Bei Topspielen in der englischen Premier League müssen Zuschauer, die von auswärts kommen und über kein Ticket für den Gästesektor verfügen, eine Erklärung unterschreiben. Sie dürfen keine Fan-Utensilien des Gegners der Heimmannschaft sichtbar am Körper tragen und schon gar nicht jubeln, wenn das Besucher-Team ein Tor erzielt. Zuwiderhandelnde werden unverzüglich des Stadions verwiesen. Es handelt sich dabei um eine reine Vorsichtsmaßnahme, um Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Anhängern vorzubeugen.
Am Dienstagabend war alles anders. Im Stadion des FC Liverpool an der Anfield Road hielt die gesamte Belegschaft in der 7. Minute inne, um einem Spieler der Gastmannschaft Manchester United Applaus zu spenden. Er galt Cristiano Ronaldo, dessen Sohn am Vortag bei der Geburt verstorben war. Die Fans stimmten für den Portugiesen die Liverpool-Hymne "You´ll never walk alone" an. Die bewegenden Momente gingen unter die Haut.
"Moment des Spiels"
Es war ein symbolträchtiger und emotionsgeladener Abend. Der nicht im Stadion anwesende Cristiano Ronaldo trägt seit vielen Jahren die Rückennummer 7, sämtliche Profis des FC Liverpool und von Manchester United spielten mit Trauerflor. Für Liverpool-Trainer Jürgen Klopp war es ungeachtet eines 4:0-Erfolgs seiner Elf "der Moment des Spiels". In einem solchen Augenblick müssten alle Rivalitäten beiseite geschoben werden. "Es gibt da nur eine Sache, die wichtig ist, und das war wirklich eine Demonstration von Klasse", meinte der Deutsche.
Der 37-jährige Portugiese hatte den Tod des Buben in den sozialen Medien bekannt gegeben, er trauert mit seiner Partnerin Georgina Rodriguez. Halt findet das Paar in der gesund zur Welt gekommen Zwillingsschwester. "Nur die Geburt unseres kleinen Mädchens gibt uns die Kraft, in diesem Moment etwas Hoffnung und Heiterkeit zu haben", hieß es in der gemeinsamen Erklärung.
Nach der rührenden Aktion meldete sich auch Ronaldos Familie zu Wort. "Danke für dieses Liverpool", schrieb beispielsweise Ronaldos Schwester Elma auf Instagram. "Wir werden nie vergessen, was ihr heute getan habt." Auch Schwester Katia Aveiro bedankte sich bei den Liverpool-Fans, zu einem Video der Szenen im Stadion schrieb sie: "Weit mehr als nur Fußball."
Manchester United "sechs Jahre zurück"
Das sportliche Element rückte ob dieser menschlichen Tragödie zwar in den Hintergrund, doch ganz beiseite wischen lässt sich das immer stärker zutage tretende fußballerische Desaster, das United schon seit Jahren verfolgt, natürlich nicht. Das Team von Ralf Rangnick führte dem Beobachter einmal mehr nur allzu deutlich vor Augen, dass hier keine Einheit auf dem Platz steht. Das war auch schon in den Partien gegen Everton (0:1) und Norwich (3:2 durch drei Ronaldo-Tore) zu erkennen.
Rangnick erklärte nach dem 0:9 gegen den Erzrivalen (das erste Saisonduell in Old Trafford hatte 0:5 geendet), der mit United nach Meistertiteln (20) gleichziehen kann, dass Liverpool seinem Verein sechs Jahre voraus sei. Klopp verfüge einfach auch über die besseren Spieler, das würde sich im Resultat widerspiegeln. Ein vernichtenderes Zeugnis kann auch ein Außenstehender einem Fußballteam wohl kaum ausstellen.
United bräuchte demnach eher eine neue Mannschaft als einen neuen Trainer, vielleicht gibt es ja beides. Mit Ajax-Coach Erik ten Hag soll bereits eine Einigung erzielt worden sein, andererseits laufen zahlreiche Spielerverträge mit Ende dieser Saison aus, darunter auch jener des ewig streitbaren Paul Pogba.