Rund elf Millionen Euro legten die Salzburger für den 21-Jährigen auf den Tisch - und sofort mutierte der einstige Rapid-Kicker zum Führungsspieler.
Im Interview mit SPOXund DAZN spricht Maximilian Wöber über seinen Transfer nach Salzburg, seine Zeit in Sevilla, das Phänomen Erling Haaland und das "Champions-League-Finale" gegen den FC Liverpool (ab 18.55 Uhr LIVE und EXKLUSIV in voller Länge auf DAZN).
Sie wechselten im Sommer vom FC Sevilla zu Red Bull Salzburg. Wie kam der Transfer zustande?
Maximilian Wöber: In Sevilla ist mir gesagt worden, dass ich keine große Chance auf einen Stammplatz haben werde. Es gab Interesse aus Deutschland, es wurde aber nichts wirklich konkret. Red Bull Salzburg war von Anfang an da und deutete früh an, alles zu unternehmen, um mich zu holen. Je länger ich darüber nachdachte, umso sympathischer wurde mir der Schritt zu einem Top-Verein, der international für Furore gesorgt hat. Das Gesamtpaket mit der Rückkehr nach Österreich, zu Freunden und Familie, hat perfekt gepasst.
Haben Sie nach den furiosen Leistungen von Ajax in der Champions-League-K.o.-Phase jemals Ihren Wintertransfer zu Sevilla bereut?
In gewissen Momenten wäre ich gerne dabei gewesen. Bereut habe ich es aber nicht. Es war eine gute Erfahrung. Mit meiner Verletzung hat es leider ein negatives Ende genommen.
Sie waren bei Ajax in der Champions-League-Stammspieler. Warum haben Sie Amsterdam verlassen?
Ein wesentlicher Grund war ein Neuzugang aus Argentinien (Lisandro Magallán, Anm.). Der Trainer hat mir daraufhin klar gemacht, dass dieser nicht gekommen ist, um auf der Bank zu sitzen. Im Nachhinein hat Magallan nur wenige Partien gemacht und den Verein dann wieder verlassen. In der Hinrunde war ich auch unzufrieden, dass ich in der Champions League zur Startelf gehörte, in der Liga aber nur auf der Bank saß. Es ergab für mich keinen Sinn.
Vermissen Sie Ajax?
Wöber: Ich hatte eine coole Zeit dort, konnte viele Freunde gewinnen. Ich freue mich schon auf die nächste Möglichkeit die Stadt zu besuchen und zu genießen.
Wie sind Sie schließlich in Sevilla gelandet?
Vor dem Abflug in das Trainingslager in Amerika rief mich mein Manager an und wollte sich unbedingt mit mir treffen. Ich war stolz auf dieses Angebot eines Europa-League-Siegers. Allerdings musste ich den Vertrag zwei Mal unterschreiben. Aufgrund von Uneinigkeiten mit Ajax musste ich vier Tage lang im Hotel verbringen, weil niemand wissen durfte, dass ich da bin. Der Transfer schien sogar zu scheitern.
Welche Probleme gab es mit Ajax?
Sevilla konnte anfangs keine Bankgarantie bekommen, weswegen man mich vorerst ein halbes Jahr ausleihen und dann im Sommer fest verpflichten wollte.
War Ihre Verpflichtung nach dem sofortigen Transfer zu Salzburg für Sevilla ein Minus-Geschäft?
Ich denke, es war ein kleines Plus-Geschäft.
Für DAZN-Experte Oliver Lederer sind Sie der ideale La-Liga-Spieler. Gab es im Sommer keine Angebote aus Spanien?
Nichts Konkretes. Red Bull Salzburg war der einzige Verein, der ernsthaft dahinter war. Sevilla wollte mich auch nicht verleihen, sondern wollte dieselbe oder eine höhere Ablösesumme, die sie bezahlt hatten, wieder zurückbekommen. Es war Mitte August und andere Vereine waren schon mitten in der Saison und brauchten keinen Innenverteidiger mehr.
Wie ging es Ihnen, als Sie in der Warteschleife zwischen Amsterdam und Sevilla standen?
Es wurden Fotos von meiner Unterschrift in Sevilla gemacht und wir wollten beim Essen noch feiern. Dann gehst du ins Hotel und es kommt ein Anruf vom Verein - du darfst morgen nicht trainieren. Am nächsten Tag kam wieder ein Anruf, es könnte sein, dass der Wechsel doch nicht klappt. Ich hatte mich von meinen Kollegen aus Amsterdam bereits verabschiedet und die Wohnung gekündigt. Dann kommt jemand und sagt dir, dass das mit dem Transfer vielleicht doch nicht klappt. Du hast ein komisches Gefühl, du bist komplett abhängig von den beiden Vereinen, dass es doch klappt.
Die Trainer-Situation in Sevilla war nicht gerade förderlich, oder?
Bei Joaquin Caparros spielte ich fast immer. Ich hatte sehr gute Spiele, beispielsweise gegen Barcelona. Dann bekam Caparros die Diagnose Blutkrebs. Lopetegui übernahm und der Verein verpflichtete zwei Innenverteidiger für 50 Millionen Euro. Ich merkte nach meiner Verletzungsrückkehr, dass ich plötzlich nur mehr fünfter oder sechster Innenverteidiger war.
Können Sie aus den zwei spektakulären Transferphasen etwas Positives abgewinnen?
So etwas wie ein Spiel gegen Lionel Messi nimmt mir keiner mehr. Ich habe viele Städte gesehen und konnte meine Persönlichkeit weiterentwickeln. Es war ein riesiger Schritt von Amsterdam nach Spanien, vor allem wenn du realisiert, dass beinahe jeder im Land nur Spanisch sprechen kann, im Team konnten drei, vier Spieler Englisch. Im Supermarkt konnte niemand Englisch. Bis einer auftaucht, der Englisch versteht, stehst du hilflos da. Das war der Moment als ich realisiert hatte, dass ich Spanisch lernen muss.
Einige Fußballer lassen andere für sich einkaufen.
Wenn man genug Geld hat, dann gibt es so etwas bestimmt. Nur sehe ich nicht ein, wieso ich dafür jemanden einstellen müsste und auf die Person angewiesen sein soll. Solche Prinzipien gehen gegen die normalen Regeln. Gegen jene Regeln, die mir in meinem Elternhaus beigebracht worden sind.
Für Helge Payer sind Sie mit 21 Jahren bereits Führungsspieler.
Ich bin hier sehr gut reingekommen und habe mir ein gewisses Standing aufgebaut, sodass meine Aussagen hier akzeptiert werden. Ich glaube schon, dass ich ein Führungsspieler der Mannschaft bin.
Ist es leichter ein Führungsspieler bei einem Verein mit vielen jungen Spielern, so wie es bei Red Bull Salzburg der Fall ist, zu sein?
Es macht die Sache sicher leichter. In einer Mannschaft mit gestandenen Profis muss man erstmal ein Jahr lang gute Leistungen erbringen, bis man den Mund überhaupt aufmachen darf und die Worte auch akzeptiert werden. Ich habe mit 21 Jahren auch schon viel Erfahrung im Fußball gesammelt.
Wie haben Sie die Mannschaft in Salzburg bisher erlebt?
Die Mannschaft ist jung, hungrig und sehr mutig. Jedes Training ist ein richtiger Kampf. Man merkt, dass es stets um die elf Stammleibchen geht, die sich jeder erkämpfen will. Das macht jeden ein Stück besser. Auch die Philosophie des Vereins trägt viel dazu bei. Es gibt wenige Vereine in der Champions League, die solch einen aggressiven Fußball spielen wie wir. Dies dann auch noch mit einer jungen Truppe zu tun, ist einzigartig.
Hat man es als Salzburg-Verteidiger schwerer?
Es ist nicht schwieriger, die Aufgaben sind dieselben. Es ist allerdings viel intensiver. Wir müssen stets zur Mittellinie aufrücken, sobald wir den Ball nach vorne spielen. Verlieren wir im Angriffsdrittel die Kugel, dann geht es meist mit einem langen hohen Ball in unsere Hälfte weiter. Wenn man da nicht aufpasst, ist ein Gegenspieler gleich entwischt. Wir haben es gegen Liverpool gesehen: Wenn wir vorne im Pressing keinen richtigen Zugriff haben und der Gegner hin- und herpassen kann, dann sind wir hinten so erledigt, dass schnell Fehler passieren können. Wir haben aus der Partie gelernt und unseren Spielstil ein bisschen angepasst. Bei uns legen die Innenverteidiger eine Laufdistanz von 11,5 bis 12 Kilometer ab, was normalerweise ein Topwert für einen Mittelfeldspieler jeder anderen Liga ist. Durch diese Intensität passieren Fehler viel leichter. Weil wir so hoch stehen, wird das oft mit Gegentoren bestraft.
Was war das Problem in der ersten Halbzeit gegen Liverpool?
Liverpool hat sich exzellent auf das Spiel gegen uns vorbereitet. Sie haben unser Pressing mit langen Pässen über 50-60 Meter, die letztlich auch punktgenau auf den Fuß gekommen sind, ausgespielt. Wir waren in diesen ersten 30 Minuten überfordert. Zudem sind wir blauäugig in diese Partie gegangen, glaubend dass wir von Anfang mit Liverpool auf Augenhöhe spielen werden. Liverpool hat uns kommen lassen und hat dann gezeigt, wer die Nummer eins in Europa ist.
Was ist Ihr bisheriges Highlight in Salzburg?
Der 6:2-Champions-League-Auftakt gegen Genk. Wir waren alle sehr angespannt, schließlich hat sich der Verein schon ein Jahrzehnt lang danach gesehnt. Auch der 3:3-Ausgleichstreffer in Liverpool wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Sogar der Trainer legte einen 50-Meter-Sprint hin und jubelte mit unseren Fans.
Was habt ihr euch für das letzte Gruppenspiel vorgenommen?
Wir wollen das Spiel gewinnen. Wir haben mit der Aufholjagd und den zwei Spielen gegen Napoli gezeigt, dass wir mit den besten Mannschaften in Europa mithalten können. Wenn wir in ein paar Situationen konsequenter und erfahrener auftreten, dann können wir diese Mannschaften auch besiegen. Mit ein bisschen Glück, einem guten Spielverlauf und einer guten Mannschaftsleistung ist alles möglich.
Was haben Sie aus den Duellen mit Salah und Mane an persönlichen Lehren aus dem Hinspiel gezogen?
Man darf ihnen keinen freien Platz geben. Wenn Salah oder Mane ins Laufen kommen, dann wird es irrsinnig schwierig. Wir müssen nahe an ihnen dran sein und sie früh unter Druck setzen, damit sie auch keine Einzelaktionen starten. Wir dürfen ihnen nicht wieder ins offene Messer laufen. Wenn wir mit einem Schlachtplan in die Partie gehen, dann können wir Liverpool überraschen.
Wie fühlt sich eigentlich die Anfield Road an?
Du stehst im Spielergang, dann ertönt "You´ll never walk alone" und du hörst das ganze Stadion singen. Neben dir steht ein Superstar nach dem anderen. Jeder war irrsinnig angespannt. Es war das Karrierehighlight eines jeden einzelnen Spielers. Diese hohen Tribünen, die ins Unendliche gehen, dann die Champions-League Hymne und die Kamera, die vor dir durchgeht: Davon träumt jeder kleine Bub, wenn er zum Fußballspielen beginnt. Ich durfte das zwar schon einmal bei Ajax miterleben. Gegen den amtierenden Champions-League-Sieger in diesem legendären Stadion war aber noch eine Stufe höher - unvergesslich und der schönste Moment meiner gesamten Karriere.
Was für ein Trainertyp ist Jesse Marsch?
Er ist echter Amerikaner. Sehr ist positiv und hat immer einen Schmäh auf Lager. Als Trainer arbeitet er sehr akribisch, es muss jedes Detail passen. Er schafft es aber immer eine gute Atmosphäre im Training herzustellen. Gewisse Aussagen sind in Kombination mit seinem Deutsch auch relativ lustig. Das ganze Trainerteam rund um Franky Schiemer und Rene Aufhauser ist immer lustig und kümmert sich um jeden Spieler gleich. Das einzige Anstrengende ist, dass wir jeden Tag Videos schauen. Das hat er aus der NFL und NBA übernommen. Dort steht das Videostudium stark im Vordergrund.
Hatten Sie schon einmal ein Trainerteam, das einen ähnlich freundlichen Umgang pflegt?
Meistens sind die Co-Trainer eher auf freundschaftlicher Ebene unterwegs, während sich der Cheftrainer davon distanziert. Hier in Salzburg ist das ganz anders. Es beginnt schon bei Stephan Reiter oder Christoph Freund, die zwar führende Rollen einnehmen, aber bei jedem Spiel und jedem Training dabei sind. Sie reden gerne mit den Spielern, führen Schmäh und sprechen Dinge an, die wir besser machen müssen. Es fühlt sich an wie eine große Familie. Man hat nie das hierarchische Gefühl, aufpassen zu müssen, dass man nichts Falsches sagt.
Sie haben sehr von Salzburg geschwärmt. Fühlen Sie sich wohl?
Wien wird immer meine Lieblingsstadt bleiben, Salzburg ist aber schon sehr nahe dran. Es fühlt sich heimatlich an. Die Leute sind in Salzburg um einiges freundlicher als in Wien (schmunzelt).
Ist Erling Haaland wirklich um so viel besser als alle anderen in seinem Alter?
Ich glaube, dass dieser Spielstil perfekt zu ihm passt. Zudem fühlt er sich im Umfeld unglaublich wohl. Er ist ein absoluter Top-Profi. Während wir auf Auswärtsfahrten Karten spielen, sieht man ihn immer nur irgendwelche wissenschaftlichen Artikel lesen, wie er seinen Schlaf oder die Ernährung verbessern kann. Er sucht immer nach den kleinsten Details, die er verbessern kann, um nochmal einen Schritt nach vorne zu machen.
Lenkt der mediale Rummel um seine Person ab?
Überhaupt nicht. Wir wissen, dass sich einige Spieler nach den Leistungen in der Gruppenphase in das Visier einiger Topvereine gespielt haben. Haaland ist unser Superstar, unser Zugpferd. Er ist in den wichtigen Momenten immer für uns da. Er ist der gleiche Kerl, den ich im Sommer vor seinen acht Champions-League-Toren kennengelernt habe.
Ein wenig verrückt ist er aber trotzdem, oder?
Er ist auf alle Fälle irrsinnig verrückt, aber genau das mach ihn so gut.
Wer sind Ihre Kumpel in der Mannschaft?
Am besten verstehe ich mich derzeit mit dem Zladdi (Zlatko Junuzovic). Er ist zwar zehn Jahre älter, aber im Schädel genau so weit wie ich. Abgesehen davon Vallci, Ramalho, Kristensen und mit dem Farki (Patrick Farkas), weil seine Freundin auch hier lebt und dadurch meine Freundin auch eine Bezugsperson hat.
Spielte Ihre Rapid-Vergangenheit vor Ihrem Wechsel nach Salzburg eine Rolle?
Am Anfang habe ich mir einen Transfer nicht wirklich vorstellen können, weil ich seit meiner Kindheit ein Rapid-Fan bin. Aber dann sprach ich öfter mit Christoph Freund, meinen Freunden und meiner Familie darüber. Alle haben gemeint: Die Nähe zum Verein ist schön und gut, aber hier geht es um dein Leben und deine Karriere. Wenn du jetzt die falsche Entscheidung triffst, kann es sein, dass du ein ganzes Jahr unglücklich in Sevilla sitzt und dann kommt vielleicht nicht mehr so ein Angebot. Das war es für mich dann auch.
Martin Hanebeck