Gerade Jungeltern konnten die Gefühlswelt von Kjell Scherpen in den Minuten vor dem Hartberg-Match vermutlich nachvollziehen. Damit ist nicht das erste Heimspiel des Sturm-Tormanns nach langer Verletzungspause gemeint, zumindest nicht in erster Linie, sondern der besondere Moment mit seinem Sohn, den er beim Betreten des Platzes am Arm trug. „Es war sein erster Geburtstag, er war das erste Mal im Stadion. Das war sehr emotional“, berichtet der 24-Jährige, dessen Familie im Stadion saß, die Eltern waren aus den Niederlanden angereist: „Es war ein spezieller Tag, an dem alles perfekt war.“
Dies inkludiert den 2:0-Endstand. Den Zu-Null-Sieg rettete Emanuel Aiwu in der Nachspielzeit nach einem Lapsus des Goalies. „Mein Hero“, deutet Scherpen auf den Innenverteidiger, der sich zum Zeitpunkt des Gesprächs zufällig in Sichtweite befand und dem er als Dank für den „Save“ ein Abendessen versprochen hat: „Er kriegt, was er will. Alles ist möglich! Ich war sehr dankbar.“
Schließlich ist es nicht nur für einen Schlussmann wichtig, die weiße Weste zu bewahren. Sturm kassierte in der noch jungen Saison regelmäßig Gegentore, auch in der Vorbereitung. Entsprechend wichtig war es, dass gegen Hartberg die Null steht. „Ich hoffe, dass wir es wieder so wie letzte Saison machen können“, verweist Scherpen auf den defensiv starken Weg zum Titel, bei dem er selbst in sieben von 16 Bundesliga-Auftritten ohne Gegentreffer blieb.
Der Grund, warum im Frühjahr kein Spiel dazukam, ist bekannt. Schon im Herbst 2023 spielte er über weite Strecken mit einem Kreuzbandriss. Im Frühjahr vertrat ihn am Weg zum Double Vitezslav Jaros. Die Zukunft von Scherpen war dennoch abgesichert und eine erneute Leihe von Brighton nach Graz vereinbart. „Dann kannst du ruhig bleiben. Du weißt, dass du an einem guten Platz mit guten Menschen bist. Dieses Vertrauen zu spüren, hat mir sehr geholfen“, versichert Scherpen, der den Weg zurück relativ flott beschritten hat.
„Normalerweise bist du neun oder zehn Monate unterwegs, wir haben es in sieben gemacht“, erklärt er stolz. Noch sei nicht alles „top-top“, doch mit jedem Training und jedem Spiel werde es besser und besser. Körper und Knie gehe es gut: „Und ich bin auch frei im Kopf. Das ist sehr wichtig. Ich denke im Spiel nicht an mein Knie.“
Scherpens Ziel: Ein Double auf dem Feld
Da Scherpen das Double nicht am Platz erleben durfte, ergeben sich die Saisonziele von selbst. „Ich war so stolz auf die Mannschaft und im Herbst auch Teil davon. Aber natürlich willst du die Titel verteidigen und dabei auch am Platz stehen. Das ist natürlich das Ziel für diese Saison.“ Dass dieses Vorhaben ambitioniert ist, weiß der Niederländer, Sturm habe jedoch erneut eine sehr gute Mannschaft. Außerdem sei entscheidend, dass nach dem Double niemand begonnen habe „zu fliegen. Niemand ist abgehoben. Jeder ist normal geblieben und arbeitet weiterhin hart.“
Welchen Einfluss die Teilnahme an der Champions League haben werde, müsse man jedoch abwarten. Der Goalie betrachtet die Königsklasse als Gelegenheit, sich mit den Besten zu messen: „Du kannst exakt sehen, auf welchem Level du bist und welchen Unterschied es zu den absoluten Top-Teams gibt. Das ist sehr interessant.“ Ob er lieber Kylian Mbappe oder Erling Haaland zur Verzweiflung bringen möchte, kann Scherpen nicht beantworten. „Ich weiß nicht, ob ich mir die beiden wünschen sollte“, lacht er, „wenn du gegen Real, City oder Bayern spielst, triffst du jedenfalls auf die besten Spieler der Welt. Das ist sehr speziell.“
Dies ist auch das Level, auf dem Scherpen im fußballerischen Alltag hinmöchte. Sein Vertrag bei Brighton läuft bis 2027. „Das Ziel Nummer eins ist zu zeigen, dass ich wichtig sein kann für Brighton. Ich möchte jedenfalls am höchstmöglichen Level spielen. Wenn es nicht Brighton ist, dann bei einem anderen Verein.“ Um diesem Ziel näher zu kommen, braucht es jedoch eine starke Saison bei Sturm, weshalb es derzeit nicht wichtig sei, was in einem Jahr passiert.
Warum Daniil Khudyakov ein guter Tormann sein muss
Sein potenzieller Nachfolger bei Sturm ist mit Daniil Khudyakov bereits an Bord. „Ich sehe ihn nicht als Rivale“, streicht Scherpen eher seine Rolle als Mentor hervor, die Zusammenarbeit mit dem Neuzugang sei eine gute. „Ich kann Daniil bessermachen und Daniil mich. Das Gleiche gilt für Matteo Bignetti und Elias Lorenz“, sagt Scherpen, der Khudyakov als „sehr ruhigen und guten Jungen“ beschreibt und schmunzelnd festhält: „Ich halte ihn für ein sehr großes Talent. Wenn ‚Lochi‘ einen Tormann scoutet, muss er gut sein.“ Dass es Tormanntrainer Stefan Loch war, der Sturm eine Leihe von Scherpen nahelegte, liegt auf der Hand.
Nach einem Jahr in Graz spricht der 2,06-Meter-Riese bei seinen Interviews übrigens bereits ausgezeichnetes Deutsch. Sein Lieblingswort auf Österreichisch? Kaiserschmarrn schafft es in die engere Auswahl, den Zuschlag erhält jedoch „Gemma!“ Ein passender Begriff für jemanden, der in dieser Saison viel vorhat.