Die Spatzen pfiffen es schon länger von den Dächern der Säberner Straße. Jetzt ist es auch ganz offiziell. Thomas Tuchel hat keine (allzu lange) Zukunft mehr als Trainer beim FC Bayern. Zwar darf der 50-Jährige mangels geeigneter Nachfolgekandidaten bis zum Saisonende weitermachen. Dann wird allerdings der erst am 24. März 2023 fixierte und ursprünglich bis Sommer 2025 geltende Vertrag schon wieder aufgelöst.
Bis dahin werde Tuchel „selbstverständlich weiter alles für den maximalen Erfolg geben“, wie er in einer Aussendung des Rekordmeisters wissen ließ. Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen erklärte es folgendermaßen: „Wir sind in einem offenen Gespräch zu dem Entschluss gekommen, unsere Zusammenarbeit zum Sommer einvernehmlich zu beenden. Unser Ziel ist es, mit der Saison 2024/25 eine sportliche Neuausrichtung mit einem neuen Trainer vorzunehmen.“
Dieser Schritt darf als unausweichlich bezeichnet werden. Die Bilanz von Tuchel wäre gar nicht schlecht, würde es sich nicht um den FC Bayern handeln. 2,02 Punkte pro Pflichtspiel holten die Süddeutschen unter der Führung des Ex-Chelsea-Coaches. Das ist der schlechteste Punkteschnitt eines Cheftrainers seit Jürgen Klinsmann 2008/09 (1,95.).
Das ehemalige Führungsduo Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic holte im Vorjahr Tuchel, weil sie sich von ihm eine Verbesserung erhofften. Dafür wurde Julian Nagelsmann entlassen, der damals nach 25 Spieltagen einen Punkt hinter Dortmund auf Platz zwei lag und in der Champions League nach acht Siegen in acht Spielen (u. a. gegen Barcelona, Paris SG und den späteren Finalisten Inter Mailand) feierte. Zehn Pflichtspielpleiten in 84 Anläufen mit einem Punkteschnitt von 2,31 stuften die Bosse als nicht ausreichend für die Bayern-Ansprüche ein.
In 44 Begegnungen gab es unter Tuchel elf Niederlagen. Er schaffte es nicht, eine Einheit mit den Spielern und diese zu einer Mannschaft zu formen, die das jahrzehntelang zur Schau gestellte Bayern-Gen eingeimpft hatte. Einstige Führungsspieler wie Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Thomas Müller oder auch Matthijs de Ligt wurde das Vertrauen durch mangelnde Spielpraxis oder durch öffentliche und in dieser Form unangebrachte Kritik entzogen. Noch immer sind alle Klubs bis in die Fingerspitzen motiviert, wenn ihnen der deutsche Klubkrösus gegenüber steht. Aber Angst haben sie vor den Bayern keine mehr. Die einstige Übermacht kann noch immer jeden Gegner überrollen, aber die Strahlkraft des „Mia-san-mia“-Gefühls scheint verloren gegangen zu sein. Ein Neuanfang ist Pflicht.
Kaderumbruch ist notwendig
Es reicht nicht aus, nur Thomas Tuchel zu ersetzen – ganz egal, ob Xabi Alonso, Zinedine Zidane, Sebastian Hoeneß, Marco Rose, Jose Mourinho oder ein anderer nachfolgt. Bayern verfügt aktuell über keinen Weltklasse-Abwehrspieler – weder im Zentrum, noch an den Flügeln. Im Mittelfeld und im Angriff gibt es mit Josuah immich, Leon Goretzka, Thomas Müller, Aleksandar Pavlovic, dem nach seiner Verletzung wieder ins Training eingestiegenen Konrad Laimer, Jamal Musiala, Kingsley Coman, Leroy Sane, Serge Gnabry, Bryan Zaragoza, Mathys Tel und Harry Kane über genügend Akteure, die schon nachgewiesen haben, dass sie den hohen Ansprüchen gerecht werden können.
Einen Umbruch wird es auf Spielerseite auf jeden Fall geben müssen. Auslaufende Verträge von Eric Maxim Choupo-Moting, Eric Dier und Bouna Sarr werden wohl nicht mehr verlängert. Bei Kontrakten, die bis Sommer 2025 datiert sind (Kimmich, Sane, Alphonso Davies), muss entschieden werden, ob der neue Trainer auf diese Akteure setzt oder ein Verkauf noch ansprechende Ablösesummen in die Kassen spült. Sportdirektor Christoph Freund ist jetzt erstmals gefordert, einen Bayern-Kader am Beginn einer Saison zu formen. Der Auftrag ist klar: Titel müssen her. Denn aktuell sieht alles danach aus, als ob Tuchel nach dem DFB-Pokal auch die Meisterschaft und den Triumph in der Champions League verpasst. Frei nach dem Slogan: „Mia san net mehr mia“.