Die Gemengelage rund um David Alabas Situation beim FC Bayern dieser Tage als kompliziert zu bezeichnen, ist ebenso eine Verharmlosung wie eine Untertreibung der Dinge, die sich in München momentan abspielen. Österreichs bester Fußballer ist Bayerns Abwehrchef und bietet gleichzeitig eine übergroße Angriffsfläche. Gibt es noch einen Ausweg aus der scheinbar ausweglosen Situation im Poker um seine Vertragsverlängerung über 2021 hinaus? Und wer hat Schuld an der Malaise inmitten einer sportlich supererfolgreichen Zeit, die dem Verein fünf Titel binnen eines halben Jahres bescherte, während alle Welt unter der Corona-Pandemie leidet?
Es könnte alles so schön, so leicht und harmonisch sein in München. Doch der Haussegen an der Säbener Straße hängt schief, das Gefeilsche hat aktuell nur Verlierer. Der Verein hat das finanziell wirklich gute Angebot an Alaba zurückgezogen. Weil eine erneute Frist zur Bedenkzeit abgelaufen war. Basta, Alaba – so die Botschaft an ihn und seine Berater. Heißt es damit auch: Servus, David? Oder war es doch nur ein weiterer, harter Schritt der Bayern-Bosse im Rahmen der monatelangen Feilscherei? Den Bayern-Bossen droht wie 2006 bei Michael Ballack der Abgang eines Leistungsträgers (und bei Alaba noch dazu Publikumslieblings) im kommenden Sommer – noch dazu ablösefrei. Das Tischtuch scheint zerschnitten. Aber wenn man im Streit die Türen hinter sich zugeschlagen hat, bleibt meist noch die Hintertür. Und Bayern würde, ein monetäres Entgegenkommen vorausgesetzt, trotz allem weiter gerne mit dem Österreicher verlängern. Das ist ja das Groteske an dem Fall der drohenden Scheidung: Keiner will die Trennung so wirklich, käme es aber dennoch dazu, will keine der Parteien ihr Gesicht verlieren.
Und wer nachgibt, verliert. Man liebt sich, man liebt sich nicht.
Stets ruhig und bescheiden tritt David Alaba in München auf. Aus dem schüchternen Bub ist ein selbstbewusster Mann geworden. Er stammt aus der Jugend des FC Bayern, gilt stets als Musterbeispiel für einen, der es aus dem eigenen Stall bis zu den Profis geschafft hat. Das Eigengewächs soll ein Vorbild sein, mit dem man sich schmücken kann. „Seht her, wir können Jugendarbeit!“ Lange galt er als DAS Talent. Wer aber so betitelt wird, möchte diesen Status so schnell wie möglich verlassen. Über Jahre blieb er ein Außenseiter – der Linksverteidiger eben. Wichtig, aber es gab eben stets Wichtigere. Sein Standing ist trotz des Triples 2013 erst so richtig nach oben geschnellt, als Alaba vor einem Jahr, im Herbst 2019, umgezogen ist. Von der linken Abwehrseite in die defensive Kommandozentrale. Das Kuriose dabei: Über viele Jahre hatte der Linksfuß den Umzug ins Zentrum für sich reklamiert und bei seinen Vorgesetzten eingefordert. Doch dabei ging es um die Rolle des Sechsers im Mittelfeld. Nun steht er eine Position weiter hinten seinen Mann, ist in der Teamhierarchie aufgestiegen, liegt aber doch noch hinter Kapitän Manuel Neuer und den Platzhirschen Thomas Müller und Robert Lewandowski. Doch Alaba will in deren Sphären aufsteigen. Es geht um Wertschätzung, Relevanz, Verantwortung. Und die soll mit entsprechendem Salär honoriert werden.
Verpokert hat sich die Alaba-Seite aber, was den Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen betrifft. Mit den erwähnten Platzhirschen einigte sich der Verein in der ersten Welle der Coronakrise auf eine weitere Zusammenarbeit. Mit Müller im April, mit Neuer im Mai. Da war das wirtschaftliche Ausmaß der zweiten Infektionswelle, die im Herbst begann, noch nicht absehbar. Und selbst Branchenprimus FC Bayern beklagt – sollten bis Saisonende keine Zuschauer mehr in der Allianz-Arena zugelassen sein – rund 100 Millionen Euro entgangene Ticketeinnahmen. Also geht man in Sachen Alaba nicht mehr an die Schmerzgrenze. Schon gar nicht, weil die öffentliche Wirkung verheerend ist. Unzählige Bürger leiden unter dem „Lockdown light“ schwer, da passt eine „Gehaltsaufbesserung heavy“ nicht ins Bild. Es gibt auch andere hübsche Bräute.
Wie Alaba sich noch aus der Situation retten könnte? Indem er auf den Verein zugeht, dessen Bedingungen akzeptiert und ein Zeichen setzt in diesen für die meisten seiner Fans schweren Zeiten. Bleiben – und etwas verzichten. Oder aber er bekennt, dass es ihn eben mehr reizt, bei Real Madrid ein neues Kapitel im kommenden Sommer aufzuschlagen. Doch hängen bliebe dann dieser würdelose Poker ums liebe Geld. Und da hört sogar die Fanliebe auf.
Patrick Strasser