Ordnung ist das halbe Leben, heißt es. Übertragen auf die Fußball-Situation des FC Salzburg aber geht es ums (große) Ganze. Im Champions-League-Match gegen den FC Sevilla müssen die Spieler ihre Gedanken sortieren, und zwar richtig. Denn es handelt sich um ein Entscheidungsspiel, da prasseln jede Menge Gefühlsregungen und Informationen auf die Beteiligten ein. Das gilt es erst einmal zu verarbeiten. Die Basis ist der klare Auftrag, das Achtelfinale zu erreichen. Es wäre das erste Mal.
Aufgrund der Wichtigkeit der Partie kommt dem mentalen Bereich wesentlich größere Bedeutung zu als in einem herkömmlichen Match. "Die Herausforderung ist es, vor allem in einem solchen Spiel das Leistungspotenzial optimal zu entfalten", sagt Sportpsychologe Thomas Brandauer von der Universität Klagenfurt. Das Wissen, dass es "um alles" geht, kann zweierlei bewirken. Entweder spielt die Mannschaft unter dieser Voraussetzung völlig befreit auf und kommt in einen richtigen Flow oder es verkehrt sich ins Gegenteil. Die Drucksituation birgt Gefahren in sich: "Die Gedanken, ´du willst, du musst´, führen unter Umständen zu einer Übermotivation." Diese könne dann die technisch-taktischen Fertigkeiten negativ beeinflussen. Die möglichen Folgen sind Verkrampfung und Konzentrationsschwächen sowie Einbußen in der Kreativität.
Wissen, was zu tun ist
Doch die Psychologie kennt Gegenmaßnahmen und die kommen im konkreten Salzburger Fall stark zum Tragen. Denn die Mannschaft des österreichischen Serienmeisters hat es selbst in der Hand bzw. am Fuß, das Geschehen zu bestimmen, die Kontrolle zu übernehmen und ist nicht auf fremde Hilfe angewiesen. "Es geht darum, das als Chance zu sehen, um nicht eine Versagensangst zu entwickeln", meint Brandauer. Der zweite Teil der Strategie betrifft das konkrete Handeln. "Jeder muss genau wissen, was er zu tun hat, dann kann er eher in bestimmten Situationen leichter kreativ werden. Das Wissen um die Aufgaben erhöht den Freiraum, der Spieler ist flexibler. Außerdem wird es durch klare Vorgaben einfacher, die Konzentration hochzuhalten. Weil ein Unentschieden reicht, ist die Ablenkung ein permanentes Bedrohungspotenzial für die Salzburger Fußballer. Daher sollte das Resultat möglichst lange ausgeblendet bleiben. Auch nur für Sekunden an das nahende Remis zu denken, könnte schon üble Folgen haben.
Die Hingabe hilft auch bei der Bewältigung von unvorhergesehenen Situationen. Sevilla braucht einen Sieg, wodurch sich trotz der defensiven Stärke der Andalusier unvermutet Freiräume öffnen können. "Ein hoch konzentrierter Spieler tut sich leichter, auf solche überraschenden Ereignisse zu reagieren", erklärt der Sportpsychologe. Von der Aufgabenstellung her sind die Spanier im Vorteil, weil ihnen bewusst ist dass sie gewinnen müssen.
Spanier mit Erfolgs-Erfahrung
Dies erzeugt jedoch auch einen Druck, der dadurch verstärkt wird, dass der Tabellenzweite der spanischen Liga mehr zu verlieren hat als der österreichische Meister. Dafür können die Spanier auf eine reichhaltige Erfahrung zurückgreifen. Der Umgang mit Entscheidungsspielen ist den Andalusiern bestens vertraut. Dazu kommen die zahlreichen positiven Erfahrungen. Aus allen sechs Finalspielen, vier Mal davon in der Europa League, ging der FC Sevilla als Sieger hervor, zuletzt 2020. Die meisten Salzburger hingegen sind mit einem ihnen weitgehend unbekannten Szenario konfrontiert.
Dennoch würde der Psychologe die Spanier nicht favorisieren, zumal dem Team von Matthias Jaissle auch aufgrund der Jugend eine nicht zu unterschätzende Unbekümmertheit zugute komme. Auch wenn die Erfahrung für die Mannschaft aus einer europäischen Topliga spreche: "Aus sportpsychologischer Sicht sehe ich keinen Grund, Sevilla in eine Vorteilssituation zu befördern."