Die Chancen auf weiße Weihnachten stehen nicht schlecht im dänischen Fredericia. Einer der rund 40.000 Menschen, die heute den Heiligen Abend in der Hafenstadt verbringen, ist Blau-Weiß-Linz-Stürmer Raphael Dwamena. Dänemark war eine der zahlreichen Auslandsstationen des Stürmers mit dem implantierten Herz-Defibrillator, der im Oktober beim Cupspiel des FC Blau-Weiß Linz gegen Hartberg nach Herzrhythmusstörungen angeschlagen hatte, den Spieler zu Boden gehen – und in der Folge Fußball-Österreich um sein Leben bangen ließ.
Ob der prognostizierte Schneefall in Dänemark heute auch wirklich einsetzt, ist für den 26-Jährigen, der von Blau-Weiß Linz die Freigabe erhalten hat, um die Feiertage gemeinsam mit der Familie und Freunden in Dänemark zu verbringen, ohnehin zweitrangig. Die Weihnachtszeit ist für den tiefgläubigen Dwamena, der in Ghana geboren ist, wetterunabhängig die schönste Zeit im Jahr. "Für mich ist das vor allem der ganz besondere Tag, um zu reflektieren und das abgelaufene Jahr an mir vorbeiziehen zu lassen. Wir gehen natürlich in die Kirche, um zu beten, zu singen, zu tanzen und vor allem um Gott zu danken. Und danach wird gemeinsam gegessen und getrunken. Aber am meisten verbinde ich Weihnachten mit diesem Innehalten und dem Blick zurück in Dankbarkeit."
Es sind typische Worte für den Spieler, dessen Fußballer-Laufbahn (wieder einmal) an einem seidenen Faden hängt. Es ist völlig offen, ob und wo er seine Karriere als Profifußballer fortsetzen kann. Eine Unsicherheit, die auch schon während seiner früheren Stationen ein ständiger Wegbegleiter gewesen ist. Beim FC Blau-Weiß Linz, bei dem Dwamena weiterhin unter Vertrag steht, hat man sich bereits deklariert, dass die Angst vor einem erneuten Zwischenfall und den damit verbundenen Risiken zu groß ist, um Dwamena noch einmal zum Einsatz kommen zu lassen. "Aber auch vor dem Wechsel nach Linz habe ich nicht gewusst, wie es sportlich weitergeht. Und dann ist plötzlich die Türe hier in Linz aufgegangen. Ich möchte die Zeit in Oberösterreich auf keinen Fall missen."
Oft schon war er in seinem Leben an einer Weggabelung gestanden – "und Gott hat es immer gut mit mir gemeint". Seine Eltern hat Dwamena erst 2016 im Alter von 21 Jahren erstmals kennengelernt. Aufgewachsen ist Raphael bei seiner Großmutter in Nkawkaw in Ghana. Der Fußball war auf den Straßen der Stadt der liebste und einzige Zeitvertreib. "Die Scouts von Red Bull Ghana sind damals nicht wegen mir in unsere kleine Stadt gekommen, da waren so viele andere Spieler, die talentierter als ich gewesen sind."
Wechsel nach England scheiterte am Medizincheck
Ausgewählt wurde am Ende dennoch er. 2014 folgte der Wechsel nach Europa zum FC Liefering, die Leistungsexplosion als Liga-Torschützenkönig bei Austria Lustenau, der Transfer zum FC Zürich in die Schweiz und das Zehn-Millionen-Euro-Angebot des heutigen englischen Premier-League-Klubs Brighton. Doch der Traum vom Wechsel auf die Insel platzte, weil beim finalen Medizin-Check in England die Herzprobleme erstmals sichtbar wurden. Es war ein Wellental der Gefühle, viele Fußballer wären daran wohl zerbrochen. Als Erinnerung blieb nur jener damals eingesetzte Defibrillator, der auch beim Blau-Weiß-Spiel gegen Hartberg anschlagen sollte.
Der Glaube half Dwamena damals und bereits zuvor viel. "Es war so im Alter von 14, 15 Jahren, als ich mich das erste Mal ernsthafter mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Unsere Welt besteht aus so vielen Wundern. Der Himmel, die Sonne, die Berge – oder wenn ich die Vögel singen höre. Jedes dieser Phänomene ist für sich einzigartig, und ergibt am Ende ein großes Ganzes."
Das Schicksal meinte es gut für Dwamena – und auch für die Klubkasse seines Ex-Klubs. Der spanische Klub UD Levante überwies 2018 sechs Millionen Euro Ablöse in die Schweiz. Nach weiteren Gastspielen in Spanien, der Schweiz und Dänemark wird sich Dwamena bald darüber Gedanken machen, wie es nach der Zeit in Linz weitergehen soll.
"Es gibt Wichtigeres im Leben"
Angst vor der Zukunft hat er nicht. Ganz im Gegenteil. „Ich sage immer ganz bewusst, dass ich nicht Glück gehabt habe, sondern Gott mein Schicksal in seine Hände gelegt hat. Genauso wird es auch jetzt sein. Ich genieße es, Fußball zu spielen, und es wäre ein Segen, so bald wie möglich zurückzukommen, wenn Gott das will. Aber wenn es nicht so sein sollte, bin ich auch bereit. Es gibt Wichtigeres im Leben."
Die andere Seite des Lebens hat er zuletzt auch kennengelernt, als er nach seinen Herzproblemen in Linz im Krankenhaus gelegen ist. "Ich habe mit meinem Zimmerkollegen, dem es damals nicht sehr gut gegangen ist, sehr viele Gespräche geführt, die gar nichts mit Fußball, sondern viel mit der Liebe zu Gott zu tun hatten. Mein weiteres Leben wird unabhängig vom Zeitpunkt meines Karriereendes auf jeden Fall daraus bestehen, ein bisschen etwas von dem zurückzugeben, das ich im Leben bekommen habe. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, jungen Fußballern zu helfen, sich in Europa zurechtzufinden."
Die größte Freude ist noch immer jene an den kleinen Dingen. "So wie damals, als ich zu Weihnachten in Ghana ein kurzes Leibchen, kurze Hosen und Schuhe bekommen habe, und so stolz darauf war, dass ich sie auch noch anbehalten habe, als ich ins Bett gegangen bin." Vielleicht ist das nächste Leiberl unter dem Christbaum ja doch noch jenes eines starken Fußballklubs.
Harald Bartl