Kazimierz Sidorczuk ist eine Legende bei Sturm Graz. Der gebürtige Pole stand 140 Mal zwischen den Pfosten der Blackys, feierte jeweils zwei Meistertitel und zwei Cup-Siege. Er war elementarer Bestandteil der legendären Truppe, die unter Trainer Ivica Osim die Champions League aufmischte und von der man in Graz bis heute schwärmt, da man ihn sogar als Jahrhunderttorwart adelte. 

2002 musste Sidorczuk in Graz seine Sachen packen, Zampano Hannes Kartnigwarf ihn hochkant raus, nur um 2006 von Franco Foda als Tormann-Trainer wieder zurück geholt zu werden. Nach seiner achtjährigen Tätigkeit endete die Zusammenarbeit in einem Zerwürfnis. Grund genug, um bei "Kazi" nachzufragen und herauszufinden, warum man ihn in Graz nicht mehr brauchte und wieso es mit Generalmanager Gerhard Goldbrich krachte.

Österreich hat mit Robert Almer nach langer Durststrecke endlich wieder eine klare Nummer Eins im Nationalteam. Polen bringt laufend gute Tormänner hervor, wie Wojciech Szczesny oder Lukasz Fabianski. Ist in Polen etwas im Wasser?

KAZIMIERZ SIDORCZUK: Die polnische Schule ist ganz bekannt für ihre Torleute. Wir haben nicht nur Szczesny und Fabianski, wir haben Przemylaw Tyton, Artur Boruc, der in England spielt. Das sind ganz große Torhüter. Aber die gibt es in Polen schon lange. Vielleicht ist wirklich irgendetwas im Blut, denn sie zeigen alle über lange Zeit extrem gute Leistung. Sie sind bereit für die Europameisterschaft. Erinnere dich an Jerzy Dudek – in Polen gab es einfach immer wirklich gute Torhüter. 

Wie auch du einer warst. 1997 bist du von Stomil zu Sturm Graz gewechselt. Wie ist das zustande gekommen?

SIDORCZUK: Das war Zufall. Ich war im Urlaub und hatte noch ein halbes Jahr Vertrag bei Stomil, ganz oben an der russischen Grenze. Ich habe dann einen Anruf bekommen, ob ich interessiert wäre, ins Ausland zu wechseln – Türkei, England. Ich wäre gerne nach England, aber da hätte ich damals keine Arbeitsbewilligung bekommen, weil Polen ja noch kein EU-Land war. Zuerst hat Sturm gesagt: 'Nein, du bist zu teuer', aber nach zwei Wochen hat mich Herr Schilcher (damaliger Sturm-Manager, Anm.) angerufen und wir haben uns geeinigt. 

Wie war die Anfangszeit in Graz?

SIDORCZUK: Sagen wir, interessant. Ich habe die Sprache nicht gekonnt, ich habe weder Deutsch noch Englisch gesprochen. Der einzige Pluspunkt war, dass mein Landsmann Marek Swierczewski da war. Der hat mir ein bisschen geholfen.

Du hast danach bei Sturm Graz die erfolgreichste Zeit in der Vereinsgeschichte mitgeprägt, hast 19 Mal in der Champions League gespielt. Wie war die Zeit unter der Legende Osim?

Es war eine andere Zeit damals. Osim war ein ganz guter Mensch und ein sehr erfahrener Trainer, er hatte auch nur erfahrene Nationalteamspieler um sich – Foda, Schoppi, Popovic (Franco Foda, Markus Schopp, Ranko Popovic - Anm.). Wir hatten die beste Mannschaft hier. So etwas wird es nie wieder geben in Österreich, die Spiele gegen Real Madrid, Galatasaray, Manchester United. Da muss man schon sagen 'Hut ab'. Man kann über Kartnig sagen, was man will, aber er hat alles riskiert, damit wir so weit kommen. Nicht mit Glück, wir hatten Qualität. Wir sehen das ja aktuell in Salzburg: So etwas schafft heutzutage niemand mehr. Wir haben Geschichte geschrieben und das war ganz wichtig für die Fans von Sturm. Niemand nimmt uns das weg.

2002 hat man dich bei Sturm plötzlich nicht mehr gebraucht. Warum?

SIDORCZUK: Wir hatten ein kleines Problem. Ich habe eine sensationelle Herbstrunde gespielt, ein Jahr vor dem Ende meines Vertrags. Dann kam es im Spiel gegen Bregenz zum großen Clash – Herr Kartnig hat mich brutal attackiert, mit wirklich schlimmen Worten. Ich habe dann auch etwas zurück gesagt, weil ich mir das nicht gefallen lasse. Der Trainer kann mich beschimpfen, aber doch nicht der Präsident. Ich habe ihm ganz ruhig gesagt, er soll schauen, wieviel Punkte ich für ihn gemacht habe und wieviel ich nicht gemacht habe. Am nächsten Tag gab es ein Gespräch – mit Schilcher und Kartnig. Da habe ich ihm gesagt, dass ich nicht will, dass man so mit mir umgeht. Mein Vertrag lief damals aus, vielleicht war ich deswegen auch ein bisschen verunsichert. Jedenfalls war damals Daniel Hoffmann der zweite Torhüter. Und der hatte doppelt so viel wie ich verdient und einen Garantievertrag. Da meinte ich zu Kartnig: 'Du holst Torhüter wie Hoffmann, die nie spielen. Ich spiele immer. Und sie kriegen viel mehr Geld, und dann schimpfst du auch noch mit mir?' Kartnig hat versucht, mich zu beschwichtigen, hat mir versprochen und mir seine Hand drauf gegeben, wenn wir Zweiter werden, bekomme ich den gleichen Vertrag wie Hoffmann. Das war aber dann nicht so.

Es gab dann auch noch einen Vorfall beim Cup-Spiel gegen Mattersburg, oder?

SIDORCZUK: Ja, ich habe Osim darum gebeten, aufgrund der Erstkommunion meiner Tochter bei meiner Familie bleiben zu dürfen. Er hat gesagt: 'Nein'. Also habe ich gespielt, obwohl Vastic und fünf, sechs andere Stammspieler zuhause blieben. Wir haben 2:1 verloren und mir wurde vorher versprochen, ich dürfte dafür am Wochenende gegen den GAK spielen. Da habe ich aber auch nicht gespielt. Dann hat Osim gefragt: 'Kazi, bist du böse?' Und ja, verdammt, natürlich war ich das. Er hat mich im Stich gelassen, das war ja die letzte Woche meines Vertrags. Dann kam es wieder zum Termin mit Kartnig, im alten Büro neben dem Bahnhof. Ich dachte, ich würde einen neuen Vertrag bekommen, weil wir ja Zweiter wurden. Kartnig meine nur: 'Nein, einen neuen Vertrag bekommst du nicht, du kannst den alten wieder haben.' Aber der alte Vertrag war fürchterlich, ich habe die Hälfte von Hoffmann verdient.

Verständlich, dass du da nicht bleiben wolltest. Hat sich Sturm dann jemals bei dir bedankt?

SIDORCZUK: Nein. Nach fünfeinhalb Jahren hat niemals jemand 'Danke' zu mir gesagt. Kartnig hat mir seine Hand auf einen neuen Vertrag gegeben, aber er hat mich eiskalt angelogen. Und Schilcher hat ihn auch noch gedeckt. Ich habe kein Abschiedsspiel bekommen, niemand hat sich auch nur einmal bei mir persönlich bedankt. Niemand. Das einzig Schöne ist, dass ich Jahrhunderttorwart von Sturm Graz bin. Das ist eine schöne Ehre, die mir niemand wegnehmen wird. Auch nach meiner 8-jährigen Ära als Tormann-Trainer: Weder der Präsident noch der Trainer hat mir die Hand gegeben und Danke gesagt. Ich habe mich nie von den Fans verabschieden können, wie es Mario Haas zum Beispiel schon durfte. Natürlich, der hat das verdient. Aber ich habe das auch verdient. Nach fast 14 Jahren bei Sturm Graz.

Dann bist du nach Kapfenberg gewechselt.

SIDORCZUK: Das war lustig. Bei Sturm haben sie dann noch gemeint, ich wär zu alt. Und wen haben sie dann geholt? De Wilde. Der war 39. Ich war damals vier Jahre jünger. Aber okay, ich war zufrieden bei Kapfenberg, ich war topfit. Auf einmal rief Franco Foda an und fragte, ob ich Tormann-Trainer bei Sturm werden wollte.

2011 ist Sturm Meister geworden. Du hast in Graz viele Torhüter trainiert – Christian Gratzei, Johannes Focher, Benedikt Pliquett, Silvije Cavlina.

SIDORCZUK: Ich muss zuerst eines sagen: Ich habe keinen einzigen Tormann geholt. Focher war meiner Meinung nach ein großes Talent, aber die Fans wollten ihn nicht haben. Hätte man ihm mehr Zeit gegeben, dann wäre er richtig gut geworden. Man darf auch nicht vergessen, dass Herr Gratzei schon zu meiner Zeit bei Sturm war – sieben oder acht Jahre. Den darf man mit Focher nicht vergleichen. Aber ein Torhüter darf nicht, nur weil er immer im Tor steht, glauben, dass er einen Stammplatz hat. Und das hat Gratzei nicht verstanden. Wenn ich in 8, 9 Spielen 16 Tore bekomme, dann muss ich wechseln. Der Trainer muss die beste Mannschaft aufstellen. Ob das jemandem gefällt oder nicht, das ist mir wurscht.

Bei Sturm geht’s aktuell drunter und drüber. Ist der Verein nur noch Mittelmaß

SIDORCZUK: Ich bin jetzt seit eineinhalb Jahren arbeitslos. Ich war in dieser Zeit nie im Stadion, nicht beim Training. Mich stört eines: Der Sturm-Vorstand sagt immer: 'Nicht schlecht über die Spieler reden, die sind jung'. Aber weißt du, die Truppe, die damals Champions League gespielt hat: wenn Kartnig kam, dann hatten wir alle Angst, da sind Fetzen geflogen. Niemand hat uns in Watte gepackt. Das ist doch ganz normal. Wenn du gut spielst, dann wirst du gut von den Fans aufgenommen. Wenn du schlecht spielst, musst du die Kritik annehmen und nicht die ganze Zeit Ausreden suchen. Spielst du scheiße, dann musst du als Profifußballer dafür gerade stehen. Wenn du immer sanft angepackt wirst, dann erreichst du nichts. Der Präsident Kartnig hat wirklich geschimpft mit uns. Das kann man mit heute nicht vergleichen. Das einzige, was ich vom Generalmanager höre – ich glaube, in ganz Europa gibt's nur einen Generalmanager (Goldbrich, Anm.) und der sitzt bei Sturm – ist: 'nicht schlecht schreiben, bitte nicht schlecht reden'. Und das ist falsch. Tut mir leid. Für das werden die Leute bezahlt. Für Kritik. Auch er. Als Sportdirektor. Oder Generalmanager. Wenn ich 'Generalmanager' schon höre, wird mir schlecht. Aber okay. Lassen wir das.

Willst du noch etwas loswerden?

SIDORCZUK: Ich bin ein normaler Mensch. Und noch einmal: Die Fans haben mich nie verabschiedet. Ich habe alles für Sturm Graz gegeben. Ich habe auch Fehler gemacht, aber ich stehe dazu.