Herr Koller, wie war der Winter?
MARCEL KOLLER: Wenig Schnee am Anfang, dann ist es doch noch weiß geworden. Ich war auf Urlaub in der Schweiz. Es war sehr erholsam, aber Mitte Jänner ging es wieder los mit der Vorbereitung, Spiele, Spieler beobachten.
Hatten Sie auch Zeit, über das Vorjahr nachzudenken, und wie haben Sie es verarbeitet?
Ich habe fünf Jahre nachgearbeitet, das eine oder andere Spiel noch einmal angeschaut. Da ist mir vieles aufgefallen.
Welche zentralen Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Vieles, was ich mir wieder neu in Erinnerung gerufen habe. Zum Beispiel, dass Alaba auf der Zehn gespielt hat in Schweden, dass er sehr offensiv war und viel dazu beigetragen hat, dass wir gute Aktionen nach vorn hatten.
Haben Sie Erklärungen gefunden für den Rückfall des Teams?
Wir haben ja schon die Gabe, Dinge immer ein bisschen dramatischer zu sehen. Wir haben nicht jedes Spiel gewonnen wie in der Qualifikation. Und wenn du nicht gewinnst, wird alles schlechter gesehen. Das ist nichts Neues. Wir hätten im Herbst alle WM-Qualifikationsspiele gewinnen können. Es waren enge Partien. Wir müssen schauen, dass wir die engen Partien wieder auf unsere Seite bringen. Dafür muss jeder alles in die Waagschale werfen.
Um beim Winterbild zu bleiben: Was macht Sie zuversichtlich, dass die Erfolgsspur nicht Schnee von gestern ist?
Dass, wenn man in die Berge schaut, dann immer noch Schnee liegt und die Spur noch da ist. Wir müssen überzeugt davon sein, dass wir das erreichen können. Wir haben natürlich zu kämpfen mit Spielern, die nicht so viel Praxis haben. Da ist es wichtig, wenn wir zusammenkommen, dass wir spüren, wer braucht mehr Unterstützung, wen können wir ein bisschen auf der Seite lassen.
Vor einem Jahr wäre es für Sie undenkbar gewesen, trotz fehlender Spielpraxis auf Leute aus Ihrem Stamm zu verzichten. Nun werden solche nicht mehr einberufen, wie Florian Klein. Rücken Sie von Ihren Prinzipien ab?
Nein. Das ist auch eine Frage der Alternativen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass jemand, der nicht über den Rhythmus und die hohe Spielintensität verfügt, abfällt. Das ist völlig normal. Gibt es Leute, die die Qualität besitzen, können wir auf sie zurückgreifen.
Das heißt, die Qualität hat sich generell verbessert?
Ja, das ist erkennbar, wie wir am Beispiel Stefan Lainer sehen können. Wir beobachten ihn schon lange, und er hat eine positive Entwicklung durchgemacht. Es ist aber nicht so, dass zehn weitere da sind, die so aufgefallen sind. Das wird in Österreich immer eine sehr enge Geschichte sein.
Auch im Fall Alaba weichen Sie von Ihrer bisherigen Linie ab. Wenn Sie jetzt sagen, er soll links hinten spielen, würde er dies auch so akzeptieren?
Es kann nicht so sein, dass jeder auswählen kann, wo er gerne spielen würde. Mein Ziel ist es, die Spieler auf die für das Team beste Position zu bringen. Da geht es nicht darum, Lieblingspositionen zu verteilen. Es geht um die Frage, wie wir am erfolgreichsten sein können.
Was macht die Teamreife eines Spielers aus?
Nun, er braucht die fußballerische Basis, er muss eine gute Wahrnehmung haben und eine Persönlichkeit sein.
Wie stark gewichten Sie das Kriterium der Jugend?
Wenn ein junger Spieler die gleiche Qualität hat wie ein älterer, setzen wir auf den jungen. Der wird dann aufgebaut. So wie es bei Sabitzer oder Lazaro der Fall ist. Sie haben sich kontinuierlich weiterentwickelt und gehören jetzt zum Stamm.
Zu Ihrer Person: Vor der Euro sind Sie als eine Art Volksheld gefeiert worden. Wie haben Sie diese Verehrung empfunden, und verspüren Sie jetzt Gegenwind?
Ich habe mich eh nicht so wohlgefühlt, als dieser Hype war. Ich bin eher zurückhaltend, habe viele Dinge abgesagt. Ich habe aber auch jetzt nicht das Gefühl, dass es abflaut. Also, wenn ich unterwegs bin, freuen sich die Leute. Sie wollen Fotos, Autogramme und plaudern. Wie der ein oder andere denkt, kann ich nicht beeinflussen. Ich versuche, alles, was ich weiß und umsetzen kann, fürs Nationalteam in die Waagschale zu werfen, um erfolgreich zu sein. Ich will mich nicht verändern, sondern mich wie ein normaler Mensch verhalten. Ich fühle mich nicht als bessere Person, nur weil ich der Teamchef bin. Ich versuche, auf jeden zuzugehen.
Haben Sie bei der Selbstreflexion eigene Fehler erkannt?
Ja, wenn ich jetzt sagen würde, ich habe keine Fehler gemacht, würde das sehr seltsam aussehen. Ich glaube, das kann keiner von sich behaupten. Ich beobachte da aber eine Schwarz-Weiß-Sichtweise. Für den Außenstehenden ist es leicht, eine Personalentscheidung zu beurteilen. Hat er entsprochen, ist es gut. Wenn nicht, war die Entscheidung falsch. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn man sagt, ich mache alles richtig. Ich bin auch nicht resistent gegen Kritik. Aber sie soll sachlich und nachvollziehbar sein. Wenn ich dadurch das Team und mich verbessern kann, nehme ich das gerne auf.
Eine konkrete Fehlersituation wollen Sie nicht nennen?
Nein, das arbeite ich für mich persönlich auf.
Jetzt steht Österreich vor einem äußerst wichtigen Match. Wie oft haben Sie sich schon in so einer Situation befunden?
Der Bundesliga-Abstiegskampf mit Bochum war dreimal so intensiv. Da hängt ein ganzer Verein dran, es stehen Existenzen auf dem Spiel. Wenn Leute zu dir sagen: "Gib bitte Gas und schau, dass du gewinnst, sonst verliere ich meinen Job", sind das schon Situationen, die einem sehr, sehr nahegehen.
Wie sehen Sie die Chancen in der WM-Qualifikation?
Nun, sie sind nach wie vor gegeben. Es sind noch 18 Punkte zu holen, es ist nach wie vor möglich, und das wollen wir auch vermitteln. Wir dürfen aber nicht auf Serbien, Wales, Irland schauen, sondern jetzt zählt Moldawien. Auch brauchen wir jetzt keine Hochrechnungen.
Blicken Sie schon auf die Zeit nach der WM-Qualifikation? Würden Sie im Falle eines Scheiterns Teamchef bleiben, wenn Sie es denn dürften?
Was nach der WM-Qualifikation sein wird, weiß ich jetzt noch nicht. Mein Vertrag läuft bis Jahresende, bei Qualifikation bis Sommer 2018. Ich bin aktuell positiv eingestellt.
Gibt es Angebote?
Es gibt immer wieder Anfragen. Da müsste aber auch die Konstellation passen. Derzeit ist das kein Thema