Warum Juventus den Spitznamen "Alte Dame" mit sich herumschleppt, ist nicht exakt überliefert. Eine Erklärung besagt, die Bezeichnung beruhe auf der Eleganz des Spiels der Turiner in der Nachkriegszeit. Eine andere wiederum hat ihren Ursprung in einem Buckel, den die Trikots der Spieler in den Fünfziger Jahren bei Wind geformt hätten. Am plausibelsten erscheint allerdings die reine Ironie. Juventus (Latein) heißt Jugend, die "Alte Dame" wäre demnach das Gegenstück.
Dass es sich bei der aktuellen Mannschaft von Juventus um eine Altherrentruppe handelt, ist ebenfalls nur ein Gerücht, das einer Überprüfung nicht in vollem Umfang standhält. Das Durchschnittsalter der Startelf bei der 0:3-Heimpleite gegen Milan betrug 28,0 Jahre. Abwehr-Urgestein Giorgio Chiellini und Starstürmer Cristiano Ronaldo heben mit ihren 36 Jahren den Schnitt allerdings gewaltig an. Und Reife muss ja nicht zwangsläufig Schaden anrichten.
Im vorliegenden Fall bestach der entthronte Meister insofern durch mannschaftliche Geschlossenheit, als sowohl die Alten als auch die Jungen mit einer weit unter dem Durchschnitt liegenden Leistung aufwarteten. Dies ist ein Phänomen, das schon die gesamte Saison über zu beobachten ist, mit mehr oder minder starker Ausprägung. Die Folge ist aus Juve-Sicht eine fatale: Derzeit sind die "Bianconeri" auf Rang fünf und damit außerhalb der Champions-League-Ränge zu finden. Und das nach neun Titeln in Serie! Milan konnte es sich sogar leisten, einen (von Chiellini verschuldeten) Handelfmeter zu vergeben.
Ein Schuldiger an dieser Misere ist relativ schnell gefunden. Trainer Andrea Pirlo hat es nicht geschafft, dem Team eine Identität zu verleihen, ja es ist nicht einmal eine spielerische Linie auszumachen. Dem ehemaligen grandiosen Spieler gleich zu dessen Trainer-Einstand eine Mannschaft wie Juventus anzuvertrauen, fällt nunmehr unter die Rubrik "gescheiterte Personalpolitik". Fazit: Ohne Lehrjahre geht es offenbar nicht.
Cristiano Ronaldo fiel gegen Milan durch besondere Lustlosigkeit auf, was dahin gedeutet wird, dass der Portugiese gedanklich schon bei einem anderen Verein weilt. Mit der Europa League wird sich der Superstar kaum anfreunden können. Der Vertrag von CR7 läuft bis Ende der nächsten Saison, sein Marktwert beläuft sich auf immer noch beachtliche 50 Millionen Euro. Die Torschützenliste der Serie A führt er mit 27 Treffern klar an.
Der Spielplan der letzten Runden meint es ebenfalls nicht sonderlich gut mit Juventus. Die Turiner müssen (schon am Mittwoch) bei Sassuolo (8.) und Bologna (12.) antreten und empfangen dazu noch (am kommenden Samstag) den neuen Meister Inter Mailand. Die Konkurrenz im Kampf um die Champions-League-Plätze, Atalanta, Milan, Napoli und Lazio, hat die günstigere Auslosung.
Vielleicht aber lässt sich der Leistungs-Abfall, der sich schon in der vergangenen Saison abgezeichnet hatte, auch mit dem Fehlen der Zuschauer erklären. Die Statistik belegt, dass die leeren Ränge Ergebnisse zum Teil eklatant verfälschen. Möglicherweise gehört Juventus ja zu den Opfern der Pandemie. Ob der nicht freiwillig das Feld räumende Pirlo dies in der nächsten Saison, wenn die Fans wieder zugelassen sein werden, beweisen darf, ist freilich eher zu bezweifeln.