Herr Pangl, in Ihrer Rolle als Generalsekretär der europäischen Fußball-Ligen waren Sie bis Ende 2019 jahrelang direkt in die Entscheidungen der UEFA eingebunden. Am Montag soll die Champions-League-Reform (alle Informationen gibt es hier) beschlossen werden - mehr Klubs, mehr Spiele. Was halten Sie von dieser Reform?
GEORG PANGL: Die großen Klubs werden noch stärker bevorzugt, der Abstand noch größer werden. Im Sinne des Fußballs, einer gewissen Fairness und einer spannenden Zukunft kann das nicht gut sein. Wenn man immer nur ausreizt, zerplatzt irgendwann die Blase.
Spricht noch irgendetwas gegen den Beschluss?
Das Thema ist schon so weit gediehen, dass die Reform beschlossen werden wird. Was ich gehört habe, ab 2024 auf die nächsten zehn Jahre. Das bedeutet eine unglaubliche Einbetonierung dieser Entwicklung. Aber auch danach werden die Forderungen der großen Klubs erneut mehr werden, man wird wieder mit der "Superliga" drohen.
Ist diese Reform der einzige Ausweg, um eine "Superliga", einer exklusiven Liga für die reichsten Klubs Europas, zu umgehen?
Ich meine das nicht. Es war sicher aufgrund des Drucks der großen Vereine nicht einfach, aber die europäische Fussballbehörde hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren nie Grenzen aufgezeigt. Die großen Klubs haben mit dem Säbel gerasselt und man ist den Forderungen gefolgt. Zumindest die Solidaritätszahlungen hätten erhöht werden müssen. Ich glaube, da wurde einiges unterschätzt, sodass eine Entwicklung in Gang gekommen ist, die für mich sehr bedenklich ist.
Gleicht diese reformierte Champions League mit beinahe fixem Startrecht für Top-Klubs nicht de facto einer "Superliga", in der kleinere Klubs halt auch mitspielen dürfen?
So sehen es mittlerweile viele. Klubs mit gutem Koeffizienten können sich qualifizieren, selbst wenn sie in der Liga absacken, aber der Schweizer Meister nicht. Die European Club Association (ECA) will fix gesetzte Topklubs und kümmert sich nicht um die kleinen Vereine. Diese "Wildcards" werden dann die Klubs aufgrund ihrer Titel in den 60er-Jahren bekommen. Die Mitglieder im Exekutivkomitee sollten diese Themen, die so existentiell für den Fußball sind und von den großen Klubs vorbereitet werden, nicht einfach ohne Diskussion durchwinken. Da geht es um Weitsicht und Konsequenzen. Manche Kritiker sagen, so führt man den europäischen Klubfußball in Richtung Abgrund.
Am Sonntag wurde das Thema Superliga erneut befeuert.
Diese Meldung zur Abspaltung der Superliga war nach dem bisherigen Verhaltensmuster längst fällig. Ich bin kein Hellseher, aber sie wird möglicherweise alle vier Jahre eine Art Schockstarre auszulösen und den großen Klubs ihre Forderungen wiederum erfüllen.
Mit nächster Saison debütiert mit der UEFA Conference League ein neuer Bewerb. Sind so häufige Reformen im europäischen Klubfußball nötig?
Der Fußball bekommt die Reformen, die er sich verdient, weil speziell die mittleren und kleineren Klubs keine Stimme haben und somit nicht imstande sind, sich zu wehren. Knapp 150 Vereine, die sich bis heuer noch für die Europa League qualifizieren können, werden mit einem Federstrich in die Conference League verschoben. Ab Rang 16 der Fünf-Jahres-Wertung kann sich kein Klub mehr für die Europa League qualifizieren. So wie die Champions League schon in sich geschlossen ist, wo sich kleinere Klubs nur mehr über ein Nadelöhr qualifizieren können, wird das jetzt um eine Ebene verschoben. Österreich verliert zwei Vertreter von der Europa League an die Conference League, ein WAC oder Sturm beispielsweise bekommen in diesem Bewerb dann nur mehr einen kleinen Teil der Einnahmen.
Sie waren lange genug hautnah am Geschehen beteiligt: Wie ticken die Großklubs - geht es wirklich nur ums Geld?
Die großen Klubs nutzen Corona jetzt als Hebel um zu sagen: Wir verlieren Milliarden pro Jahr, wir tragen das Unternehmerrisiko. Deshalb wollen sie gesetzt sein, weil es sich auch ohne Corona wirtschafltich nicht mehr ausgeht. Aber dieses Risiko hat jeder kleine Klub bis nach Gibraltar. Nur haben diese mehr als 1000 kleinen Klubs in Europa keine Stimme. Für die kleinen Klubs sitzt anstelle von Raphael Landthaler seit kurzem Salzburgs Stefan Reiter im Board der ECA. Und bei aller Solidarität, die Red Bull immer für die heimischen Klubs und die Liga zeigt: der ECA ist Österreich egal. Es wird für ihn unmöglich sein, die Kleinen zu vertreten und damit wird er mit Red Bull Salzburg in einer Sphäre schweben, wo vielleicht Salzburg, aber nicht diese Klubs hingehören.
Sie gelten als Vertreter der kleinen Ligen: Welche Auswirkungen wird die Reform auf die kleineren Klubs haben?
Die Einnahmen aus den Rechteverkäufen für die europäischen Bewerbe steigen stetig. Nur wird der Kuchen deshalb nicht größer, weshalb die nationalen Ligen weniger Einnahmen erzielen. Ein Top-Klub aus einer kleineren Liga mag zwar mehr Geld aus dem europäischen Bewerb bekommen, aber die Konkurrenzklubs in der heimischen Liga erhalten weniger aus dem nationalen Topf. Damit ist etwas vorprogrammiert, was dem europäischen Fußball sehr bald extrem zusetzen wird, um nicht zu sagen, zerstören.
Dabei gibt es einen Solidaritätsfonds für all jene Klubs, die international nicht vertreten sind.
Der ist mittlerweile zu einer Farce geworden. Im aktuellen Zyklus gibt es einen jährlichen Ertrag in Höhe von zwei Milliarden Euro. Als Konsequenz hat man die Prozentzahl der Solidaritätszahlungen sogar noch um 1,2% reduziert, mit der Begründung, dass in absoluten Zahlen ohnehin mehr als im Zyklus davor ausgezahlt wird. Wenn die Summe für den Sieger der Champions League höher ist, als die Solidaritätszahlungen für über 1000 Klubs, dann passen die Verhältnisse nicht.
Die ECA fordert in Sachen Vermarktung mehr Mitsprache, möchte mit der UEFA eine Gesellschaft für finanzielle Angelegenheiten gründen - sehen Sie das realistisch?
Es gibt bereits eine Gesellschaft, die "UEFA Club Competitions SA". Es ist kein Geheimnis, dass die UEFA offiziell 99 Prozent der Anteile hält, während die Besetzung der Aufsichtsratsmandate 50:50 ist. Man könnte sagen, dass die ECA dabei ist, den Fahrersitz des Autos zu übernehmen, das dem europäischen Fußball gehört.
Abseits vom Finanziellen: Wird die Reform sportlich für mehr Spannung in der Königsklasse sorgen?
Ich kann es mir nicht vorstellen. Es ist auch logisch, dass die ECA-Klubs nicht etwas fordern, das gegen ihren eigenen Vorteil ist. Auch hat der Vorsitzende der ECA in Bezug auf die Zusammensetzung der künftigen Champions League die sportliche Qualifikation von Atalanta über die Liga ohne entsprechenden Koeffizienten infrage gestellt und gleichzeitig den Beitrag von AS Roma zum UEFA-Ranking erwähnt.
Wendet sich der gemeine Fußball-Fan bald ab?
Ich fürchte es. Viele Fangruppierungen, auch von großen Klubs, haben sich bereits gegen die Reform ausgesprochen. Der Fan finanziert diesen "Zirkus". Aber irgendwann wird er die Nase voll haben, bewusst in die 3. Liga gehen, weil er den Rasen riechen will, sein Grillwürsterl im Stadion essen mag und sagen wird: Ich brauche das Exklusive nicht. Das kann sehr bald der Fall sein.
Ist ein Weg zurück zu einem Europapokal der Landesmeister noch möglich?
So sehr ich es mir wünschen würde: Der Zug ist abgefahren und den erreichen wir nicht mehr.
Auch die Europameisterschaft wird heute thematisiert, die UEFA fordert eine Zuschauergarantie. Ist das der richtige Zugang während einer Pandemie?
Ich bin da eher auf der Seite, nicht vor der Schlange mit dem Namen Pandemie zu erstarren. Ich verstehe den Zugang der UEFA, jetzt nicht w.o. zu geben, auch wenn die Forderung sehr kühn klingen mag und die Umsetzung am Ende natürlich von der weiteren Entwicklung der Fallzahlen abhängig sein wird.