems.