Das zweite Spiel von Ferdinand Feldhofer in seiner Amtszeit als Rapid-Trainer fand im Dezember 2021 in Belgien beim KRC Genk statt. „Damals habe ich ihn überrascht, indem ich mich in die Pressekonferenz geschmuggelt und ein paar blöde Fragen gestellt habe“, freut sich Jan-Pieter Martens diebisch, dass er seinem ehemaligen Spielerkollegen beim SK Sturm einen kleinen Streich spielen konnte. Wobei Kollege nicht der treffende Begriff ist. Dafür waren die Bindungen, die rund um die Jahrtausendwende in der erfolgreichen Ära von Jahrhunderttrainer Ivica Osim entstanden sind, zu bleibend.

Sturms „Männerfreundschaften“

Martens selbst spricht rund ein Vierteljahrhundert später von „Männerfreundschaften“.  Zwar habe er nicht zu allen Mitspielern von damals Kontakt, rattert dann aber doch große Teile des Kaders herunter. „Teilweise sehen wir uns zwei Jahre nicht, aber wenn du zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort bist, kann es schon passieren, dass du mit dem einen oder anderen wieder bis mitten in der Nacht unterwegs bist“, grinst der Belgier.

Jan-Pieter Martens 2021 mit Ferdinand Feldhofer, seinem früheren Mitspieler bei Sturm
Jan-Pieter Martens 2021 mit Ferdinand Feldhofer, seinem früheren Mitspieler bei Sturm © GEPA

In dieser Woche kehrt der seit einigen Tagen 50-Jährige aus beruflichen Gründen nach Österreich zurück. Seit Anfang Juli ist Martens Leiter der Scouting-Abteilung des Club Brügge. Wie es der Zufall so wollte, treffen sein aktueller und sein ehemaliger Arbeitgeber in der Champions League aufeinander. Als Aktiver wurde er 1998 mit Sturm Meister. In der Double-Saison 1999 sicherte sich der Offensivspieler mit seinem emotionalen Last-Minute-Tor im Derby, das den Weg zum Meistertitel ebnete, einen Fixplatz in der Vereinsgeschichte.

Logisch, dass sich die Anrufe aus Österreich zuletzt häuften. Als interne Informationsquelle herrscht dafür kein Hochbetrieb, dies erledigt die Analyseabteilung höchst professionell: „Da bleiben wenig Extras, die ich hinzufügen könnte.“ Martens informiert eher allgemein über Sturm und legt im Bedarfsfall Kontakte.

In Klagenfurt erwartet er ein Spiel auf Augenhöhe, das für beide Vereine große Bedeutung hat: „Nach der Auslosung schaust du sofort, in welchen Spielen etwas möglich ist. Da hat Sturm ziemlich sicher zu Hause Brügge angekreuzt. Für uns ist es genau das Gleiche.“ Denn auswärts bei Manchester City beispielsweise sei die Wahrscheinlichkeit auf einen Sieg eher gering. „Wenn man in Europa bestehen will, ist es sowohl für Sturm als auch für uns ein Spiel, das man gewinnen muss. Da reicht ein Unentschieden nicht“, verdeutlicht Martens. Brügge hatte beim Auftakt gegen Dortmund mit 0:3 das Nachsehen.

Was die breite Fanbasis betrifft, seien Sturm und Brügge sehr ähnlich. Rein von den Titeln her habe der 19-fache belgische Meister die größere Historie. „Zurzeit sind wir die Benchmark in Belgien“, meint Martens nach vier Meistertiteln in fünf Jahren. In der Jupiler Pro League sei die Spitze breiter als in der Bundesliga, in der es mit Salzburg einen finanziell übermächtigen Kontrahenten zu schlagen gilt.

Warum es Sturm mustergültig macht

Bei Red Bull habe sich nach dem Tod von Dietrich Mateschitz zwar einiges geändert, trotzdem kann man nur den Hut davor ziehen, dass Sturm die „Bullen“ vom Thron gestoßen hat. Vom Sportdirektor über den Trainer bis hin zum Chefscout schwärmt Martens von der jahrelangen Aufbauarbeit in Graz: „Ich bin maßlos überzeugt von Kontinuität. Einer der wichtigsten Punkte für Erfolg ist, dass du gewissen Dingen die Zeit gibst, die sie brauchen. Man muss auch lernen, zusammenzuarbeiten. Das ist bei Sturm mustergültig.“

Sänger Jan-Pieter Martens 1999 mit den damaligen Sturm-Kickern Ranko Popovic, Markus Schopp, Gilbert Prilasnig und Darko Milanic
Sänger Jan-Pieter Martens 1999 mit den damaligen Sturm-Kickern Ranko Popovic, Markus Schopp, Gilbert Prilasnig und Darko Milanic © GEPA

Die Strategie von Sturms Sportchef Andreas Schicker, in Potenzialspieler zu investieren und sie gewinnbringend zu verkaufen, funktioniert. In Brügge greift man schon länger erfolgreich auf dieses Mittel zurück. „Als belgischer Klub ist man trotzdem ein Ausbildungsverein“, sagt der 50-Jährige, „wenn der Preis stimmt, ist es oft der Fall, dass die besten Spieler gehen. Das ist nicht anders als bei Sturm, vielleicht mit dem Unterschied, dass wir die Spieler ein bisschen länger halten können.“ Dies sei zumindest in diesem Sommer der Fall gewesen: „Für unseren Sechser Raphael Onyedika oder Rechtaußen Andreas Skov Olsen waren am letzten Tag der Transferperiode Angebote da, aber wir waren nicht genötigt, sie anzunehmen.“ Ziehen lassen musste man dafür den erst 19-jährigen Antonio Nusa, für den Leipzig 21 Millionen Euro hinblätterte: „Er hat sich gut entwickelt, hat aber gerade erst angedeutet, dass er explodieren wird.“

Solche Rohdiamanten zu entdecken, sieht Martens nicht als seine primäre Aufgabe als Head of Scouting. Denn Talente der gehobenen Güteklasse sind angesichts der datenbasierten Scouting-Tools ohnehin allen Vereinen bekannt. „Es geht mehr darum, rechtzeitig auf das richtige Profil zu setzen, frühzeitig Kontakte zu knüpfen und zu erkennen, wer in den nächsten Monaten einen richtigen Sprung machen wird.“ Dann gilt es, den Spieler nicht mehr von der Angel zu lassen. Die menschliche Komponente ist eine sehr wichtige.

Jan-Pieter Martens (l.) stand bei den ersten beiden Siegen Sturms in der Champions League in der Startelf
Jan-Pieter Martens (l.) stand bei den ersten beiden Siegen Sturms in der Champions League in der Startelf © GEPA

Ganz ohne Analyseprogramme haben bei Sturm einst Osim und Manager Heinz Schilcher den Kader gebastelt. Martens staunt heute noch über das Gespür des Duos, denn die teaminterne Chemie sei nun mal richtig gut gewesen: „Ich vergleiche das gerne mit einer Boyband, in der jeder seine Rolle hatte. Gili Prilasnig war der Student, ich der Musikant. Es war so, als ob es irgendwie ausgesucht wurde, damit es zueinanderpasst.“

Erst der schwache Bruder in der Champions League, dann die Steigerung

Der Erfolg in dieser Ära hat der Stimmung bestimmt nicht geschadet. Auf Champions-League-Ebene durchlebte Sturm damals einen Lernprozess. Die ersten beiden Siege gegen Dinamo Zagreb und Marseille sind Martens‘ schönste CL-Erinnerungen. Selbige gelangen erst im zweiten Königsklassen-Jahr, in dem der Belgier Stammspieler war: „Im ersten Jahr haben wir in sechs Spielen nur einen Punkt geholt. Phasenweise war es in Ordnung, trotzdem sind wir uns wie der schwache Bruder vorgekommen. Im zweiten Jahr war das nicht mehr der Fall. Da hatten wir das Gefühl, nun richtig dazuzugehören. Für mich persönlich war es auch ein gutes Gefühl, ein wichtiger Teil dieser Mannschaft zu sein.“

In der Gegenwart wird sich weisen, wie viel Lehrgeld die aktuelle Sturm-Generation in der Champions League bezahlen wird. Eine gute Bühne ist die Königsklasse allemal. Internationale Scouts schauen genau hin. Welche Sturm-Spieler wären denn eigentlich interessant für Brügge? Martens hält sich bedeckt und lacht: „Das sage ich dir dann am Donnerstag.“