Der vierte Meistertitel für den SK Sturm nach 1997/98, 1998/99 und 2010/11 ist am letzten Spieltag Realität geworden. Die Titelsammlung von den Salzburgern, die zuletzt zehnmal in Folge triumphierten, wird vorerst nicht erweitert. Sechs Gründe, warum es dazu gekommen ist.
Der Kader: Man muss primär Geschäftsführer Andreas Schicker und Chefscout Paul Pajduch herausheben. Sie schafften es, mit ihrem Team den qualitativ und quantitativ hochwertigsten Sturm-Kader seit 2000/01 zusammenzustellen. Einige Neuzugänge, die zu Beginn belächelt wurden, schlugen voll ein, wie etwa Dimitri Lavalee. Die Entscheidung, Torhüter nur zu leihen, erwies sich als Volltreffer. Kjell Scherpen und Vitezslav Jaros hielten überragend. Auch das Nachrüsten im Angriff in der Winterpause, in der Mika Biereth von Arsenal ausgeliehen wurde, stellte sich als goldrichtig heraus. Da fällt es nicht so schwer ins Gewicht, dass mit Szymon Wlodarczyk und Seedy Jatta den beiden teuersten Neuzugängen noch nicht so richtig der Knopf aufgegangen ist. Und das, obwohl Manprit Sarkaria monatelang mit einem Knöchelbruch ausgefallen ist. Hervorzuheben sind auch das Betreuerteam und die medizinische Abteilung, die dafür sorgen, dass die Grazer das physisch stärkste Team der Bundesliga stellen.
Die Ergebnisse gegen die „Kleinen“: Die These, wonach Meistertitel immer in den Duellen gegen die sogenannten „kleinen“ Gegner entschieden werden, bewahrheitete sich auch heuer. Gegen die Kontrahenten in der Qualifikationsgruppe holte Sturm 31 von 36 möglichen Punkten. Bis auf die direkten Duelle gegen Salzburg (drei Remis, eine Niederlage) holten die Steirer in der Saisonbilanz (deutlich) mehr Punkte. Auch das hart erkämpfte 3:2 im Cup-Achtelfinale gegen den GAK in einer schwierigen Phase gab Auftrieb.
Das Salzburg-Doppel: Dass Geschäftsführer Andreas Schicker eine andere Aufgabe in einer Topliga, wohl am ehesten in der deutschen Bundesliga, antreten könnte, ist durchaus realistisch. Der 31. März 2024 hatte dahingehend Potenzial, diese Absichten zu beschleunigen. Nach der 0:1-Heimniederlage gegen Salzburg am 24. Spieltag betrug der Rückstand von Sturm auf Mads Bidstrup und Co fünf Zähler. Es machte sich an diesem Abend etwas Frustration breit, in einem entscheidenden Moment wieder einmal nicht die Tabellenspitze in der Bundesliga übernommen zu haben. Und doch sollte diese Begegnung nicht für möglich gehaltene Energien freisetzen. Nachdem Jon Gorenc Stankovic, der nach einem Gerangel mit Lucas Gourna-Douath ausgeschlossen wurde, von Oumar Solet in den Schwitzkasten genommen worden war, dies aber vom Video Assistant Referee Manuel Schüttengruber – im Gegensatz zu einer Szene, in der Dimitri Lavalee nachträglich die Rote Karte sah – nicht geahndet wurde, war der Ärger der Grazer riesengroß. Vor allem, weil die schriftliche Stellungnahme zur Überraschung aller so verfasst wurde, dass keine nachträgliche Sperre mehr möglich war. Die Sperren von Stankovic und Lavalee wurden ausgerechnet im Halbfinale des ÖFB-Cups in Salzburg vier Tage später schlagend. Und noch dazu erzielte dort Solet das frühe 1:0. Doch die runderneuerte Sturm-Elf, die in dieser Zusammensetzung erstmals auftrat, spielte sich in einen Rausch und zog mit einem 4:3 ins Finale ein. Es sollte der Start einer Negativspirale für den Meister der vergangenen zehn Spielzeiten sein. Im Anschluss gelangen nur noch drei Siege. Trainer Gerhard Struber musste nur elf Tage nach dem Cup-Halbfinale gehen und wurde von Ralf Rangnicks Nationalteam-Assistent und Liefering-Coach Onur Cinel ersetzt.
Der Europacup: Mit der Premiere, erstmals aus der Europa League in die K.o.-Phase aufzusteigen, gelang auch international ein riesiger Erfolg. Nach dem klaren Aufstieg gegen Slovan Bratislava kam erst im Achtelfinale der Conference League gegen Lille das Aus. Nach dem 0:3 zu Hause führte das 1:1 im Rückspiel am 14. März 2024, bei dem die Grazer nichts mehr zu verlieren hatten, zur Erkenntnis, dass Sturm mit der eigenen Herangehensweise, auf hohe Intensität und immense Wucht zu setzen, jedem Gegner Probleme bereiten kann. So wuchs der Glaube immer mehr, auch in der Bundesliga reüssieren zu können.
Das Rapid-Triple: Sturm-Trainer Christian Ilzer prägte vor drei Spielen gegen Rapid (zweimal Bundesliga, Cup-Finale) innerhalb von zwölf Tagen einen Satz, der passender nicht hätte sein können: „Um unsere Saisonziele zu erreichen, sollten wir dreimal gegen Rapid gewinnen.“ Und die Spieler setzten genau das um, was ihr Coach sehen wollte. Einem 1:0 in Graz folgte ein 3:1 in Wien in der Bundesliga. Am 1. Mai folgte in Klagenfurt die erfolgreiche Titelverteidigung im ÖFB-Cup. Nach dem 0:1 zur Halbzeit ließen die Grazer nach der Pause keine Zweifel aufkommen, dass sie den Wienern schon länger den Rang abgelaufen haben.
Gerhard Struber: Offiziell ausgesprochen hat es keiner, aber die Verwunderung war im Grazer Umfeld doch groß, als Gerhard Struber als neuer Salzburg-Trainer am 31. Juli 2023 vorgestellt wurde. Dem Kuchler trauten viele die Aufgabe beim Serienmeister nicht zu, weil er absolut keine Erfahrung bei einem Spitzenklub und auch bei seinen bisherigen Stationen nur bescheidenen Erfolg vorweisen konnte. Die Vorahnung wurde zur Realität. Der 47-Jährige führte seine Truppe auf den letzten Platz in der Champions-League-Gruppe, womit in der Red-Bull-Ära erstmals nach Erreichen der Königsklasse das internationale Überwintern verpasst wurde. Als erster Salzburg-Trainer seit Huub Stevens 2011 wurde Struber vorzeitig entlassen. Ein Missverständnis, das Sturm in die Karten spielte.