Manchmal ist es äußerst nützlich, dieses Schlüsselerlebnis, das den Weg freimacht. Sowohl Lille-Trainer Jocelyn Gourvennec als auch sein Salzburger Kollege Matthias Jaissle nannten den ersten Elfer als entscheidenden Faktor des 2:1-Erfolgs des österreichischen Meisters, der in der Champions League mit der zumindest vorübergehenden Tabellenführung einen nächsten Meilenstein setzte.
Der von Karim Adeyemi herausgeholte und verwandelte Strafstoß mag ein bedeutendes Detail sein, doch es ist die Gesamtkonzeption, die den Salzburgern auch auf internationaler Ebene den Status einer Topmannschaft einbringt. Das Team besticht durch Gleichmäßigkeit auf hohem Niveau, und dies ungeachtet der Jugend der Auswahl. Die Startelf gegen Lille kam auf ein Durchschnittsalter von 22,5 Jahren, wobei der 35-jährige Andreas Ulmer den Schnitt noch markant anhebt.
In einer Gegenüberstellung mit der vergangenen Saison präsentiert sich die Abwehr wesentlich stabiler, und die Mannschaft kann auch Ausfälle wie jenen des verletzten Oumar Solet wegstecken. Der gegenüber dem Match von Sevilla deutlich verbesserte Maximilian Wöber bestach durch Umsicht und hervorragendes Stellungsspiel. Gleiches gilt für den enorm einsatzfreudigen Jerome Onguene, der zahlreiche Angriffsaktionen der vor allem in der Anfangsphase sehr starken Franzosen frühzeitig entschärfte. Rasmus Kristensen und der läuferisch überragende Andi Ulmer wiederum bestachen durch ihre Präsenz. Die breite Brust als Demonstration von Stärke ist vor allem beim Dänen besonders ausgeprägt.
Der spielerische Elan
Im Mittelfeld kommt die fein herausgearbeitete Technik zum Tragen. Mohamed Camara bringt zwar Trainer Matthias Jaissle mit seinen manchmal sehr waghalsigen Manövern mitunter zur Verzweiflung, die Ballsicherheit und künstlerische Note des Afrikaners stand aber diesmal der Durchschlagskraft nicht im Weg. Der 21-Jährige erzeugte zahlreiche gefährliche Situationen, während Brenden Aaronson diesmal unter seinen Möglichkeiten blieb.
Im Angriff gehört Karim Adeyemi schon nach den ersten zwei Runden zu den prägendsten Figuren der gesamten Champions League. Diesmal erhielt der seinen Marktwert mit jeder Partie steigernde Jungstar der Salzburger Unterstützung von Noah Okafor, der gegenüber Benjamin Sesko den Vorzug erhalten hatte.
Überall mit gleichem Respekt
Besonders hervorzuheben ist die Flexibilität und spielerische Elastizität der Salzburger, mit der die Mannschaft die bisweilen auffällige Kluft zwischen den Meisterschaftspartien und den Auftritten in der Champions League überbrückt. „Der Liga-Alltag ist kein Problem, sie schaffen es nach den Highlight-Spielen immer wieder, auch in der Meisterschaft zu performen“, lobt Jaissle sein Team und erklärt, warum das derzeit so beeindruckend gelingt. „Wir haben den Anspruch, dass wir den Gegnern in der Liga mit dem gleichen Respekt begegnen wie den großen internationalen Mannschaften.“
Aber jedes Champions-League-Match ist ein wertvoller Beitrag zum Erfahrungsschatz. „Ein Unterschied zur Liga besteht darin, dass Kleinigkeiten auf diesem Niveau sofort bestraft werden. Das merkt die Truppe und da sollen sie so schnell wie möglich daraus lernen“, sagt Jaissle, dem es auch gelingt, die Freude über die Tabellenführung nicht in allzu großen Überschwang ausarten zu lassen. Die Spieler lassen keine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass sie auf dem Boden bleiben und schon das nächste Match im Visier haben.
Am Donnerstag gab es aber vom Trainer dennoch ein Zuckerl für die Mannschaft, und er setzt auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Wer wollte, durfte sich einen Ruhetag gönnen.