Und da sage noch einer, so mancher Deutscher sei schmähbefreit. „Um es kurz für euch einzuordnen“, begann der Stadionsprecher während einer Spielform der Österreicher eine inhaltsschwangere Erklärung, „die Spieler in Türkis sind die Spieler aus Oberösterreich, die mit Leibchen jene aus Unterösterreich.“ Tja, deutscher Humor. Und ja, richtig gelesen: Ein Stadionsprecher. Bei einem ÖFB-Training.

Seit Wochen und Monaten fiebert die Fußball-Nation auf die Europameisterschaft 2024 hin. „Berlin, Berlin, wie fahren nach Berlin“ lautet der gängige Fan-Gesang. Am Mittwoch sind die rot-weiß-roten Fußball-Helden endlich tatsächlich nach Berlin gefahren. Um 13 Uhr war Treffpunkt im mondänen Teamquartier Schosshotel Berlin. Die Anreise erfolgte individuell. Es ist anzunehmen, dass Marko Arnautovic und Co den öffentlichen Verkehr gemieden haben. Denn König Fußball regiert zwar bald die Welt, aber davor noch die Weltpolitik Berlin. Die deutsche Hauptstadt war noch fest in der Hand der Ukraine-Konferenz unter Anwesenheit von Präsident Wolodymyr Selenskyj, was auch im öffentlichen Netz zu massiven Verkehrsbehinderungen führte.

Am Abend schafften es trotzdem rund 3000 Leute wegen des Nationalteams auf das weitläufige Olympia-Gelände. Im Rahmen von Europameisterschaften ist es Usus, dass sich die teilnehmenden Teams in einer öffentlichen Übungseinheit dem Publikum präsentieren. Der ÖFB hat diesen Pflichttermin gleich bei der ersten möglichen Gelegenheit nach Ankunft absolviert und ab 18 Uhr im Stadion auf dem Wurfplatz den anwesenden Fans Servus gesagt – 400 Karten hat der ÖFB dabei selbst vergeben, der Rest wurde via regionalen Klubs und Verbänden an den oftmals jungen Fan gebracht.

David Alaba schrieb Autogramm um Autogramm

Wie sie die Herzen des Publikums gewinnen, wissen die ÖFB-Kicker ja bereits von ähnlichen Veranstaltungen aus der Heimat. Auf dem Feld wusste den Schaulustigen vor allem das Torschuss-Training zu gefallen, abseits davon das Erfüllen vieler Autogramm- und Selfie-Wünsche. „Non-Playing-Captain“ David Alaba startete damit unmittelbar nach Trainingsbeginn. Bevor die lockere Probestunde losging, präsentierte sich die ÖFB-Familie nach eher staatstragenden Ansprachen der Berliner Staatssekretärin für Sport Franziska Becker sowie des österreichischen Botschafters Michael Linhart mit einem Transparent mit der Aufschrift „Wir lieben Fair Play“. Das freute auch das Trio an Maskottchen, das zu dieser Veranstaltung antanzte. Neben dem offiziellen EM-Stofftier-Repräsentanten „Albärt“ - oder Alfred, wie der Stadionsprecher ihn umtaufte - kamen auch „Icke“ vom Berliner Fußballverband und „Herthinho“ vom derzeit zweitranghöchsten Berliner Fußballverein.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Veranstalter musikalisch schon so manches „Ösi“-Klischee bedient. Selbstverständlich durfte Andreas Gabalier (Steirer) aus den Lautsprechern genauso wenig fehlen wie Falco (Wiener) und mehrfach ABBA (wären vielleicht gerne Österreicher?!). Die ÖFB-Spieler stärkten sich vor dem Trainingsstart in der Kabine mutmaßlich noch mit Kaiserschmarrn. Das vermutete zumindest der Stadionsprecher, der Spaßvogel. Er versuchte auch, dem Publikum näher zu bringen, wem genau es denn da auf die Beine schaute. Er verlas die Namen aller Kadermitglieder und endete mit Michael „Gregorowitsch – diese Namen kommen mir vor wie das Who is Who der Bundesliga“. Es steht zu befürchten, dass dies ernst gemeint war.

Das ÖFB-Team sorgt für gute Laune

Ob namentlich bekannt oder nicht – das ÖFB-Team sorgte bei diesem Auftakt-Event auf deutschem Boden für gute Laune. „Wir kennen solche öffentlichen Trainings aus Wien oder Windischgarsten, aber es ist nicht selbstverständlich, dass so viele Leute kommen, wenn Österreich nach Deutschland kommt“, fand Maximilian Wöber und berichtete, dass man die Kommandos der Trainer kaum verstanden habe, weil es so laut war.

Der Mönchengladbach-Legionär erzählte zudem, dass sich nach der Ankunft im ÖFB-Quartier bei einigen sogar ein leichtes Nervositätsgefühl eingeschlichen hätte, weil alles so aufregend gewesen sei. „Es ist schon ein cooles Erlebnis, wenn man reinkommt und weiß, jetzt geht es wirklich los“, so Wöber, der sich sehr bemühte, den richtigen Vergleich zu finden: „Ich war noch nie bei einer Euro. Es hat sich angefühlt wie ein kleines Kind, das Ferien hat und zum ersten Mal auf Urlaub fährt. Also aufgewühlt, innerlich unruhig.“

Für das Nationalteam bietet das Headquarter in der Nähe des Olympiastadions kurze Wege. Der EM-Auftakt geht am Montag in Düsseldorf gegen Favorit Frankreich über die Bühne. Für die Gruppenspiele gegen Polen (21. Juni) und die Niederlande (25. Juni) kehrt die Mannschaft von Teamchef Ralf Rangnick jedoch in die deutsche Metropole zurück. Während des ersten Trainings konnte jedes Teammitglied die beiden Türme des altehrwürdigen Stadions als Motivation bestens ins Visier nehmen. Nach Berlin gefahren sind sie also schon. Das neue Motto der ÖFB-Spieler kann nur lauten, so lange wie möglich in Berlin zu bleiben.