Spätestens wenn man sich gegenseitig die Sätze vollendet, ist es eine innige Freundschaft. „Wir zwei haben uns…“, stockt Christoph Baumgartner, Michael Gregoritsch springt ein: „…für einen Abend gemeinsam entschieden.“ Denn um 18 Uhr sei ein cooles EM-Spiel, vielleicht werde man „noch kurz in unser Schwitzkastl, also in die Sauna schauen“, überlegt Baumgartner. Gregoritsch bricht längst mit einem Lachkrampf weg: „Netflix and Chill?“
Eigentlich versuchen die beiden Kumpels gegen Ende ihres gemeinsamen Medientermins in Berlin nur wortreich zu rechtfertigen, warum sie zu jenen Spielern gehören, welche die Einladung von Teamchef Ralf Rangnick zum Konzert von Rod Stewart nicht angenommen haben. „Gregerl“ erklärt sich außerdem damit, dass seine Anspannung vor dem EM-Auftakt bereits so groß ist und bedauert: „Wir hätten Rod Stewart irrsinnig gerne gesehen. Wirklich tolle Musik! Der Trainer hat uns am Mittwoch etwas vorgespielt.“ Papa Werner werde sich sicher telefonisch beschweren, warum der Sohnemann diese musikalische Gelegenheit auslässt. „Aber wir werden heute einen Pärchenabend zu Hause verbringen“, lacht Gregoritsch Junior.
Die Vorgeschichte dieser Episode ist, dass Baumgartner kurz zuvor zwar die Hilfsbereitschaft und „den tatsächlich sehr guten Schmäh“ von Gregoritsch erwähnt hat, aber gar nicht zu lange positiv über den Steirer reden wollte: „Ich will keine Lobeshymnen auf ihn singen, denn die Jungs bei uns in der Mannschaft sagen eh schon, dass wir sehr, sehr gute Freunde sind.“
Wenn sich Baumgartner beschwert, dass Gregoritsch zu viel am Handy spielt, und Gregoritsch findet, dass Baumgartners Talent beim Gesellschaftsspiel „Mensch ärgere dich nicht“ enden wollend ist, klingen die beiden tatsächlich wie ein altes Ehepaar. „Wir reden sehr offen und ehrlich miteinander. Er hat wirklich coole Ansichten. Ich höre ihm sehr gerne zu, wenn ich nicht gerade am Handy bin und ihn ignoriere“, liefert Gregoritsch umgehend eine augenzwinkernde Retourkutsche. Dass das Duo zu den engsten Freunden im Nationalteam zählt, ist kein Geheimnis.
Für das betriebsinterne Klima ist es nie schlecht, wenn Freunde am Werk sind. Praktisch ist im konkreten Fall, dass Gregoritsch und Baumgartner als Sturm-Duo besonders eng zusammenarbeiten. Gregoritsch spricht von „blindem Verständnis“. Baumgartner berichtet, dass sich beide viele Gedanken über den Fußball machen würden, wie man etwa einen Gegner richtig bespielt, und verrät, dass es in Spielen oder Trainings auch gewisse Phasen geben könne: „Ich will nicht sagen, dass wir uns attackieren, aber ein Stück weit kitzeln wir uns. Das setzt dann wieder Energie frei.“ Gregoritsch: „Manchmal entstehen Reibungspunkte. Kurzfristig können wir uns sehr hoch schaukeln, das dann aber doch wieder sehr charmant mit einem Lächeln beilegen.“
Beide halten bei jeweils 15 Länderspiel-Toren und präsentierten sich in der Rangnick-Ära mit jeweils neun Treffern besonders torgefährlich. Baumgartner hat gar in den vergangenen fünf ÖFB-Matches jeweils ein Tor erzielt. Netzt er am Montag auch beim EM-Auftakt gegen Frankreich, würde er den bereits eingestellten Rekord von Hans Krankl brechen. „Das ist eine coole Nebensache, aber tatsächlich komplett egal. Darauf liegt Null-Komma-Null mein Fokus“, betont der Leipzig-Legionär, der selbstredend gut performen möchte: „Aber wenn wir das Spiel gewinnen, ist mir komplett egal, ob ich ein Tor geschossen habe.“
Warum Baumgartner und Gregoritsch große Verantwortung tragen
Um es Frankreich so schwer wie möglich zu machen, müsse man alles nahezu perfekt auf den Platz bringen, was das Nationalteam in den vergangenen Wochen und Monaten ausgezeichnet hat. „Es gilt im Kollektiv zu verteidigen, hoch Druck zu machen, Bälle zu erobern und in den Umschaltphasen gut zu sein“, referiert Baumgartner. Denn das Umschaltspiel sei zwar eine der größten Stärken des ÖFB-Spiels: „Aber es ist auch eine der größten Stärken der Franzosen, wenn sie Bälle erobern und mit ihren Topspielern gute Lösungen haben.“
Dem Gegner Stress zu bereiten, beginnt ganz vorne. „Wir haben eine große Verantwortung, wenn es darum geht, Spieler wie Kylian Mbappé oder Ousmane Dembélé zu verteidigen“, verdeutlicht Baumgartner und meint damit weniger direkte Duelle, sondern guten Druck auf die Defensive der „Équipe tricolore“, damit die französischen Offensivstars so selten wie möglich in Szene gesetzt werden können. Um dies zu erreichen, braucht es bestens koordinierte Zusammenarbeit der beiden Sturm-Partner.
Wer von beiden löst eigentlich das Pressing aus?
Wovon hängt es eigentlich ab, wer von beiden das Pressing auslöst? „Wir haben ein cooles Verständnis entwickelt, dass wir gerne nehmen, was uns der Gegner gibt“, erläutert Gregoritsch. Baumgartner: „Das Entscheidende ist nicht, wer es auslöst, sondern wann und wie wir es auslösen.“ Der Zeitpunkt muss stimmen, der erste Sprint perfekt sitzen. Dann sei es ein funktionierendes Konstrukt, bei dem jeder seine Aufgabe kennt: „Wir wissen, was wir zu tun haben, wenn der eine oder andere auslöst.“
Blindes Verständnis eben. Offensiv wie defensiv. Aus rot-weiß-roter Sicht wäre es wünschenswert, wenn die beiden im Laufe der EM weitere Gelegenheiten für sowohl aufschlussreiche, als auch unterhaltsame Doppelconférencen hätten. Gegenseitig vollendete Sätze auf dem Spielfeld nennen sich Assist und Tor. Dass beide EM können, haben sie 2021 schon bewiesen. Sowohl Gregoritsch als auch Baumgartner bejubelten damals einen Treffer.