Per Mertesacker hat es getan. Und damit ein 376-facher Bundesliga- und Premier-League-Spieler, der noch dazu 104 Mal für das deutsche Nationalteam im Einsatz war. Der 33-Jährige wies in einem Interview mit dem "Spiegel" darauf hin, dass er große Probleme habe, mit dem immensen Druck im Profifußball zurechtzukommen.
Ständige Übelkeit vor Spielen, null Spaß, "das ständige Abliefernmüssen" hatten den Innenverteidiger dazu bewegt, das "System anzugreifen". Der bis Sommer aktive Arsenal-Profi, der dann Akademieleiter bei den Gunners wird, will künftig dem Nachwuchs mit Tipps zur Seite stehen.
Einer, der zwischen 2008 und 2011 drei Saisonen lang mit Mertesacker zusammen bei Werder Bremen gespielt hat, ist Sebastian Prödl. Der Steirer, der mit Mertesacker über das Interview gesprochen hat, bewundert seinen Ex-Teamkollegen für seine Offenheit. "Menschlichkeit und Fehler werden in unserem Geschäft nicht gern gesehen. Es ist aber großartig, wenn sich jemand äußert und Schwäche gesteht", sagt der Watford-Profi, "ich glaube, dass es 80 Prozent aller Fußballer zumindest teilweise so geht. Es gibt eine enorme Erwartungshaltung. Per, bei dem wir alle nichts von seinen Problemen mitbekommen haben, war anscheinend einer, der mit dieser Situation zu kämpfen hatte, aber auf dem Platz nicht beeinträchtigt war. Viele schaffen es aber aus ähnlichen Gründen nicht bis zum Profi oder können deshalb dauerhaft nicht ihre Leistung abrufen."
Prödl setzt auf einen Mentaltrainer
Ein Erlebnis veränderte auch den Zugang des 64-fachen ÖFB-Teamspielers. Nach einer schweren Kopfverletzung begann Prödl die Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer. "Im Nachhinein bereue ich es, so spät damit angefangen zu haben. Die Kluft zwischen sportlichem und mentalem Leistungspotenzial ist riesig. Da gibt es noch so viel, das man rausholen kann", sagt der 30-Jährige. Und weiter: "Mit dem Mentaltrainer kann man über Drucksituationen reden. Aber man kann neben dem Fußball auch private Sachen bearbeiten. Man muss mit mentaler Arbeit versuchen, den Druck in Kopf und Körper nicht zu sehr an sich heranzulassen. Das ist nicht einfach."
Als ganz wichtig erachtet auch Julian Baumgartlinger das Thema der Erwartungen. "Jeder kennt das Gefühl. Druck ist nichts Unbekanntes. Es gibt Typen, die einfach resistenter sind und gut damit umgehen können, aber auch welche, die ein Problem damit haben. Man fängt an, vor 100 Leuten Fußball zu spielen. Das steigert und potenziert sich. Dann gibt es die Zuschauer im Stadion, im Fernsehen und dann auch die Aufmerksamkeit eines ganzen Landes, wie wir bei der EM 2016 erfahren haben. Das sind Sphären, auf die man sich nicht vorbereiten kann", sagt der ÖFB-Teamkapitän, der auf keinen Mentaltrainer zurückgreift, aber durchaus gerne das Gespräch mit Experten sucht: "Zum Fußball gehören sehr viel Kopf und Psyche. Es gibt immer Phasen einer Karriere, in denen der Druck enorm hoch ist. Ich versuche als erfahrener Spieler, meinen Teamkollegen etwas Druck wegzunehmen. Das habe ich mit der Zeit gelernt."
"Druck darf nicht kaputtmachen"
Speziell in der Kommunikation sieht der 30-Jährige einen wesentlichen Ansatz, um das Problem am Schopf zu packen. "Es ist so wichtig, dass über dieses Thema gesprochen wird. Vielleicht hilft das auch dem einen oder anderen, sich zu öffnen", erklärt Baumgartlinger, dem die Schattenseiten des Fußballgeschäftes missfallen. „Schade, dass es im Fußball Tabuthemen geben muss. Ich wäre dafür, dass jeder sagen kann, was er denkt, fühlt und mag. Das geht hin bis zur sexuellen Orientierung. Vielleicht entwickeln wir uns auch dahin. Schlimm ist es, dass sich manche eine Fassade aufbauen, die cool und unverwundbar wirkt – aber hinter verschlossenen Türen schaut es ganz anders aus. Das führt zu psychischen Problemen und darüber gehört geredet. Es wäre enorm wichtig."
Für Mertesacker gab es aber auch Gegenwind – von mehreren Seiten. Der Tenor der "Gegner": Ein Fußball-Millionär muss Druck aushalten. "Denen, die das sagen, fehlt Empathie oder die Intelligenz, um das beurteilen zu können", sagt Prödl. Baumgartliner geht sogar noch einen Schritt weiter: "Wer so etwas sagt, ist in seiner Wahrnehmung eingeschränkt. Klar sind Fußballer privilegiert, aber wir sind trotzdem nur Menschen." Dabei sei der wachsende Druck kein "Fußball-Problem": "Es wird in allen Bereichen leistungsorientierter. Druck ist ein Gesellschaftsthema. Das fängt bei Kindern an, die Angst haben, nicht aufs Gymnasium zu dürfen, weil ihre Noten zu schlecht sind."
Beiden Teamspielern, die sich derzeit mit dem ÖFB-Nationalteam auf die Länderspiele gegen Slowenien (Freitag in Klagenfurt) und Luxemburg (Dienstag) vorbereiten, liegt das Thema nicht zuletzt deshalb so am Herzen. "Ich habe früher leider auch eine abschätzigere Meinung gehabt, was Psychologen anbelangt. Jetzt weiß ich, dass es ein großer Pluspunkt sein kann, sich im mentalen Bereich zu entwickeln", sagt Prödl. Baumgartlinger meint: "Jeder Fall von Überforderung ist ein Fall zu viel. Druck ist normal und gehört dazu, aber er darf nicht kaputtmachen."