Mitunter ist es schwierig, die Dimension von Sachverhalten einzuordnen. In diesem Fall wäre der Tweet des Politologen Peter Filzmaier ein Fingerzeig. Denn der richtete kurz nach Bekanntwerden der Tatsache, dass Lionel Messi per Einschreiben (und nicht, wie zunächst fälschlich übersetzt wurde, per Fax) seinem Klub FC Barcelona seinen Wechselwunsch mitgeteilt habe, folgenden Appell an Zib2-Moderator Armin Wolf: „Bitte Sendung umstellen, verlängern, Sondersendung oder so. Würdest Du ja auch tun, wenn der Papst im Vatikan kündigt, oder?“
Auch wenn es scherzhaft gemeint war, gänzlich falsch ist dieser Vergleich nicht, blasphemisch vielleicht. Obwohl: Messi wurde schon „Messias“ genannt, wenngleich nur von Anhängern der Religion Fußball.
Das Ende von Lionel Messi beim FC Barcelona, das ist wahrlich ein Erdbeben, in Katalonien machte die Zeitung „Sport“ sogar den „totalen Krieg“ daraus.
Das Ende einer Ära?
Es ist das Ende eines Märchens, einer Ära, die den Fußball geprägt hat. Es ist, als ob man einem Wolkenkratzer den Stützpfeiler entfernt und hofft, dass man ihn ersetzen kann, ehe das Haus zusammenbricht. Denn Lionel Messi war, trotz überschaubarer körperlicher Größe, Dreh- und Angelpunkt des besten Fußballklubs der Welt. Er war Taktgeber und Vollstrecker, er war Leitfigur – und er ist wohl nach wie vor der beste Fußballer der Welt, einzig hartnäckige Cristiano-Ronaldo-Fans bestreiten das vehement. Zahlen und Erfolge sprechen, zumindest auf Vereinsebene, aber für den Argentinier.
Ein Sprichwort sagt: Aus einer Mücke einen Elefanten machen. Auf Lionel Messi zutreffend wäre es aber, zu behaupten, dass er in Barcelona vom „Floh“ („La pulga“) zum Giganten wuchs. Nach Katalonien kam er schon im Jahr 2000, eher aus der Not. Denn auch wenn die Legende, dass er aus einem Armenviertel Rosarios stammt, nicht stimmt, so benötigte die Familie dringend finanzielle Hilfe. Denn dem talentierten Bub, so wurde schon früh festgestellt, fehlte ein Wachstumshormon. Nur 1,43 maß Lionel Andres Messi mit 13 Jahren. Und weil die nötigen Injektionen in Argentinien nicht mehr zu finanzieren waren, drängte die Familie nach Spanien. Vom ersten Moment an, entgegen der Legende, war man aber nicht überzeugt. Es dauerte, bis ein erster Vertragsentwurf in einem Restaurant auf einer Serviette formuliert wurde.
Rohdiamant Messi war schüchtern, fast introvertiert. Aber seine Klasse war immer sichtbar – wie seine unglaublich hohen Ansprüche an sich selbst. Fehlende körperliche Größe gleicht er mit Attributen aus, die bis heute unerreicht, für manche gar unerklärbar und nicht zu entschlüsseln sind.
Messi ist schnell. Viereinhalb Schritte macht er pro Sekunde, mehr als manch 100-Meter-Sprinter. Der Ball scheint wie ein Magnet an seinem Fuß zu kleben, wenn er es wünscht. Er hat Gefühl für den Raum und dessen optimale Nutzung. Er hat ein gutes visuelles Gedächtnis und sich auch eine perfekte Schusstechnik angeeignet. Und, zumindest bei Barcelona, ist er eiskalt, wenn es darauf ankommt. Sechs Mal wurde er auch zum Weltfußballer des Jahres gewählt, auch wenn nicht immer alles rund lief. Auch Messi war in ein Steuerverfahren verwickelt, weil seine Bildrechte über eine Stiftung in Panama Geld an der Steuer vorbei verdiente. Die einzige Ausrede blieb: „Ich spiele nur Fußball und unterschreibe alles blind, was mir mein Vater gibt.“
Dazu gibt es einen großen Unterschied zwischen Messi und Cristiano Ronaldo: Während der eine, Ronaldo, den Hang zur Selbstdarstellung auslebt, von Oben-ohne-Bildern bis hin zu Luxusautos, Urlaub auf Jachten und barocken Villen, ist Messi abseits des Platzes kaum zu sehen. Nur die Familie zählt für ihn, er blieb schüchtern, außerhalb des Platzes.
Im Stadion war er Epizentrum der katalanischen Fußball-Philosophie des FC Barcelona. Er war das Tüpfelchen auf dem Tiki-Taka, des schnellen Kurzpassspiels, das überraschende Moment, das Unberechenbare. Nur im Nationalteam gelang es ihm nie, die Rolle des Führers zu übernehmen und vollendet zu spielen. Trotz der Nummer 10, die vor ihm Diego Maradona getragen und das Land zum WM-Titel geführt hatte. Messi schaffte das nur mit der U20, bei Olympia. Sonst ist seine Geschichte mit der „Albiceleste“ eine von traurigen Niederlagen.
Solch ein trauriger Moment war die abgelaufene Saison mit Barcelona. Kein Titel, dazu das bittere 2:8 gegen den FC Bayern im Finalturnier der Champions League. Der Beweis, dass der Klub, der mehr als ein Klub sein will, nicht alles richtig gemacht hat. Intern schwelen Machtkämpfe im Kampf um das Präsidium, dazu war die Transferpolitik zuletzt von überschaubarem Erfolg. Der erst nach der Pleite der Champions League neu bestellte Trainer Ronald Koeman soll zum im ersten persönlichen Gespräch Lionel „Leo“ Messi klargemacht haben, dass er künftig keine Vorteile genießt, sich dem Team unterordnen muss. So erzählt man es zumindest rund um die katalonische Hauptstadt.
Messis Clan formulierte daraufhin die Kündigung. Die ist, egal wohin die Reise geht, noch lange nicht beschlossene Sache. Gut möglich, dass die Beziehung zwischen dem besten Fußballer und dem besten Klub der Welt zum Rosenkrieg wird. Es geht, wie sollte es anders sein, ums Geld. Zum einen darum, ob Messi die einseitig ausgerufene Berufung auf eine Klausel, die ihm mit Saisonende den Abschied ermöglicht, ziehen darf oder nicht. Und natürlich geht es darum, wer sich Messi leisten kann. Auch mit 33 Jahren wird der kein Schnäppchen – selbst wenn er „eigentlich nur Fußball spielen will“.
Das tut er aber besser als alle anderen. Meistens.