Um gute Ansagen ist Marko Arnautovic selten verlegen. Nach dem 5:1 gegen Norwegen hat der ÖFB-Rekordinternationale wieder eine rausgehauen. „Ich kann nur eines sagen: Das ist die beste Nationalmannschaft, die es je in Österreich gegeben hat.“ Dies ist quasi eine Einladung zu einer philosophischen Diskussion, in der es mehrere subjektive Wahrheiten geben könnte.
Wer streng datenbasiert vorgeht, wird beim dritten Platz bei der WM 1954 fündig. Ein Erfolgserlebnis, das bis in die Gegenwart ausstrahlt, schließlich verpasste das Nationalteam bei der EM 2024 im Achtelfinale den ersten K.o.-Sieg bei einem Turnier seit 70 Jahren. Rein sportlich sind generationenübergreifende Vergleiche schwierig. Der Fußball hat sich seit den Spielerzeiten Ernst Happels in den 50ern oder Hans Krankls Sternstunde bei der WM 1978 weiterentwickelt.
Ein subjektiver Punkt für Marko Arnautovic
Da Arnautovic zwar längst österreichische Fußballgeschichte geschrieben hat, bislang jedoch nicht als Fußballhistoriker auffällig geworden ist, sollte man seinen Spruch nicht zu wortwörtlich nehmen, wobei ihn der 35-Jährige bestimmt so gemeint hat. Subjektiv hat er fraglos einen Punkt. Es ist länger her, dass ein österreichisches Nationalteam im internationalen Fußball derart konkurrenzfähig war. Die leistungstechnische Bandbreite zwischen der Gala im Heimspiel gegen Norwegen und den müden September-Darbietungen lässt allerdings auch die Frage zu: Wo steht Österreich wirklich?
Das Länderspieljahr 2024 zeigte bislang die Realität mit allen Stärken und Schwächen auf. Bei diesem Lehrgang schlug das Pendel mit einer Tordifferenz von 9:1 gegen Kasachstan (4:0) und Norwegen wieder in eine sehr positive Richtung aus. „Bei uns geht es ja ganz schnell: Mal sind wir die Besten, mal vielleicht doch nicht so gut. Meiner Meinung nach wird es von außen nicht ganz richtig eingeschätzt. Auf dem Niveau, auf dem wir uns befinden, geht es um Kleinigkeiten“, erläutert Christoph Baumgartner, der es als völlig normal empfindet, wenn sich auch einmal ein, zwei schlechtere Spiele einschleichen: „Das passiert jeder Mannschaft.“
Bei den Besten in Sachen Kollektiv
Auch wenn man es nicht immer gerne hört: An individueller Klasse sind andere Nationen besser aufgestellt, auch wenn sich die zur Verfügung stehende ÖFB-Qualität in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten rapide erhöht hat. Österreich beweist jedoch in gewisser Regelmäßigkeit, dass es in Sachen Kollektiv, Intensität und Energie zu den besseren Nationalmannschaften gehört. An guten Tagen.
„Wir können kein Spiel mit 98 oder 99 Prozent gewinnen, sondern nur mit 100 Prozent wie gegen Kasachstan und Norwegen. Wenn wir es mit einem Prozent weniger machen, kriegen wir Probleme“, unterstreicht Philipp Lienhart und glaubt: „Wenn wir die 100 Prozent auf den Platz kriegen, bin ich überzeugt, dass wir jeden Gegner schlagen können.“
Raum für Verbesserungen gibt es im Fußball immer. Dass es auf so mancher Position wünschenswert wäre, wenn internationale Klasse nachwächst, ist kein Geheimnis. Dass das bestehende Fundament inzwischen erfreulich stabil ist, zeigt der Umgang mit Rückschlägen. Dass die Mannschaft nach dem enttäuschenden EM-Aus beim Nations-League-Auftakt im September nicht in die Gänge kam, gab Teamchef Ralf Rangnick zu Beginn dieses Lehrgangs die Gelegenheit zu klarer Manöverkritik, welche die Mannschaft bestens verinnerlichte.
„Wir haben als Mannschaft definitiv nie an uns gezweifelt“, betont Baumgartner und findet: „Im September haben wir aber auch gesehen, dass wir selbst mit ordentlichen Durchschnittsleistungen solche Mannschaften schlagen können.“ Gelungen ist es nicht, möglich war es. Auch an schwächeren Tagen ein Spiel auf die eigene Seite zu ziehen, ist eine Qualität, an der man weiter feilen kann.
Noch wichtiger wäre, Spiel für Spiel die Grundvoraussetzung für gute Tage zu bringen. „Unser Spiel lebt von der Energie, die innerhalb der Mannschaft versprüht wird, der Anzahl der Sprints und dass alle mitmachen“, ruft Rangnick in Erinnerung. Der 66-Jährige sah sich seit dem September mancherorts mit Zweifel konfrontiert: „Die Mannschaft hat eindrucksvoll bewiesen, dass es nicht nur ein Höhenflug ist.“
Der Vergleich mit Norwegen
Im Idealfall landet Österreich bei der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Seit 1998 wartet Rot-Weiß-Rot auf eine Teilnahme am globalen Fußballevent. In dieser Zeit hätte Österreich „auch ganz ordentliche Spieler“ gehabt. Beim letzten Scheitern waren diverse aktuelle Kadermitglieder beteiligt: „Da hat man gegen Wales verloren, auch nicht gerade der Nabel der Fußballwelt. Wir wissen, dass es genau solche Leistungen wie in dieser Woche braucht, um uns zu qualifizieren.“
Der Vergleich mit Norwegen macht sicher, dass das momentane Standing Österreichs schon in Ordnung geht. „Für mich ist das eines der aufregendsten Teams in Europa. Ich wäre überrascht, wenn sie sich nicht für die WM qualifizieren“, schwärmte Rangnick trotz des klaren Sieges und hörte gar nicht auf, die Vorzüge der Skandinavier zu loben. Dies motivierte einen norwegischen Journalisten zu einer Frage, die man sich in der Heimat auch oft stellen würde: „Wenn wir so gute Spieler haben, warum verlieren wir dann immer?“ Vielleicht weil es nicht die beste Mannschaft im wortwörtlichen Sinne ist.