So wie er gegnerischen Angreifern blitzschnell den Ball abnimmt, so aus der Pistole geschossen beantwortet Gregory Wüthrich die Frage, was ihm zum 12. Dezember 2019 einfällt: „Da habe ich mein erstes und bislang letztes Champions-League-Spiel bestritten.“ Beim 2:1-Heimsieg von Young Boys Bern gegen Juventus Turin wurde der Schweizer in der Schlussminute eingewechselt. „Das war ein emotionaler Tag für mich. Ich bin nach einer Adduktorenverletzung zurückgekehrt und habe es im letzten Abdruck geschafft, zumindest einen Kurzeinsatz in der Champions League zu schaffen.“ Dass es nicht mehrere geworden sind, hat mit Pech zu tun. In der Qualifikation zur Königsklasse agierte der Innenverteidiger noch als Stammspieler, bevor ihm „eine Woche vor dem ersten Champions-League-Spiel“ die Verletzung zur Pause zwang. Die Entschädigung, zumindest eine Minute mitwirken zu dürfen, brachten ihm Duelle gegen Cristiano Ronaldo, Mario Mandzukic oder Douglas Costa ein. „Dieses Gefühl, in der Champions League zu spielen, kann man auf Klubebene nicht toppen. Aber eines habe ich mir damals bei dem Spiel vorgenommen: ,Ich muss das noch einmal erleben.‘“
Am Donnerstag wird es soweit sein. Mit dem SK Sturm gastiert der 29-Jährige in Guingamp bei Brest. Und es ist bezeichnend, dass das Jahr 2024 einen weiteren Höhepunkt für Wüthrich parat hält – beruflich wie auch privat. Im April kam sein Sohn Gregory William auf die Welt. Im Mai folgte das Double mit den Schwarz-Weißen. Anfang September folgte sein Nationalteam-Debüt für die Schweiz gegen Dänemark und Spanien. „Trotz der beiden Niederlagen nimmt man da sehr viel Erfahrung mit. Es war eine gute Einstimmung auf die Champions League“, sagt Wüthrich, der wegen der überraschenden Nationalteameinberufung seine Hochzeit verschieben musste. Darum gab er erst am Montag in Graz seiner Felicia das Ja-Wort. „Wir haben nur im engsten Kreis mit neun Leuten standesamtlich geheiratet. Aber es läuft wirklich in diesem Jahr, muss man sagen“, erzählt der seit 2020 bei Sturm spielende Abwehrchef mit breitem Grinsen.
Eine große Party soll erst zu einem späteren Zeitpunkt – eventuell erst nach der Karriere. „Im Fußballgeschäft ist nichts planbar. Ich habe ja fast die standesamtliche Trauung nicht hinbekommen. Eine riesige Feier braucht ja ein Jahr Vorlaufzeit. Das klingt ja fast gar nicht umsetzbar“, sagt der Eidgenosse laut lachend. Die Vorfreude auf die Champions League am Donnerstag ist riesig. „Wir müssen uns viel zutrauen. Wir wollen alles herausholen, was möglich ist“, sagt Wüthrich selbstbewusst. „Wir haben schon bewiesen, dass wir große Teams kitzeln und Punkte gegen sie einfahren können. Klar ist aber, dass wir gegen alle Gegner Außenseiter sind. Wir wissen, mit unserer Rolle umzugehen.“
„Das schönste Ereignis der Karriere“
Wüthrich ist beim SK Sturm einer von nur zwei Spielern, der bereits in der Champions League zum Einsatz kam. Der Zweite? Erencan Yardimci, der im letzten Abdruck der Transferperiode von Hoffenheim ausgeliehen wurde. Am 26. November 2019 durfte der Türke für Galatasaray Istanbul gegen Brügge auf den Platz – gleich lange wie Wüthrich, nämlich für eine Minute. „Ich war damals 17 Jahre alt. Es war aufregend, vor 35.000 Zuschauern ins Spiel zu kommen, auch wenn es nur eine Minute war. Das war das schönste Ereignis in meiner Fußballkarriere – ein Traum, der wahr wurde“, erzählt der Stürmer, der sich in Graz schnell akklimatisiert hat. „Sturm ist wie eine Familie, hier fühle ich mich wie zu Hause.“
Bislang hat der 22-Jährige noch keinen Einsatz für die Steirer bestritten. Am Donnerstag könnte sich das ändern. „Ich hoffe, dass ich noch einige Minuten mehr in der Champions League bestreiten darf und wir als Mannschaft erfolgreich sind. Denn es kann nicht jeder von sich behaupten, in der Champions League gespielt zu haben“, sagt Yardimci stolz.