Mehr als zwei Jahrzehnte ist es her, dass Sturm Graz international überwintert hat. "Wenn du in Europa überwinterst, dann bist du wieder wer in Fußball-Europa. Das wäre für die ganze Steiermark, für Graz, für den Verein ein Riesending", sagt Sportchef Andreas Schicker. Die Marsch- oder besser Flugrichtung gibt Cheftrainer Christian llzer vor: "Es soll nicht mein letzter Flug zu einem internationalen Spiel mit Sturm in dieser Saison sein", sagte der 45-Jährige vor dem Abflug zum Showdown gegen Midtjylland.
Damals, als Sturm zuletzt auch nach der Winterpause international gespielt hat, reichte den Grazern ein 2:2 gegen Galatasaray. Das Problem an der heutigen Ausgangslage: Ein Unentschieden reicht Midtjylland nicht – zumindest nicht, um in der Europa League zu bleiben. Für den Tabellendritten jeder Gruppe geht es ja in der Conference League weiter. Grundsätzlich ist die Ausgangslage klar: Jeder Sieg und jedes Unentschieden bedeutet, dass Sturm auch nach dem Jahreswechsel in der Europa League spielt. Verliert Sturm gegen Midtjylland, wäre sogar das Aus im Europacup möglich.
Zur Grazer Beruhigung: Seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel hat es in der Champions League, Europa League und Conference League keine Mannschaft gegeben, die mit acht Punkten Gruppenvierter wurde. Auf das Ausscheiden sind die Grazer aber ohnehin ganz und gar nicht eingestellt. "Wir wissen, wenn wir unsere Leistung bringen, sind wir schwer zu schlagen", sagt Kapitän Stefan Hierländer. Und die Ausgangslage setzt zusätzliche Kräfte frei. "Wir reden da von einem elitären Kreis, der international eine Gruppenphase übersteht", sagt Hierländer. Vor allem: "Wenn man unsere Gruppe am Anfang analysiert hat, war nicht davon auszugehen, dass wir da um den Aufstieg mitspielen. Durch gute Leistungen haben wir uns das erarbeitet und da ist die Motivation schon da, dass man auch den letzten Schritt geht."
Dass Sturm die Gruppenphase der Europa League überstehen kann, ist ein weiterer Beweis dafür, wie gut bei Sturm aktuell gearbeitet wird. Auch finanziell zahlt sich das aus: Eine Million Euro gibt es für den Gruppensieg, 500.000 Euro für Platz zwei. Weitere 500.000 für das Play-off-Duell mit einem Dritten der Champions-League-Gruppenphase, bevor es im Achtelfinale mit einer weiteren Zahlung von 1,2 Millionen Euro weitergeht. Knapp 5,5 Millionen haben die Grazer in der laufenden Europa-League-Saison bereits erspielt – ohne Zuschauereinnahmen, die noch einmal eine Million Euro in die Kassen spülten.
Trotz des Umstands, dass mit acht Punkten noch keine Mannschaft Gruppenletzter geworden ist, wollen es die Grazer "darauf nicht ankommen lassen. Wir schauen auf uns und wissen um unsere Stärken", sagt Hierländer. Das Thema Unentschieden? "Haben wir nicht besprochen. Wir sind auf drei Punkte eingestellt", sagt William Böving, der Midtjylland bestens kennt.
"Mit dieser Ausgangssituation wollen wir international überwintern", sagt Trainer Christian Ilzer. Und auch wenn er über die Chance, in der Conference League weiterzuspielen, Bescheid weiß, denkt er in erster Linie an die Europa League. Die prozentuelle Aufstiegschance? "Ich bin kein Rechner. Ich bin einer, der versucht, seine Mannschaft bestmöglich vorzubereiten, und hoffe, dass wir so gut spielen, dass keiner rechnen muss." Klar ist für Ilzer aber: "Es erwartet uns keine leichtere Aufgabe als gegen Real Sociedad, gegen Monaco, in Rom oder bei Feyenoord. Das ist mir sehr bewusst." Zumal sich die Dänen in bestechender Form befinden.
Nach dem 0:1 bei Sturm folgten zehn Spiele (wie bei Sturm nach dem 0:6 gegen Feyenoord), in denen die Dänen ungeschlagen blieben – inklusive eines 5:1-Sieges gegen Lazio Rom, zwei Remis gegen Feyenoord sowie eines Sieges und einer Niederlage gegen Kopenhagen. Erst die jüngsten beiden Partien hat Midtjylland wieder verloren: gegen Lazio und gegen Odense – da schonte Trainer Albert Capellas aber wichtige Spieler.
Und trotzdem: Mit acht Punkten ist eben noch keine Mannschaft Gruppenvierter geworden. Es ist aber zuvor auch noch nie eine Mannschaft mit negativem Torverhältnis Gruppensieger in der Champions League geworden – bis zum besagten 2:2 von Sturm bei Galatasaray im Jahr 2000. Insofern muss man ausnahmsweise hoffen, dass Sturm nicht ein zweites Mal für ein Novum sorgt.
Clemens Ticar aus Herning