Marcel Koller, Jahrgang 1960, ist Schweizer und wird deshalb immer Schweizer bleiben. Ist ja nix Unanständiges, in der Welt von Toblerone, Uhren und Alphornbläsern aufgewachsen zu sein. Seit fünf Jahren steht der Mann aus Zürich, der 18 Jahre für die Grasshoppers und 55 Spiele lang für das Schweizer Team als Stürmer tätig war, der österreichischen Nationalmannschaft als Trainer vor. Anfängliche Bedenken, von wegen: Für was tun wir denn den brauchen? wischte Koller spätestens mit der ungefährdeten Qualifikation für die Europameisterschaft 2016 vom Tablet. Seither haben seine Kicker eine relativ sehr peinliche EM in den Beinen, ab sofort ist der Blick auf die Weltmeisterschaft in Russland 2018 gerichtet, für die es sich zu qualifizieren gilt.
Am Donnerstag startet Österreich gegen Wales im Ernst-Happel-Stadion, anschließend steht der schwere Gang nach Serbien bevor. Vor drei, vier Jahren hätte Fußball-Österreich noch frohlockt ob des geniale Loses, aber: Mittlerweile sind die Waliser EM-Semifinalisten, haben mit Gareth Bale den zweitteuersten Kicker der Welt in ihren Reihen, der sich bedingungslos in den Dienst seiner Mannschaft stellt. Diesbezüglich dürfte Österreich ein bisserl Aufholbedarf haben, weil vor allem einer dort eingesetzt wird, wo ausschließlich er es will, also David Alaba.
Im Interview mit der Kleinen Zeitung gewährt Marcel Koller Einblicke in sein Denken und Tun, ins Leben in Österreich und über das Umgehen mit der Mentalität.
Wann haben Sie das letzte Mal Golf gespielt?
MARCEL KOLLER: Hach, das weiß ich jetzt gar nicht. Irgendwann im Sommer. Ich komme nicht dazu.
Ist denn Ihre Arbeit als Teamchef so zeitintensiv? Wie stellt man sich das vor?
KOLLER: Ich gehe jeden Tag in die Arbeit, ganz normal, um halb neun.
Und dann?
KOLLER: Analysiere ich die Gegner, schaue mir Länderspiele an. Das ist sehr zeitintensiv. Ich brauche vier, fünf Stunden für ein Spiel.
Was haben Sie bezüglich Wales gesehen?
KOLLER: Wir kennen die Waliser sehr gut, nicht erst seit der EM. Jetzt heißt es auf einmal in Österreich: Uh, das wird aber schon schwer. Ich kann mittlerweile damit umgehen, mit diesem In-den Himmel-heben-und-zu-Tode-betrübt-Sein. Die Integration ist gut gelungen. Jedenfalls wissen wir, was gegen Wales zu unternehmen ist. Eine solide Mannschaft, hinten gut organisiert, mit schnellem Spiel über die Flanken. Bale und Ramsey sind zwei Weltklassespieler, alle harmonieren sehr gut miteinander.
Das heißt, dass besonders das Verteidigen an den Flanken gefragt sein wird.
KOLLER: Ja, sicher.
Sie verfügen mit David Alaba über einen der besten Linksverteidiger der Welt. Im Nationalteam spielt er meist als Sechser. Ist es nicht ein Luxus, ihn nicht auf seiner Stammposition einzusetzen?
KOLLER: Warum sollte ich das tun?
Weil er immer dort spielt? Weil er das gut macht? Weil Bale über die Flanken kommen wird?
KOLLER: Wir sind die österreichische Nationalmannschaft und nicht Bayern München. David wurde bei uns in seinen 50 Spielen noch nie in der Verteidigung aufgestellt. Wir sind so einen erfolgreichen Weg gegangen, und den werden wir weiter gehen.
Verstehen Sie prinzipiell Spieler, die den Verein wechseln und dann auf der Bank oder Tribüne sitzen?
KOLLER: Ich wollte immer spielen, Geld war für mich kein Thema. Klar müssen die Spieler eine Familie ernähren. Jeder Spieler hat seinen Berater. Das erste Ziel ist es, sich gegen die Konkurrenz zu wehren. Und zu zeigen, wie gut man ist. Manche bekommen diese Gelegenheit früher, manche später, die anderen gar nicht.
Wenn Sie heute eine DVD von einem Match aus den 80ern sehen, . . .
KOLLER: . . . dann denke ich mir, uff, wie langsam das doch ist. Fußball ist schneller, intensiver, taktischer geworden. Vor zehn Jahren hat noch niemand über eine Doppelsechs oder Tiefstehen geredet. Heute musst du top vorbereitet sein, um Chancen zu haben.
Und wenn Sie in zwanzig Jahren ein Spiel der Österreicher aus dem Sechzehnerjahr sehen werden?
KOLLER: Schwer zu sagen. Die Revolution wird weiter gehen, vergleichbar mit der technischen Entwicklung. Vor 15 Jahren hatte keiner ein Mobiltelefon, heute ist jeder ohne sein Handy verloren. Früher mussten wir 14 Tage warten, bis ein Foto entwickelt war. Unser Sport wird noch kopflastiger werden. Mehr Frechheit wird verlangt sein. Unbedingte Beidbeinigkeit. Kurios ist, dass jede Generation zu ihrer Zeit denkt, es geht nicht besser.
Martin Harnik ist verletzt, Deni Alar wurde nachnominiert.
Wie beurteilen Sie den Sturm-Stürmer?
KOLLER: Er ist uns schon bei Rapid aufgefallen, aber er kennt uns noch nicht. Er ist ein interessanter Spieler, braucht sicher noch ein bisschen Zeit. Man darf nicht vergessen, dass er in der österreichischen Liga spielt. Sturm ist heuer nicht international vertreten. Alar fehlen die Gradmesser zum Vergleich: In Deutschland ist mehr Power drin, mehr Intensität, mehr Schnelligkeit. Janko und Gregoritsch interpretieren die Sturm-Rolle anders, aber Alar kann in Zukunft sicher eine vernünftige Alternative sein.
Kapitän Julian Baumgartlinger und Abwehrchef Aleksandar Dragovic kommen in Leverkusen derzeit über Reservistenrollen nicht hinaus, im Team sind sie Fixgrößen. Macht Ihnen das Sorgen?
KOLLER: Nein. So ist das Geschäft. Es ist normal, dass zuerst die zum Zug kommen, die der Trainer kennt. Es braucht Zeit, sich anzupassen. Zudem ist der Kader bei Leverkusen eng besetzt. Aber gerade bei den beiden habe ich keine Angst, dass sie übrig bleiben.
Welcher Mannschaft schauen Sie persönlich am liebsten zu?
KOLLER: Dem österreichischen A-Team.
Harald Schume