Ob sich Wladimir Putin morgen in der Otkrytije-Arena zu Moskau einfinden wird, um seinem Fußballteam im so bedeutsamen EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich auf die Beine zu schauen, ist (fast) bis zum Anpfiff nicht klar. Der russische Präsident ist ein sehr beschäftigter Mann und weit gereist, soeben erst wurde Wladimir Wladimirowitsch im Vatikan von Papst Franziskus empfangen.

In den höchst irdischen Fußballkreisen aber hängt der Haussegen neuerdings ein wenig schief, denn Putin kommt der mächtigste Mann des Weltverbandes abhanden. Wenige Tage nach den Glückwünschen zu dessen Wiederwahl gab FIFA-Boss Sepp Blatter seinen (bevorstehenden) Rücktritt bekannt, was dem Kreml-Herrn gar nicht gefallen haben dürfte.

Blatters Abgang als Sorge

Denn mit Blatters Abgang wird auch der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland (neben der noch viel skandalträchtigeren 2022 in Katar) die schützendste Hand entzogen. Putin und Blatter schwimmen nämlich auf ähnlicher Wellenlänge, wie der Schweizer selbst in Interviews zu verstehen gab. Er möge ihn als Person, so Blatter, der daher auch das Verhältnis als ein "sehr gutes" bezeichnete.

Diese gute Beziehung war gewiss kein Hindernis auf dem Weg zum WM-Veranstalter, der mit dem Zuschlag am 2. Dezember 2010 geebnet war. Russland hatte sich gegen England sowie die Doppelbewerbungen Spanien/Portugal und Niederlande/Belgien durchgesetzt und im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit des FIFA-Exekutiv-Komitees erlangt. Putin hatte damit nach den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi auch die noch weitaus prestigeträchtigere Fußballweltmeisterschaft für sein Reich an Land gezogen.

Korruptionsverdacht

Die Glückwünsche zu Blatters Wiederwahl beruhten nicht nur auf der gegenseitigen persönlichen Zuneigung, sondern gehörten auch zum taktischen Kalkül. Denn durch die Verhaftungen ranghoher FIFA-Leute während des Kongresses und die Beschlagnahme von digitalen Dokumenten in der Zentrale des Weltverbandes in Zürich war sein Turnier wieder hineingezogen worden in den schmierigen FIFA-Sumpf.

Und kaum hatte Blatter seinen Abschied publik gemacht, kursierten umgehend Meldungen, wonach die WM-Doppelvergabe an Russland und Katar wegen mutmaßlicher Korruption rückgängig gemacht werden könne. Die in FIFA-Angelegenheiten ermittelnde amerikanische Justiz hatte aber, um die politische Dimension nicht ausufern zu lassen, erklärt, nicht direkt gegen die Russland-WM vorzugehen.

Untersuchungen in der Schweiz

Die Untersuchungen der Schweizer Bundesanwaltschaft jedoch beziehen sich tatsächlich auch auf Putins Turnier. "Es besteht der Verdacht, dass bei den Vergaben für die FIFA-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 Unregelmäßigkeiten begangen worden sind", heißt es laut den Eidgenossen.

Das Strafverfahren war schon am 10. März dieses Jahres eröffnet worden und hat nun an Brisanz gewonnen. Derzeit werden jene Mitglieder des Exekutiv-Komitees einvernommen, die damals (2010) abstimmten und heute noch im Amt sind. Schon in ein bis zwei Wochen soll ein erstes Zwischenergebnis der Untersuchungen vorliegen. Blatters Rückzug könnte so manche bisher ruhig gestellte Zunge lockern. Die Folgen im Fall eines Geständnisses sind derzeit noch nicht absehbar.

Zeitmangel

Dennoch spielt Putin ein nicht unwesentliches Argument in die Hände, nämlich der Zeitfaktor, der im Grunde keinen Handlungsspielraum mehr offenlässt. Schon am 25. Juli, also in weniger als sechs Wochen, werden in St. Petersburg die Gruppen für die Qualifikation zur Russland-WM ausgelost.

Es ist insofern ein symbolträchtiger Ort für den Staatschef, der dort 1952, fünf Monate vor Stalins Tod, auf die Welt kam. Damals, in tiefen Sowjetzeiten, hieß St. Petersburg freilich Leningrad.

Fortschritts-Inspektionen

Weil die WM zumindest aus FIFA-Sicht nicht aufzuhalten sein wird, werden Inspektionstouren unternommen, um sich über den Fortgang der Vorbereitungen und Bauarbeiten auf dem Laufenden zu halten. Erst am vergangenen Mittwoch war der vorgesehene WM-Schauplatz Samara Anspielstation für den zuletzt ebenfalls ins Visier der Ermittler geratenen FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke. Es sei alles im Plan, auch der Neubau des dortigen Stadions, wurde nach einer Sitzung des Lokalen Organisationskomitees vollmundig erklärt.

Der Druck steigt aber beinahe im Tagesrhythmus. Am Donnerstag forderte das Europa-Parlament die FIFA per Resolution auf, einen Interimspräsidenten zu bestimmen und die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 im Falle nachgewiesener Korruption für ungültig zu erklären. Wörtlich war in der Erklärung von „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Korruption im Fußball zu lesen.

Außerordentliche Tagung

Spannung ist in den kommenden Wochen jedenfalls so gut wie garantiert. Am 20. Juli, also fünf Tage vor der Qualifikationsauslosung, tritt das FIFA-Exekutiv-Komitee zu einer außerordentlichen Sitzung in Zürich zusammen. Auf der (nur von Generalsekretär Valcke unterzeichneten) Tagesordnung steht unter anderem die Festlegung des Termins der Präsidentenwahl. In Insiderkreisen machen Vermutungen die Runde, das Gremium könnte zu diesem Zeitpunkt schon um einige Mitglieder reduziert sein. Auch Putin dürfte darauf schon ziemlich gespannt warten.

HUBERT GIGLER