Geht es nach Österreichs bisherigen EURO-Kapitänen, dann kann die ÖFB-Auswahl bei der Fußball-EM-Endrunde in Deutschland zum Überraschungsteam werden. Ungeachtet prominenter Ausfälle und schwieriger Gruppengegner trauen Andreas Ivanschitz, Christian Fuchs und Julian Baumgartlinger der Truppe von Ralf Rangnick einiges zu. Der Sprung in die K.o.-Phase sei auf jeden Fall möglich, lautete der Tenor des Trios.
Laut Baumgartlinger haben die Österreicher „eine der schwersten Gruppen vor der Brust. Trotzdem kann man nach dem jüngsten Lauf und durch die Identität, die man sich erarbeitet hat, ins Achtelfinale kommen. Und wenn man einmal dort ist, kann noch mehr herausschauen.“
Die Ausfälle von David Alaba, Xaver Schlager, Sasa Kalajdzic und möglicherweise auch Alexander Schlager bezeichnete Baumgartlinger als „eklatant. Doch einen Kader in dieser Breite wie jetzt hat man so noch nicht gehabt. Außerdem kommt man ohnehin mehr über die Spielphilosophie und nicht so sehr über Einzelspieler.“
2016 von außen unrealistische Erwartungshaltung
Baumgartlinger war bei der EM 2016 dabei und fungierte 2021 als etatmäßiger Spielführer, auch wenn er aufgrund einer davor erlittenen Knieverletzung nur ein Mal zum Einsatz kam. Vor drei Jahren gab es ein ehrenvolles Achtelfinal-Out nach Verlängerung gegen den späteren Europameister Italien, vor acht Jahren erlitt man trotz großer Euphorie im Vorfeld Schiffbruch.
Diesbezüglich zeigte sich Baumgartlinger selbstkritisch. „2016 gab es nicht nur von außen eine unrealistische Erwartungshaltung. Wir selbst haben auch geglaubt, dass wir besser sind.“ Schon in den Testspielen vor der EM in Frankreich war man von den Leistungen der Quali deutlich entfernt gewesen. „Damals wurden Sachen laufen gelassen. Man hat gehofft, es wird dann bei der EM schon funktionieren, aber so war es nicht“, erklärte der nunmehrige Sky-Experte.
Baumgartlinger sind Alabas Stangenschuss nach wenigen Sekunden gegen Ungarn (0:2) und der von Aleksandar Dragovic gegen Island vergebene Elfmeter (1:2) noch gut in Erinnerung. „Es gibt eine Variable, die man nicht kontrollieren kann, die aber eine wichtige Rolle spielt, und das ist das Quäntchen Glück. Das hört sich willkürlich an, ist aber so.“ Ein Faktor sei auch die Routine. „2016 hat die Turniererfahrung gefehlt, das hat man gemerkt. Jetzt gibt es einige, die schon eine EM erlebt haben“, erklärte der frühere Deutschland-Legionär.
Christian Fuchs knabbert noch am Misserfolg von 2016
Auch der 2016er-Kapitän Fuchs hat noch am Misserfolg von damals zu knabbern. „Wir hatten eine richtig gute Quali, jeder war himmelhochjauchzend und hat geglaubt, der Lauf wird fortgesetzt. Aber so einfach ist das nicht.“ Der Ratschlag des im Trainerstab des MLS-Clubs Charlotte engagierten Niederösterreichers an das aktuelle Team lautet: „Bescheidenheit ist eine sehr gute Tugend. Man darf sich nicht davon beeinflussen lassen, was Medien schreiben und Fans posten.“ Diesbezüglich sehe er bei der ÖFB-Truppe aber ohnehin keine Gefahr, betonte der ehemalige Linksverteidiger.
Im Vergleich zu 2016 habe die ÖFB-Auswahl einen „sehr großen Sprung gemacht, was Reife und Qualität betrifft“, meinte Fuchs. „Viele spielen auf allerhöchstem Niveau, und mit Rangnick hat die Mannschaft einen weiteren Schritt gemacht.“ Daher sollten auch die Ausfälle zu verkraften sein. „An den Verletzten kann man eh nichts mehr ändern. Man muss sich darauf besinnen, wer zur Verfügung steht und was man beeinflussen kann. Verletzungsprobleme haben andere auch.“
2008 hatten Legionäre noch Seltenheitswert
Auch Ivanschitz warnte davor, zu sehr über die Ausfälle zu klagen. „Der Verlust von Alaba wiegt schwer, er ist ein Wahnsinns-Typ, unser herausragender Fußballer der letzten Jahre. Er wird genauso fehlen wie die anderen, doch die Jungs, die spielen werden, haben schon gezeigt, dass sie Qualität haben und große Mannschaften ärgern können.“
Bei der Heim-EM 2008 trat Österreich als krasser Außenseiter an, Legionäre hatten im Gegensatz zum momentanen Kader Seltenheitswert. Das Aus kam wie 2016 in der Gruppenphase. „Aber wir hatten knappe Ergebnisse. Schade, dass wir nicht die Sensation schaffen konnten“, sagte Ivanschitz.
Diesmal hält der Vienna-Sportchef auch dank Rangnick ein weites Vordringen für nicht unrealistisch. „Der Teamchef ist ganz klar in der Kommunikation und lässt einen modernen, aktiven Fußball spielen. Dieses Selbstverständnis hat die Mannschaft, das ist ganz klar die Handschrift von Ralf Rangnick, und das macht mir als Fan der Nationalmannschaft großen Spaß.“