Österreichs Fußballnationalteam ist bereits vorzeitig für eine Europameisterschaftsendrunde qualifiziert. Das war lange Zeit undenkbar, zuletzt wurde es nahezu zur Routine, immerhin geschah es vergangene Woche schon zum dritten Mal in Folge. Und doch scheint die Sachlage diesmal einen Tick anders zu sein als zuletzt – und das hat nicht nur damit zu tun, dass kommendes Jahr ab dem 14. Juni beim „großen Nachbarn“ Deutschland gespielt wird. Verantwortlich für die neue – oder zumindest andere – Art des Denkens ist der Cheftrainer der ÖFB-Nationalmannschaft: Ralf Rangnick.
Schon dass der 65-Jährige überhaupt den Job in Wien angenommen hatte, verwunderte vor rund eineinhalb Jahren, immerhin galt und gilt der Schwabe als internationale Koryphäe, als gefragter Meister seines Fachs. Selbst wenn seine internationale Titelsammlung überschaubar ist und seine Tätigkeit bei Manchester United mit und nicht zuletzt wegen Superstar Cristiano Ronaldo letztlich von einer Sache gekennzeichnet war, die der Deutsche so gar nicht ausstehen kann: Misserfolg. Tatsächlich waren es meist Erfolge, die den Karriereweg des „Fußball-Professors“, wie sein Beiname in Deutschland lautete, pflasterten. Allerdings nicht mit absoluten, etablierten Top-Teams, sondern meist in der Entwicklung. Die große Stärke des körperlich gar nicht so großen Lehrers: Entwicklung. Oder besser: eine Vision zu entwickeln, ihr alles unterzuordnen und sie zu verfolgen.
„Man muss groß denken können, um Außergewöhnliches zu erreichen“, sagte er auf die Frage, was denn nun für seine Mannschaft beim Turnier in seiner Heimat realistisch sei. Warum also gedankliche Grenzen setzen? Möglich sei alles, lautet das Credo, dem er folgt. Oder anders: Visionen zu haben, zu entwickeln, das grenze mitunter auch an Träumerei. Und selbst Österreich darf also träumen, nicht in Stufen, also von Achtel-, Viertel-, Halbfinale oder gar Endspiel, aber doch davon, im Konzert der Großen eine gewichtige Rolle zu spielen.
„Es geht um die Details“
Rangnick ist dafür die passende Führungspersönlichkeit. Denn er weiß nur zu gut, dass Träume alleine nicht reichen, sondern, dass man, um Visionen Realität werden zu lassen, hart arbeiten muss. Nicht nur er, sondern alle, die an dem Projekt beteiligt sind. Nie zufrieden sein, immer leidenschaftlich danach streben, es noch besser zu machen – und vor allem: sich nicht mit Kompromissen zufriedengeben. Rangnick gilt als Perfektionist. Wenn er etwa davon erzählt, dass auf einem Trainingslager der Rasen auf dem Trainingsplatz nicht akkurat genug gemäht war, sprühen auch Jahre später die Funken. Denn, so sein Credo: Es gehe um Details. Die seien es, die letztlich den Unterschied ausmachen.
In der Zeit, als er nicht als Trainer oder Sportdirektor tätig war, hielt Rangnick Vorträge, Trainings für Führungskräfte. Und predigte dort: „Um Mitarbeiter von der Vision zu überzeugen und nachhaltig mitzunehmen auf eine Reise, muss man sie inspirieren. Sie berühren. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass man ihre Herzen und Seelen erreichen muss.“
In Österreichs Team tut er das auf vielerlei Art und Weise. So erzählte er beim Kleine-Zeitung-Salon in Wien, wie er seine Spieler dazu brachte, das Ziel „EM“ niemals aus den Augen zu verlieren: Jeder Spieler und jedes Mitglied des Betreuerteams erhielt (und Neulinge erhalten ihn nach wie vor) einen silbernen Karabiner. Auf diesem ist die Kontur Österreichs eingraviert, dazu die Fahne sowie das (geheime) Ziel rund um die EM. Auf diese Weise wollte Rangnick sozusagen den täglichen Kontakt mit Spielern und Ziel vereinen. Anderes Beispiel: Zu Weihnachten des Vorjahres verschickte er an jedes einzelne Kadermitglied eine persönlich gestaltete WhatsApp-Nachricht. Um Nähe aufzubauen. Es scheint zu klappen. „So geil wie derzeit war die Stimmung im Team noch nie“, sagte Michael Gregoritsch zuletzt im „Abgestaubt“-Podcast der Kleinen Zeitung.
Intern scheint Rangnick also den richtigen Ton zu finden, die Rolle als Motivator bestens zu erfüllen. Ihm selbst kann man die Eigenschaften, die er einfordert, ohnehin nicht absprechen. Rangnick ist leidenschaftlich, ein – im positiven Sinne – von der Aufgabe Besessener. Eine Eigenschaft, die ihn selbst vor etwas mehr als einem Jahrzehnt an die oder sogar über die eigenen Grenzen brachte: Nach einem Burn-out zog er die Notbremse und sortierte sich selbst neu, stellte die Ernährung um und meinte damals in einem Gespräch mit der „Zeit“: Er wolle Erfolg, ja, aber nicht um jeden Preis. Der offene Umgang mit dem Burn-out machten ihn auch in dieser Hinsicht zum Vorbild. Er selbst sah damals nichts Heldenhaftes: „Ich hatte keine andere Wahl.“
Der Traum vom Erfolg in Deutschland
Das liegt lange zurück. Rangnick hat den Hunger wieder gefunden und, so scheint es, mit dem Posten des Nationalteamtrainers in Österreich das perfekte Betätigungsfeld. Seine Vision ist es, in seinem Heimatland Deutschland zu beweisen, wozu er imstande ist – gerade mit dem „kleinen“ Österreich. Und man weiß: Bei ihm ist das Vorhaben nicht einfach nur Träumerei.